Manchmal spürt man Widerstände, bevor sie geäußert werden. Bei meiner Sitznachbarin im ICE war genau das unverkennbar. Sie schaute reichlich missbilligend über ihre randlose Brille, als ich mein Notebook aufklappte. Geradezu mörderische Blicke erntete ich, als ich mein Handy aus der Jackentasche zog, um das WLAN zu aktivieren.
„Sie wissen, dies ist eine Ruhezone“, sagte sie. „Ist mir bekannt“, entgegnete ich. „Aber in der Handyzone war nichts mehr frei. Deshalb habe ich hier einen Platz reserviert.“ „Ja, und warum holen Sie dann Ihr Handy raus? Dies ist die Ruhezone.“ Ich versuchte es mit Höflichkeit. Immerhin hatte ich es doch mit einer Frau zu tun, welche ein gewisses Niveau dadurch bewies, dass sie das neue Buch von Anke Domscheit-Berg las. Also, wenn sie nicht gerade mit mir stritt. So jemand musste doch gegenüber vernünftigen Argumenten aufgeschlossen sein.
„Selbstverständlich“, versuchte ich es, „respektiere ich Ihr Recht, nicht von Telefonaten gestört zu werden. Ich werde auch nicht telefonieren. Oder höchstens draußen auf dem Gang, wo Sie es mit Sicherheit nicht hören. Und mein Handy vibriert höchstens, davon hören Sie nichts.“
„Aber darum geht’s doch nicht.“ Jetzt klang sie sogar ein bisschen wie Anke Domscheit-Berg. „Ruhezone bedeutet, Handys bleiben in der Tasche. Handys nerven, das ist nun mal so.“ Mit dem Handy Musik hören war demnach auch nicht erlaubt. Nicht mal ganz leise. Ich sah schon, wir kamen nicht weiter.
Sie verschwand nun erwarungsgemäß, um Hilfe bei einer höheren Instanz zu suchen. Der Schaffner war nach ein paar Minuten da und versuchte zu eruieren, von was die Dame sich genau gestört fühlte. Wie sich herausstellte, war es insgesamt die „hektische Betriebsamkeit von Computernutzern“. Oder so ähnlich. Ich hatte ihren die Zeit genutzt, um mal die einschlägigen Regeln für den Ruhebereich in ICEs zu googlen. Der Zugbegleiter las sie mit Interesse. Kannte er so wohl auch noch nicht.
„Sehen Sie“, sagte der Schaffner. „Bei uns ist alles geregelt. Ich glaube, wir können dem Fahrgast keine Vorschriften machen, die es so nicht gibt.“
Glücklicherweise blieb mir damit eine weitere Diskussion erspart. Obwohl ich es mich schon wunderte, wie schnell die Dame sich geschlagen gab. Hätte ich jetzt nicht erwartet.
Auch der Schaffner hatte sich gewappnet. Von einer Kollegin kriegte er Bescheid, in einem ruhigen Abteil sei jetzt ganz viel frei geworden. Richtig gute Plätze.
Aber ich habe dann auf dem Weg in den Speisewagen noch gesehen, wie sich in Hannover eine Frau mit ihren zwei kleinen Kindern gegenüber meiner Kontrahentin platzierte. Da hätte ich gerne zugehört, hab‘ mich aber nicht getraut.