Weg

Nicht nur in in Düsseldorf beginnt morgen die fünfte Jahreszeit. Hier aber besonders heftig. Ein guter Anlass, mal für ein paar Tage das Büro zu meiden. Und, je nach Sicht der Dinge, auch Düsseldorf. Deshalb macht auch das law blog Pause.

Ab Aschermittwoch, 5. März, geht’s voraussichtlich weiter.

Missbräuchliche Fahndungen?

Ein politischer Missbrauch bei internationalen polizeilichen Fahndungsaufrufen kann nach Einschätzung der Bundesregierung nicht von vornherein ausgeschlossen werden. So umfasse Interpol 190 Mitgliedstaaten, „die nicht ausnahmslos einen europäischen Menschenrechtsstandard aufweisen“, schreibt die Regierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke.

Dieser Gefahr sei sich das Generalsekretariat von Interpol (IPSG) jedoch bewusst. Die Interpol-Statuten verböten daher ausdrücklich den Missbrauch polizeilicher Fahndungen zu politischen Zwecken. Das IPSG habe zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um einen Missbrauch zu verhindern. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) berücksichtige die Möglichkeit eines Missbrauchs bei der Sachbearbeitung von Fahndungsfällen.

Jede im BKA eingehende ausländische Interpol-Fahndung werde vor der Umsetzung entsprechend geprüft. Laut den Statuten von Interpol sei es verboten, in Fällen aktiv zu werden, „die von ihrer Natur her als politisch, militärisch, religiös oder rassisch zu bewerten sind“.

Jeder Aufruf von Interpol zur Festnahme und Auslieferung einer Person werde deshalb mit den Statuten der Organisation abgeglichen. Zudem könne sich jedes nationale Interpol-Zentralbüro an das IPSG wenden, wenn Zweifel bestünden, ob ein Fahndungsaufruf im Einklang mit den Statuten stehe und so eine Überprüfung auslösen.

Außerdem, so die Bundesregierung, könne sich jeder Betroffene juristisch gegen einen Fahndungsaufruf wehren. Anlass für die Anfrage der Linken waren mehrere fragwürdige Fahndungsaufrufe, unter anderem auch von türkischen Behörden.

Keine 3-Prozent-Hürde bei der Europawahl

Bei der Europawahl bekommt die Stimme jedes Wählers mehr Gewicht. Das Bundesverfassungsgericht erklärte heute die Drei-Prozent-Hürde für unwirksam.

In der mündlichen Urteilsbegründung hieß es, die Drei-Prozent-Hürde verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit. Die von den großen Parteien befürchtete „Zersplitterung“ des Parlaments stellt nach Auffassung der Karlsruher Richter kein so großes Risiko dar, dass die Stimmen für kleinere Parteien unter den Tisch fallen dürfen.

Geklagt hatten 19 kleinere Parteien. Sie dürfen jetzt bei der Europawahl nicht nur antreten, sondern können sich auch Hoffnungen auf Sitze machen. Deutschland wird 96 Abgeordnete ins Europaparlament entsenden, so dass der notwendige Stimmenanteil für jeden Sitz bei etwas mehr als einem Prozent liegt.

Link zum Urteil

Youtube muss seine Sperrtafeln ändern

Seit Jahren streiten die GEMA und Youtube darüber, welche Lizenzgebühren die Videoplattform in Deutschland zu entrichten hat. Nun hat die GEMA nach eigenen Angaben zumindest einen symbolischen Sieg errungen. Das Landgericht München erklärte die bekannten Sperrtafeln von Youtube für rechtswidrig. Auf diesen Einblendungen weist Youtube beim Aufruf unzähliger Videos der GEMA die Schuld dafür zu, dass für deutsche Nutzer der Bildschirm schwarz bleibt.

Der Text der Einblendung lautet – in verschiedenen Varianten – seit Jahren ungefähr so:

Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden. Das tut uns leid.

Hierdurch sah sich die GEMA zu Unrecht an den Pranger gestellt und verklagte Youtube. Das Landgericht München habe sich in einem Urteil nun auf die Seite der Verwertungsgesellschaft gestellt, erkärt die GEMA in einer Pressemitteilung. Der Hinweis sei laut dem Gericht eine „absolut verzerrte Darstellung der rechtlichen Auseinandersetzung zu Lasten der GEMA“. Durch die Verwendung der Sperrtafeln werde die GEMA herabgewürdigt und angeschwärzt. Der Text erwecke bei den Nutzern den falschen Eindruck, die GEMA sei für die Sperrungen der Videos verantwortlich, obwohl YouTube die Videos tatsächlich selbst sperrt, um mögliche Zahlungsansprüche der GEMA von vornherein zu vermeiden.

Google, die Betreiberfirma von Youtube, kann gegen das Urteil Berufung einlegen. Ob es eine Lizenzpflicht gibt und wie weit diese reicht, hat das Landgericht München nicht entschieden.

Wir brauchen dringend ein Gesetz, das es längst gibt

Ich wundere mich über die Politiker der Großen Koalition. Diese haben eine Gesetzeslücke ausgemacht, welche dringend geschlossen werden muss. Seit Tagen dröhnt auf uns eine Kakophonie von Forderungen ein, wonach unverzüglich was passieren muss. Als Konsequenz aus der Edathy-Affäre, so erklären sie landauf, landab, müsse der Verkauf oder sogar die bloße Weitergabe von Bildern nackter Kinder unter Strafe gestellt werden. Und zwar besser gestern als heute. Ein juristischer Notstand, sozusagen.

Die Betreffenden sollten mal einen Blick ins Gesetz werfen, bevor sie neue Gesetze fordern. Es gibt nämlich längst einen Straftatbestand, der die Verbreitung oder Veröffentlichung von Bildern fremder Personen verbietet, sofern diese nicht zugestimmt haben. Die Vorschrift gilt unabhängig vom Alter der Betroffenen. Sie ist übrigens auch unabhängig vom Grad der Bekleidung.

Erstaunlich finde ich das Ganze, weil das Gesetz eigentlich für jeden verständlich ist. Es handelt sich insgesamt um drei Paragrafen, und die sind noch nicht mal lang. Zunächst regelt § 22 Kunsturheberrechtsgesetz:

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.

§ 23 Kunsturheberrechtsgesetz regelt Ausnahmen, etwa wenn es sich um Personen der Zeitgeschichte handelt. Es ist noch nicht einmal ansatzweise erkennbar, welche der vorgesehenen Ausnahmen die Verbreitung von Bildern nackter Kinder rechtfertigen könnten.

Womit wir schon beim Straftatbestand angekommen sind, der genau das verbietet, was jetzt so dringend verboten werden soll. Auch diese Vorschrift, der Paragraf 33, ist nicht sonderlich kompliziert formuliert:

Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt.

Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

Was wollen die zahlreichen Entdecker von riesigen Gesetzeslücken eigentlich, das über diese klare und eindeutige Vorschrift hinausgeht? Den Absatz 2, die Notwendigkeit eines Strafantrags, könnte man ja streichen. Selbst wenn die Betroffenen unbekannt sind, könnten die Ermittlungsbehörden dann von Amts wegen einschreiten.

Ganz neu ist das Gesetz übrigens nicht. Es trat in Kraft, nachdem sich Journalisten Zugang zum Sterbezimmer des Reichskanzlers Otto von Bismarck verschafft hatten. Anschließend versuchten sie, Bilder des Verstorbenen zu verkaufen.

Das war 1907. Vielleicht ist der Notstand doch eher ein politischer.

Teachers dated me, my parents hated me*

Ein Lehrer auf Probe kann entlassen werden, wenn er über soziale Netzwerke mit einer 16-jährigen Schülerin privat chattet und dabei explizit sein sexuelles Interesse an dem Mädchen zum Ausdruck bringt. Dies hat das Verwaltungsgericht Aachen entschieden.

Der 40jährige Lehrer hatte über Monate privaten Kontakt mit einer seiner Schülerinnen. Schließlich offenbarte er dem Mädchen, er wolle mit ihr schlafen. Als es der Schülerin zu viel wurde und sie sich ihrer Schulleitung offenbarte, verbot die Bezirksregierung Köln dem Lehrer die Führung der Dienstgeschäfte und entließ ihn schließlich aus dem Beamtenverhältnis.

Der Lehrer hielt die Entlassung für unverhältnismäßig, weil das ihm vorgeworfene Verhalten auch durch Versetzung an eine andere Schule sanktioniert werden könne. Es habe nie körperliche sexuelle Kontakte zwischen ihm und dem Mädchen gegeben.

Das Verwaltungsgericht Aachen sieht das anders. Ein Lehrer, der – gleich ob körperlich oder verbal – sexuellen Kontakt zu einer ihm anvertrauten Schülerin unterhalte, zeige, dass ihm die Befriedigung eigener Bedürfnisse wichtiger sei als die unbeeinträchtigte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Das Dienstvergehen betreffe somit den Kernbereich der Dienstpflichten und rechtfertige selbst bei einem Beamten auf Lebenszeit die Entlassung (1 K 2155/13).

*

Richterliche Aufklärung

Auf dem Gebiet der Sexualaufklärung ist der Bundesgerichshof eher selten tätig. Nun haben die Richter allerdings einige wichtige Worte für alle Heten im fortpflanzungsfähigen Alter gesagt, die es nicht unbedingt auf eine Elternschaft ankommen lassen wollen. Das will ich dann auch unbedingt weitergeben.

In dem Prozess ging es um eine Frau, die schwanger geworden war. Allerdings nicht von ihrem Angetrauten, sondern während der Affäre mit einem anderen Mann. Nach mehr als zwei Jahren focht die Frau die Vaterschaft ihres Ehemannes an, da sich herausgestellt hatte, dass dieser nicht der biologische Vater des Kindes ist. Der Ehemann war aber nicht dazu bereit, auf seine gesetzliche Vaterrolle zu verzichten.

Die Ehefrau machte geltend, sie habe erst lange nach der Affäre erfahren, dass der andere Mann tatsächlich der Vater ist. Darauf kommt es jedoch nicht an, befindet der Bundesgerichtshof. Schon der Umstand, dass sie wissentlich Geschlechtsverkehr mit einem Dritten hatte, führe zum erforderlichen Wissen und setze die zweijährige Anfechtungsfrist in Gang.

Dagegen führte die Frau ins Feld, sie habe Kondome verwendet. Aber auch das führt nach Auffassung der Richter nicht dazu, dass sie sich in gutem Glauben wiegen konnte. Denn, so die Richter:

Insoweit hat der Senat bereits darauf hingewiesen, es sei allgemein bekannt, dass die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung mit Kondomen deutlich geringer sei als die anderer Verhütungsmittel wie etwa der „Pille“. Er hat darauf Bezug genommen, dass nach dem sogenannten „Pearl-Index“ bei regelmäßiger Verwendung von Kondomen 2 bis 12 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger werden gegenüber der deutlich höheren Sicherheit bei Einnahme der „Pille“. Zwar könne die Kenntnis der Größenordnung dieser Versagensquoten nicht allgemein vorausgesetzt werden; eine ungefähre Vorstellung von diesem Risiko müsse aber zum Allgemeinwissen gezählt werden.

Dabei versagen laut dem Gericht aber keineswegs die Kondomhersteller, sondern die Nutzer im Eifer des Gefechts. In dem Urteil heißt es:

Das Versagensrisiko von Kondomen liegt im Wesentlichen in der fehlerhaften Anwendung begründet.

Kann man wahrscheinlich gar nicht oft genug sagen, noch dazu kurz vor Karneval.

Nur ein Missverständnis

Für Aufregung und Kopfschütteln sorgt derzeit ein Urteil des Schweizer Bundesgerichts. Die Entscheidung wird in vielen Berichten häufig darauf verkürzt, ein Polizist in der Schweiz dürfe einen Ausländer ungestraft als „Drecksasylant“ und „Sauausländer“ bezeichnen. Das stimmt so nicht.

Das Schweizer Bundesgericht hat lediglich entschieden, dass der Straftatbestand der Rassendiskriminierung nicht auf anwendbar ist. Genau diesen hatte die Basler Justiz aber angewandt, nachdem ein Polizist einen Ausländer auf einer Schmuckmesse nicht nur wegen Diebstahlsverdachts festgenommen, sondern ihn auch vor den Augen der Besucher mit „Drecksasy lant“ und „Sauausländer“ tituliert hatte.

Die Richter kommen zu dem Ergebnis, dass diese Aussagen keinen unmittelbaren Bezug zur Rasse des Betroffenen aufweisen. Genau diesen Bezug verlangt aber das Gesetz in der Schweiz.

Eine ähnliche Problematik stellt sich mitunter auch deutschen Gerichten, die auf die korrekte Anwendung des Gesetzes achten. So ist zum Beispiel nicht alles, was als Beleidigung angesehen wird, auch eine Volksverhetzung.

Mit keinem Wort hat das Schweizer Bundesgericht übrigens gesagt, dass der Polizist nicht bestraft werden kann. Vielmehr hat es die Sache an das zuständige Gericht zurückverwiesen. Dieses muss jetzt prüfen, ob eine Beleidigung vorliegt (Aktenzeichen Urteil 6B_715/2012).

Das Edathy-Komplott?

Dem Bundeskriminalamt sollen schon seit langem die Unterlagen vorgelegen haben, die im Februar 2014 zu einer Hausdurchsuchung beim SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy führten. In Presseberichten heißt es, die Ermittler hätten schon vor rund zwei Jahren die Namenslisten von Kunden der kanadischen Firma Azov Films gehabt.

Sofort machen da natürlich Verschwörungstheorien die Runde. Immerhin war Edathy Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Es war klar, dass dort nicht nur die Verfassungsschutzbehörden mit brisanten Fragen zu rechnen hatten, sondern eben auch die Ermittler vom BKA und der Länder-Polizeien.

Auch diesen ist es ja über viele Jahre hinweg nicht gelungen, die wahren Motive für die Mordserie auch nur annähernd zu ergründen. Da hätte es natürlich gut gepasst, wichtige Informationen über Edathy in der Hinterhand zu haben.

Dass Edathy durch Nichtbearbeitung der Unterlagen erpressbar gehalten worden sein könnte, ist ein ungeheuerlicher (Anfangs-)Verdacht. Ich glaube allerdings, dass es nicht so war. Vielmehr dürfte die Angelegenheit ihren ganz normalen Gang genommen haben. Und zwar, wie üblich, einen sehr gemächlichen.

Jedenfalls spricht derzeit einiges dagegen, dass Edathy im Fall Azov-Films eine Sonderbehandlung erfahren hat. Ich schließe das aus dem schlichten Umstand, dass bei anderen Beschuldigten in dem gleichen Komplex ziemlich zeitgleich wie bei Edathy Hausdurchsuchungen stattfanden. Die Vorwürfe sind exakt die gleichen wie gegen Edathy, so dass man von einer zeitlich kooordinierten Aktion der beteiligten Staatsanwaltschaften ausgehen kann.

Dieser Ablauf spricht spricht eher gegen politisches Kalkül. Mann darf den Ermittlern getrost abnehmen, dass solche Ermittlungen nun mal eine gewisse Zeit benötigen. Die deutschen Behörden müssen die Informationen auf ihre Belastbarkeit prüfen und entscheiden, ob ein Verfahren in Deutschland überhaupt in Frage kommt.

Es ist nämlich keineswegs so, dass am Ende jedes Tipps auch tatsächlich juristische Schritte stehen. Mir hat ein Ermittler mal gesagt, es komme auch unheimlich viel „Ausschuss“ von Diensten, mit denen das BKA kooperiert. Er meinte damit Informationen aus Ländern, in denen viel strengere oder komplett andere Gesetze für Kinderpornografie gelten.

Die Auswertung kostet natürlich Zeit. Ein Vorlauf von zwei Jahren ist nach meiner Erfahrung bei solchen Verfahren nicht unbedingt kurz, aber keineswegs auffällig lang. Man kann also nicht unbedingt sagen, die Erkenntnisse seien offensichtlich zurückgehalten worden.

Dass auch bei anderen Beschuldigten, wie gesagt, erst nach so langer Zeit die Polizei vor der Tür stand, spricht für mich eher gegen ein Komplott zu Lasten von Edathy.

Ganz ausschließen kann ich das allerdings auch nicht. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass sämtliche Verfahren mit Blick auf Edathy absichtlich und ohne sachlichen Grund „zurückgestellt“ worden sind. So wäre es in der Tat möglich gewesen, die Informationen gegen den seinerzeitigen Chefaufklärer in der NSU-Affäre in der Hinterhand zu halten.

Trotz aller Merkwürdigkeiten übersteigt das allerdings momentan noch meine Vorstellungskraft.

Unschuldig bis zum Urteil

Tag für Tag gehen Beschuldigte in Untersuchungshaft. Allerdings ist es schon ungewöhnlich, wenn ein hochbetagter Mensch betroffen ist. Oder gleich drei auf einmal. Das war diese Woche der Fall: Gerichte erließen Haftbefehle gegen drei Männer im Alter von 88, 92 und 94 Jahren. Sie stehen im Verdacht, als KZ-Aufseher in den Vernichtungslagern von Auschwitz für Morde verantwortlich oder zumindest an diesen beteiligt gewesen zu sein.

69 Jahre nach Kriegsende gehen die Beschuldigten also in Haft. Genauer gesagt: ins Justizkrankenhaus. Denn, wenig überraschend, keiner der Männer kann offenbar noch in einer normalen Gefängniszelle untergebracht werden. Die Beschuldigten sind gebrechlich, bei zweien sollen sogar die Vernehmungsfähigkeit zweifelhaft sein.

So ein Gesundheitszustand wirft natürlich Fragen auf – an die Justiz. Das vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, wozu Untersuchungshaft dient. Sie soll – kurz gesagt – verhindern, dass Beschuldigte fliehen oder Beweise zur Seite schaffen. Flucht- und Verdunkelungsgefahr, so heißen diese wichtigsten Haftgründe.

Schwer vorstellbar, dass genau diese Haftgründe vorliegen. Der offiziellen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Stuttgart ist jedenfalls nicht genau zu entnehmen, warum die Beschuldigten in Haft müssen. Nach meiner Erfahrung mit 90-jährigen Menschen – wir haben einen in der Familie – scheint es mir persönlich jedenfalls höchst zweifelhaft, ob die Betroffenen in der Lage wären, sich ernsthaft auf die Flucht zu begeben oder Beweismittel, die nicht ohnehin bei der Durchsuchung ihrer Wohnungen gefunden wurden, beiseite zu schaffen.

Ich habe keine große Sympathie für mögliche KZ-Schergen. Genau genommen sogar das Gegenteil. Aber ich rufe mir auch in Erinnerung, dass bei jedem Verdächtigen die Unschuldsvermutung gilt, auch bei schlimmsten und allerschlimmsten Taten. So lange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind, sind die Beschuldigten vor dem Gesetz keine Mörder oder Mordgehilfen. Und bis ein Urteil über sie gesprochen ist, haben sie auch nicht für ihre möglichen Taten zu büßen.

Warum also dann die Untersuchungshaft? Formal macht es das Gesetz den Behörden erst mal leicht. Nach der Strafprozessordnung darf Untersuchungshaft halt auch ohne die eingangs erwähnte Flucht- oder Verdunkelungsgefahr beziehungsweise sonstige Haftgründe verhängt werden, wenn es um so schwere Taten wie Mord geht.

Allerdings bedeutet dies tatsächlich nicht, dass jeder Mordverdächtige ohne jeden Anlass in Untersuchungshaft genommen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich in mehreren Entscheidungen zu dem Thema jedenfalls recht eindeutige Leitlinien vorgegeben: Dass bei Mord grundsätzlich Untersuchungshaft verhängt werden darf, setzt nur die Schwelle für eine Inhaftierung herab – beseitigt wird sie nicht.

Ein Mindestmaß an „Haftgründen“ muss demnach auch bei Mordverdächtigen vorliegen. Und sicher noch ein Tacken mehr, wenn es „nur“ um Beihilfe zum Mord geht. Den Berichten über die Festnahmen ist zu entnehmen, dass selbst die Staatsanwälte kaum davon ausgehen, einem der Verdächtigten einen konkreten Mord nachweisen zu können.

Es wird interessant sein zu erfahren, worin bei so alten Menschen der in jedem Fall notwendige Hauch der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr gesehen wird. Ich hoffe auf eine gute Begründung. Denn ansonsten könnte sich leicht der Eindruck ergeben, dass hier eine Strafe vorweggenommen wird. Eine Strafe, die bei einem rechtsstaatlichen Gang der Dinge schon aus biologischen Gründen voraussichtlich nicht mehr festgestellt, geschweige denn vollstreckt werden kann.

Leider gibt ein Umstand in dem Fall Anlass zur Skepsis. Alle Haftbefehle sind auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart ausgestellt worden. Beschuldigte aus anderen Bundesländern, für die andere Staatsanwälte verantwortlich sind, blieben von der Untersuchungshaft verschont.

Eigenwerbung: „Alles, was Unrecht ist“ – das Buch zum Blog. Jetzt im Buchladen oder als E-Book.

Update: 88-Jähriger Beschuldigter ist wieder frei

Was Opa noch wusste

Die Tage saß ich im Hotel und überlegte so beiläufig, wie ich kurzfristig an einen Festnetzanschluss komme. Ich war nämlich zu einem eiligen Radiointerview verabredet. Ein dumpfes Gefühl sagte mir, dass die Tontechnik garantiert über die Tonqualität aus zweieinviertel Handybalken mosern würde.

Mir kam die Idee, mal unten an der Rezeption zu fragen. Vielleicht hatten die ja eine Möglichkeit, mich irgendwo ein paar Minuten ungestört plaudern zu lassen. Dabei fiel mein Blick auf diesen schwarzen Kasten, der im Zimmer auf dem Nachttisch stand. Es dauerte da ja schon lange, aber endlich kam mir ein verwegener Gedanke.

So ein Hoteltelefon war ja früher auch dazu geeignet, sich von außen anrufen zu lassen. Oder selbst zu sündhaften Preisen – ich erinnere mich an „pro Einheit 99 Pfennig“ – zu telefonieren. Mit dem Handy machte ich die Probe aufs Exempel und wählte die Nummer, die auf einem kleinen Plastikschild am Telefon stand.

Es klappt immer noch.

Keine Beweise sind keine Beweise

Manche Meldungen rauschen im Moment nur so durch, zumindest wenn es um den Fall Sebastian Edathy geht. Eine davon ist der Bericht von Spiegel online, wonach das Amtsgericht Hannover die Durchsuchung von Edathys früheren Diensträumen im Bundestag angeordnet hat. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert; keiner davon ist erfreulich.

Zunächst zeigt der weitere Durchsuchungsbeschluss, dass die Staatsanwaltschaft Hannover nach wie vor schmerzfrei ist und mit dem Kopf durch die Wand will. So wie man das schon aus dem Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff kennt. Auch dort suchen die Staatsanwälte sogar noch im Gerichtssaal nach Strohhalmen, die eine Wendung des Verfahrens bringen könnten.

Dabei war bei Wulff schon von Anfang an klar, dass an der 700-Euro-Korruptionsanklage kaum was dran ist, sich jedenfalls nichts beweisen lässt. „Im Rausch der Ermittlungen“ betitelte die FAZ einen Bericht über den Kampfgeist der niedersächsischen Staatsanwälte. Das war nicht als Kompliment gemeint.

In der Causa Edathy haben sich die Ankläger aus derselben Behörde ebenfalls verrannt. Das zeigt sich gerade an den aktuellen Entwicklungen um Edathys Bundestagsbüro. Man muss sich vor Augen führen, dass sich der extrem vage Anfangsverdacht gegen Edathy bislang in keiner Weise erhärtet hat. Anlass für die Ermittlungen waren zwar Fotos nackter Kinder, die sich Edathy nach eigenen Angaben in Kanada bestellt hat. Nicht schön, aber nicht strafbar. Das mussten auch die Staatsanwälte in ihrer Pressekonferenz einräumen.

Dennoch bejahten sie nicht nur einen Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen. Sie sahen vielmehr auch die Voraussetzungen für eine Hausdurchsuchung gegeben, für die es mehr bedarf als den Anfangsverdacht in seiner simpelsten Form – nämlich der von Fakten losgelösten Spekulation mit der „kriminalistischen Erfahrung“. Das geschah zu Unrecht, wie ich schon in früheren Beiträgen begründet habe.

Nun sind wir aber einen Schritt weiter. Es hat eine Durchsuchung bei Edathy zu Hause stattgefunden. Beweise? Fehlanzeige.

Die Durchsuchung, so rechtswidrig sie auch war, hat somit eine beträchtliche Klarheit geschaffen. Nämlich dass Edathy keine strafbare Kinderpornografie besitzt. Oder, sollte er sie besessen haben, diese jedenfalls nicht mehr auffindbar sein wird.

Keine Beweise bleiben keine Beweise. Spätestens jetzt hätten die Ermittler die Akte schließen müssen. Stattdessen stochern sie ohne tatsächliche Anhaltspunkte weiter im Nebel und ignorieren alle Anforderungen, die das Gesetz ausdrücklich aufstellt.

Nach der Strafprozessordnung darf nur bei jemandem durchsucht werden, der als „Täter“ verdächtig ist. Wie jemand weiter als „Täter“ geführt werden kann, bei dem so eine wichtige Beweisermittlung wie die erste Durchsuchung sogar eine Entlastung gebracht hat, ist mir ein Rätsel.

Zumal die Begleitumstände nicht aus den Auge verloren werden dürfen. Zur Durchsuchung entschlossen sich die Ermittler erst Monate, nachdem kanadische Behörden die Ermittlungen gegen die Filmfirma öffentlich gemacht hat. Edathy konnte sich aus öffentlichen Quellen über die Ermittlungen informieren, so wie jeder andere auch. Und das ist ganz unabhängig von der Frage, ob er zusätzlich noch einen Tipp von dritter Seite erhielt.

Hier kommt eine zweite Voraussetzung ins Spiel, welche die Strafprozessordnung kennt, so wie sie auch in Niedersachsen gilt. Diese Voraussetzung ist es wert, ins Auge gefasst zu werden, zumal sie ziemlich unmissverständlich ist. Nach § 102 darf nur durchsucht werden,

wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

Sowohl die Staatsanwälte als auch der Amtsrichter, der die erneute Durchsuchung abgenickt hat, ignorieren diese Anforderung. Ich warte nur noch auf den Zeitpunkt, wo zum letzten argumentativen Notanker gegriffen wird. Der läge darin zu behaupten, man müsse ja schon aus Fürsorge für den Beschuldigten an allen Wirkungsstätten Edathys einfallen, um auch entlastende Umstände zu ermitteln. Das wäre dann der absolute Tiefpunkt. Aber dem sind wir auch jetzt schon nah.

Auch Vermieter haben eine Ehre

„Sie sind ein Schwein“ ist ein Satz, den man besser nicht zum Vermieter sagen sollte. Zumindest wenn einem die eigene Wohnung lieb ist. Das Amtsgericht München schmiss wegen dieser Äußerung jetzt jedenfalls einen Mann aus seiner Wohnung – wegen unzumutbarem Verhaltens.

Allerdings handelte es sich bei der Schmähung eher nicht um eine Spontanäußerung. Der Vermieter hatte den Mann wohl zur Rede gestellt, weil dieser möglicherweise einen Nachbarn rassistisch beleidigt hat.

Das Amtsgericht München kreidet dem Mann auch an, er habe seinen Vermieter sogar noch im Gerichtsverfahren als Lügner bezeichnet, der nur dumm daher rede. Angesichts dessen sei es dem Vermieter nicht mehr zumutbar, den Mieter im Haus zu dulden (Aktenzeichen 411 C 8027/13).

Ein guter Draht zu Gott

Eine Schmuckhändler aus Nordrhein-Westfalen ging einen ungewöhnlichen Weg, um seine Umsätze zu steigern. Statt in Werbung investierte er in einen spirituellen Berater, der für ihn gegen ein angemessenes Honorar den „Kontakt zu Gott“ suchte.

In einem Punkt konnte der Berater aber nicht helfen. Nämlich den Schmuckhändler dazu zu verhelfen, dass dieser die Honorare von der Steuer absetzen kann.

Das Finanzgericht Münster stellte jetzt in einem sehr weltlichen Urteil fest, es komme nicht darauf an, ob die Firmeneigentümer fest an den Erfolg ihres spirituellen Beraters glauben. Vielmehr komme es darauf an, ob ein objektiver Nutzen für das Unternehmen vorliegt. Diesen Nutzen durch die angebliche Einwirkung eines „höheren Wesens“ konnten die Richter „mangels objektiver Indizien“ nicht feststellen.

Interessant wäre, ob Gott für seine Dienste auch Geld nahm und wie hoch der Stundensatz ist. Das ist im Urteil aber nicht überliefert (Aktenzeichen 12 K 759/13 G,F).