Auch wenn das Grundgesetz über Jahrzehnte hinweg aufgebläht worden ist, finden sich darin erfrischend klare Sätze. Einer lautet:
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Vor diesem Hintergrund muss sich die Justiz schon ganz schön verrenken, wenn sie die Frage verneinen will, ob die sehbehinderte Partei eines Zivilprozesses verlangen kann, die Prozessunterlagen in Blindenschrift zu erhalten. Dem Bundesverfassungsgericht gelingt dies in einem aktuellen Beschluss auf wirklich bemerkenswerte, ich würde sagen abstoßend kaltherzige Art und Weise.
Zumindest in einfachen Verfahren, so das Gericht, genüge es vollkommen, wenn der Rechtsanwalt dem Sehbehinderten den Prozessstoff „vermittelt“. Das, so die Richter in Karlsruhe, sei ja ohnehin Pflicht des Rechtsanwalts. Mit dieser „Vermittlung“ sei der sehbehinderte Kläger oder Beklagte seinem Kontrahenten ausreichend gleichgestellt, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen.
Ein Erklärbär ist der Anwalt ganz sicher. Aber auch ein Vorleser? Und ist es nicht immer noch ein großer Unterschied, ob ich als Sehbehinderter den Akteninhalt selbst in Ruhe studieren kann oder ob er mir (einmal) vorgelesen und / oder erläutert wird. Im Ergebnis ist es schon interessant, wie man an sich so klare Aussagen wie die eingangs zitierte verbiegen kann (Aktenzeichen 1 BVR 856/13).