Ich bin kein Freund des BILD-Kolumnisten Franz-Josef Wagner. Aber heute wird ihm Unrecht angetan. Und zwar von höchster Stelle. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, Wagner dürfe die ehemalige bayerische Landrätin Gabriele P. womöglich nicht als „durchgeknallte Person“ bezeichnen. Die Gerichte müssen über P.s Unterlassungsklage neu entscheiden.
Vor dem Oberlandesgericht München, wo die Bild-Zeitung verklagt wurde, war die Sache noch recht eindeutig. Die Politikerin habe keinen Unterlassungsanspruch gegen Wagner, weil seine Bewertung, P. sei eine „durchgeknallte Person“, nicht beleidigend gewesen sei und jedenfalls noch der Meinungsfreiheit unterfalle.
Der Kolumnist äußerte sich im Jahr 2006 in seinem deftigen und – wie bei ihm üblich – wirren Text zu dem Umstand, dass sich Gabriele P. von sich Aufnahmen in Latexhandschuhen hatte fertigen lassen, die später zuerst in der Zeitschrift „Park Avenue“ erschienen.
Das Bundesverfassungsgericht zieht dagegen nun eine Karte, die unserem Land immer wieder für unnötigen juristischen Ärger sorgt. Den Ehrenschutz. In ihrem kurzen Beschluss bejahen die Richter einen weitgehenden Ehrenschutz. Diesen habe das Oberlandesgericht München nicht hinreichend berücksichtigt.
Wagner wird zwar attestiert, er dürfe sich kritische und auch polemisch äußern, die „durchgeknallte Person“ gehe aber zu weit. Wieso das der Fall ist, begründet das Gericht eigentlich nicht. Es bemüht sich eher um Abgrenzung zu einem eigenen anderen Urteil, in dem es die Bezeichnung „durchgeknallter Staatsanwalt“ noch hat durchgehen lassen. Den Unterschied soll nun machen, dass Wagner seinen Text angeblich überlegt zu Papier gebracht hat (was der verbale Schnellschütze Wagner möglicherweise als Ehrkränkung empfinden könnte), während es in dem anderen Fall um eine Spontanäußerung ging.
Nun ja. Ich finde, wir sollten uns eigentlich grundsätzlich nicht so haben. Hier könnten wir durchaus mal was von den USA lernen. Dort kann sich jedermann gerne selbst zum Affen machen, indem er über andere herzieht. Und jeder, der verbal angegangen wird, muss halt grundsätzlich damit leben, dass jemand eine Meinung über ihn äußert, die ihm nicht gefällt.
Überraschenderweise droht den Vereinigten Staaten trotzdem nicht der Untergang, jedenfalls nicht wegen ihrer Liberalität im Äußerungsrecht. Bei uns wird dagegen das Mimosentum gefördert. Das wäre alles nicht so schlimm. Aber der weitreichende Ehrenschutz lädt halt auch zum Missbrauch ein.
Dann wird in Wirklichkeit nicht die Ehre verteidigt, sondern eine Meinungsäußerung wegen ihres Inhalts bekämpft. Dabei spielt die finanzielle Potenz der Beteiligten natürlich immer eine entscheidende Rolle. Wer den Streit um eine Abmahnung nicht durchziehen kann, hält halt lieber vorsorglich die Klappe.
Das ist schlecht in Zeiten, in denen der Einzelne durch das Web erstmals eine hörbare Stimme erhält. Dies unterstützt das Bundesverfassungsgericht, so lange es den Ehrenschutz nicht mal auf ein Mindestmaß zurechtstutzt (1 BvR 194/13).