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Archiv für den Monat: August 2013
Rote Ampeln: Schleichwege sind erlaubt
Dieses Urteil hat das Zeug, bundesweit Ressourcen bei der Verkehrspolizei freizusetzen. Wer eine rote Ampel umfährt, zum Beispiel über das Gelände einer Tankstelle, begeht keinen Rotlichtverstoß. So hat es das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Bisher war es bei vielen Dienststellen durchaus üblich, Autofahrer zur Kasse zu bitten, die eine rote Ampel über einen “Schleichweg” umfahren.
So ging es auch einem 52-jährigen Zahnarzt aus Dortmund. Er bog vor einer roten Ampel auf die links gelegene Tankstelle ab und fädelte sich an der anderen Ausfahrt der Tankstelle wieder in den Verkehr ein.
Die Richter betonen, eine rote Ampel gelte nur den, der sie auch tatsächlich vor sich habe. Das Rotlicht solle aber nicht verhindern, dass jemand vor der Ampel abbiegt und einen zugelassenen Verkehrsweg nutzt. Deshalb liege auch kein indirekter Rotlichtverstoß vor. Das gelte selbst dann, wenn die Ausfahrt der Tankstelle direkt hinter der roten Ampel liege und noch zum “geschützten Bereich” gehöre.
Allerdings weist das Gericht darauf hin, dass es etwas anderes ist, wenn ein Autofahrer die rote Ampel über Gehwege, Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Busspuren umgeht.
Beschluss vom 2. Juli 2013, Aktenzeichen 1 RBs 98/13.
Wann ist ein Fax ein Fax?
Absurdistan liegt mitunter gleich um die Ecke. Also etwa in Kassel. Dort schaut jetzt ein Bürger, der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid einlegen wollte, in die Röhre. Obwohl er alles richtig gemacht hat, ist sein Rechtsmittel zunächst unwirksam – meint jedenfalls ein Amtsrichter.
Der Betroffene wehrte sich per Fax gegen den Bußgeldbescheid. Er schickte seinen Einspruch an die Rufnummer, welche die Bußgeldstelle im Regierungspräsidium angibt. Er wählte damit den hochoffiziellen Weg. Und das sogar erfolgreich. Das Fax ist in der elektronischen Bußgeldakte ordnungsgemäß abgespeichert worden, darüber gibt es auch gar keinen Streit.
Leider erkennt das Amtsgericht Hünfeld ein unlösbares juristisches Problem, und zwar soll dieses in der “modernen” Technik liegen. Die Bußgeldstelle arbeitet nämlich mit Computerfaxen. Das Fax geht bei einer hessischen Behördenzentrale ein, dort wird es als Tiff-Datei abgespeichert und als Anhang einer E-Mail an die Bußgeldstelle geschickt. Diese speichert das Fax dann gleich in der elektronischen Akte ab.
Das reicht allerdings nicht, befindet der Richter. Er meint nämlich aus den gesetzlichen Vorschriften lesen zu können, dass ein Fax nur dann ein Fax ist, wenn es vom Absender nicht nur gefaxt, sondern beim Empfänger auch ausgedruckt wird. Und zwar auf gutem, alten Papier.
Ohne Ausdruck sei das Fax juristisch schlicht nicht geeignet, die vorgeschriebene Form zu wahren. Die Begründung ist kompliziert, läuft aber im Kern auf folgendes hinaus: Der Gesetzgeber hat es bis heute einfach nicht geschafft, die Vorschriften so zu ändern, dass Faxe nicht mehr ausgedruckt werden müssen.
Dass dies misslich ist, sieht der Richter selbst:
Das Gericht verkennt nicht, dass die gegenwärtige Rechtslage dazu führt, dass die Verwaltungsbehörde gezwungen ist, jede eingehende Telefaxsendung auf Papier auszudrucken und das ausgedruckte Schriftstück sogleich wieder einzuscannen, um es zur Ersetzung der Urschrift in ein elektronisches Dokument zu übertragen, während die ausgedruckte Urschrift auf einem Ablagestapel landet.
Der eigentlich Dumme ist allerdings der Bürger. Er kann ja nicht wissen, wie die Bußgeldstelle in Kassel – und andere sicher auch – ihre Faxe verarbeiten. Immerhin meint das Gericht, dass der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen darf.
Aber natürlich möglichst nicht per Fax…
Im Wimmelkästchen
Oft muss es ja schnell gehen. Deshalb hatte ich mich in einer neuen Strafsache erst mal beim Amtsgericht gemeldet. Das Gericht hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss gegen meine Mandantin erlassen. Mit dem Brief wollte ich mitteilen, dass ich die Mandantin vertrete und um Akteneinsicht bitte.
Mir war schon klar, dass das Amtsgericht im Ermittlungsverfahren nicht selbst Akteneinsicht gewährt. Aber leider war es mir nicht möglich, vom Amtsgericht oder von der Polizei das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft zu erfahren. Bei beiden Behörden ging niemand ans Telefon. Am Amtsgericht ebenso wenig.
Eine Nachfrage wäre natürlich unnötig gewesen, hätte das Amtsgericht auf seinem Beschluss nicht nur das eigene Aktenzeichen notiert. Sondern auch das der Staatsanwaltschaft. Das ist sinnvoll, weil es sich ja um ein einheitliches Ermittlungsverfahren handelt. So handhaben es auch die meisten Gerichte.
Im letzten Absatz hatte ich folgendes notiert:
Ich bitte um Weiterleitung dieses Schreibens an die zuständige Staatsanwaltschaft.
Auf die Akteneinsicht wartete ich allerdings vergebens. Das Amtsgericht hat mein Schreiben nämlich nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Sondern es lag noch auf dem Tisch des zuständigen Mitarbeiters, wahrscheinlich irgendwo im Wimmelkästchen.
Als ich höflich nach dem Grund fragte, verschlug es mir dann doch etwas die Sprache. “Wir sind nicht die Poststelle der Staatsanwaltschaft”, erfuhr ich. Deshalb fühle man sich nicht zuständig und unternehme – schlicht gar nichts.
Davon, dass alle Eingänge in der Justiz immer an die Stelle weitergeleitet werden müssen, wo sich die Originalakte befindet, damit sie dort eingeheftet werden können, wollte der gute Mann partout noch nichts gehört haben. Ebenso wenig interessierte er sich dafür, dass ich in der Sache jetzt natürlich Zeit verloren hatte.
Na ja, eine Debatte schien mir sinnlos. Immerhin war der Herr nun gönnerhaft bereit, mir das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft zu geben. Dann lasse ich das Schreiben halt noch mal ausdrucken. Auf eine Beschwerde habe ich, ehrlich gesagt, keine Lust. Das Amtsgericht ist klein und liegt weit weg.
Sollen sich die Kollegen vor Ort drum kümmern oder, wie es aussieht, so was eben mit sich machen lassen. So schnell komme ich da wohl voraussichtlich nicht mehr hin, denn mein Verfahren wird ohnehin eingestellt. So viel hat mir der Staatsanwalt, den ich jetzt ja anrufen konnte, nämlich schon in Aussicht gestellt.
Super Stoff
Auf dem Papier sah es für meinen Mandanten nicht sonderlich gut aus. Er hatte bei einem neuen “Lieferanten” Koks bestellt. Für exakt 1.000 Euro, weil man als Großkunde halt das eine oder andere Gramm mehr bekommt. An die richtige Adresse war der Mandant aber nicht geraten – zwei Tage später kriegte er Hausbesuch von der Polizei.
Zu einem Haftbefehl kam es glücklicherweise nicht. Der Mandant lebt in, wie man das so nennt, geordneten Verhältnisse. Er stand auch nicht im Verdacht, mit dem Zeug zu handeln. Auf der anderen Seite sind die bei ihm beschlagnahmten 9,1 Gramm netto (also der reine Wirkstoff) aber keineswegs ein Pappenstiel.
Die “nicht geringe Menge” fängt bei 5 Gramm Wirkstoff an, ab da reden wir zum Einstieg schon gleich über ein Verbrechen. Mindeststrafe: 1 Jahr. Es gibt auch Richter, die bei solchen Mengen durchaus überlegen, ob sie überhaupt noch zu einer Bewährungsstrafe kommen. Zu allem Überfluss hat mein Mandant auch noch einen Beruf, wegen dem er einer Kammer angehört. Die Kammern orientieren sich durchaus gern mal am Beamtenrecht. Ein Beamter, der wegen eines Verbrechens verurteilt wird, verliert seinen Job.
Das waren keine sonderlich guten Voraussetzungen für den unvermeidlichen Strafprozess. In solchen Fällen gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit: das Gericht zu überzeugen, dass ein minder schwerer Fall vorliegt. Das verschiebt den Strafrahmen nach unten, so dass auch weniger als ein Jahr Freiheitsstrafe rauskommen kann.
Ich sammelte natürlich alle Dinge, die für meinen Mandanten sprechen. Da kam einiges zusammen, aber zwingende Gründe für einen minder schweren Fall gab es nicht. Allerdings gab es noch einen Umstand, den zumindest der Staatsanwalt vor der Verhandlung nicht gesehen hatte.
Es ging um den Stoff, den mein Mandant gekauft hatte. Wenn man das Wirkstoffgutachten aufmerksam las, fiel eines auf. Jemand hatte meinem Mandanten extrem reines Zeug angedreht. Laut Gutachten machte der Wirkstoff 89 Prozent der Gesamtmenge aus. Normalerweise gelten schon 30 bis 40 Prozent als Handelsklasse A.
Der Staatsanwalt erwähnte in seinem Plädoyer diesen Umstand mit keinem Wort. Ich dagegen schon. Die Argumentation war folgende: Mein Mandant hat Ware von einer Qualität erhalten, mit der er ernsthaft nicht rechnen konnte. Guten Gewissens konnte ich darauf verweisen, dass mir trotz der drei, vier Drogenmandate seit Beginn meiner Antwaltstätigkeit noch kein Kokain-Fall untergekommen ist, bei dem die Wirkstoffkonzentration nennenswert über 40 Prozent lag.
Auf diese Weise konnte ich knapp 50 Prozent der Menge aus dem Vorsatz rausrechnen. Zwar nicht im technischen Sinne, aber halt im Rahmen des bereits erwähnten “minder schweren Falles”. Immerhin hätte mein Mandant die nicht geringe Menge nicht überschritten, wenn er das bekommen hätte, was als guter Stoff gilt.
Zu meiner großen Freude griff die Richterin das Argument auf, die Schöffen hatten schon bei meinen Plädoyer zustimmend genickt. So lagen war am Ende bei einer Freiheitsstrafe von gerade mal neun Monaten auf Bewährung. Damit dürften insbesondere die berufsrechtlichen Komplikationen gebannt sein.
Für meinen Mandanten war das natürlich eine große Erleichterung. Er hatte nun anderthalb Jahre gebangt, auch um die Zukinft seiner zwei Kinder. Mit den Drogen hat er schon direkt nach der Hausdurchsuchung Schluss gemacht. Auch das konnte er natürlich mit Attesten belegen.
Ein Zauderer
Gegen ein Strafurteil des Amtsgerichts habe ich für meine Mandantin Berufung eingelegt. Das ist ganz normales Alltagsgeschäft, denn mit einer Berufung brennt erst mal nichts an. Zurücknehmen lässt sich das Rechtsmittel immer noch, sogar im späteren Verhandlungstermin.
In dem Fall habe aber nicht nur ich, sondern auch der Staatsanwalt Berufung eingelegt. Das ist natürlich sein gutes Recht. Etwas komplizierter wurde es dadurch, dass ich eigentlich keinen Wert darauf lege, dass die gesamte Verhandlung – wie vorgeschrieben – noch mal wiederholt wird.
Meine Mandantin hatte nämlich gestanden. Jetzt ging es nur noch darum, die Strafe in der nächsten Instanz noch etwas zu reduzieren. Zum Beispiel mit der Begründung, dass zwischen dem ersten Urteil und der neuerlichen Verhandlung ja wieder etliche Monate lagen, in denen sich meine Mandantin tadellos geführt hat.
In so einem Fall lässt sich die Berufung auf das Strafmaß beschränken. Dann wird nur noch über die Höhe der Strafe verhandelt. Allerdings beschränke ich die Berufung natürlich nur dann, wenn auch der Staatsanwalt mitzieht. Ich rief ihn also an und fragte, ob er ähnliche Gedanken hegt wie ich (allerdings natürlich in umgekehrter Richtung, nämlich mit dem Ziel einer härteren Strafe).
Genau so war es. Ich bot also an, dass wir übereinstimmende Erklärungen ans Gericht senden. Doch der Staatsanwalt beharrte auf Vorleistung. Er wollte partout, dass ich als erster die Berufung beschränke. Sein Schreiben wollte er erst absenden, wenn er eine Bestätigung vom Gericht erhalten hat, dass meine Erklärung vorliegt.
Ich fragte ihn natürlich, ob er Misstrauen gegen mich hegt. Normalerweise wird in der Justiz zwar durchaus mit harten Bandagen gekämpft, aber dreiste Verarsche gehört nicht dazu. Er wollte aber nicht so recht mit der Sprache raus. Da ich den Mann aber bislang nicht kannte und ihn dementsprechend nicht einschätzen konnte, musste ich mir meine Gedanken machen.
Jetzt einfach so in Vorleistung zu treten, war mir jedenfalls zu riskant. Ich rief also die Richterin an und erzählte ihr, woran die Beschränkung derzeit scheiterte. Erwartungsgemäß war die Richterin natürlich daran interessiert, die Sache überschaubar zu halten. Deshalb musste ich sie auch nicht lange überzeugen, dass sie für einfach mal die Zeugin spielt.
Sie telefonierte also ebenfalls mit dem Staatsanwalt und ließ sich bestätigen, dass er die Berufung zurücknimmt, sobald ich das getan habe. So hatte ich wenigstens einen “Beleg”, falls der Staatsanwalt tatsächlich tricksen wollte.
Das hat er aber nicht getan. Seine Berufungsbeschränkung ging postwendend ein. Ich habe danach noch mal einen Anwaltskollegen angerufen, den ich in der Region kenne. Er konnte mich beruhigen. “Der Staatsanwalt ist ein Zauderer vor dem Herrn”, erzählte er. “Mit dir hat das garantiert nichts zu tun.” Ich werde es mir trotzdem merken – vielleicht lässt sich dieses Wissen ja in der Verhandlung nutzen.
Die 3-Sekunden-Regel
Wer im Straßenverkehr zu wenig Abstand hält, muss sich auf ein Bußgeld einrichten. In krassen Fällen droht sogar ein Fahrverbot. Allerdings ist der Fahrer ja nicht immer schuld, dass der Abstand zum Vordermann zu niedrig ausfällt. Das Oberlandesgericht Hamm stellt jetzt Regeln auf, ab wann ein Abstandsverstoß geahndet werden kann.
Die Faustregeln sind ziemlich einfach: Wer länger als drei Sekunden zulässt, dass der Abstand zum Vordermann geringer ist als erlaubt, der muss zahlen. Dabei spielt es nach Auffassung der Richter auch keine Rolle, ob ein Fahrzeug eingeschert ist oder der Wagen vorne gebremst hat.
Autofahrern bleibt also nicht sonderlich viel Zeit, den Abstand wieder herzustellen. Noch kritischer wird es für Pkw-Lenker, welche die Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern überschreiten. Um schneller Autofahrer nicht zu bevorzugen, reicht es laut den Richtern auch aus, wenn der Abstand auf einer Wegstrecke von 140 Metern nicht eingehalten wird (Beschluss vom 9. Juli 2013, Aktenzeichen 1 RBs 78/13).
Volksverhetzung, aber ja
Gestern hat ja mal die Polizei auf Schalke randaliert, und jetzt wirft ihr brutaler Einsatz Fragen auf. Zum Beispiel, wieso die Polizei ausgerechnet massiv mit Pfefferspray gegen jene Fans vorgeht, die gar nichts gemacht haben. Und wieso sie nichts gegen die andere – griechische – Fangruppe unternimmt, obwohl diese laut Polizei gedroht haben soll, den Block der “Gegner” zu stürmen.
Als einzige Erklärung hat die Gelsenkirchener Polizei bislang verlauten lassen, die griechischen Fans hätten sich durch eine einzige (!) Fahne provoziert gefühlt, die im Block der Schalker Ultras gezeigt worden sein soll. Dabei handelt es sich um eine inoffizielle Flagge Mazedoniens, die von Griechenland nie anerkannt worden ist. Seit dem Streit mit den Griechen um den “Stern von Verginia” nutzt Mazedonien ein anderes offizielles Staatssymbol.
Ich könnte jetzt noch viel über die griechisch-mazedonische Rivalität (aus der Wikipedia ab)schreiben. Der Konflikt hat seine Ursprünge natürlich längst nicht nur in einer Fahne. Aber im aktuellen Fall führt das zu herzlich wenig. Vielmehr reicht es, die Gelsenkirchener Polizei an ihren eigenen Worten zu messen. Das Zeigen der Flagge, so ließ sie verlauten, habe nämlich zum Anfangsverdacht der Volksverhetzung geführt. Um dies aufzuklären und die erbosten griechischen Fans zu stoppen, sei der Zugriff im Lager der Schalker Ultras nötig gewesen.
Volksverhetzung, ach so. Darauf kann man eigentlich nur kommen, wenn man noch nie einen Blick in den betreffenden Paragrafen geworfen hat. (Die Pressesprecherin der Polizei hatte das offensichtlich noch nicht mal getan, als sie schon den Einsatz rechtfertigte.) Wie eine Flagge Volksverhetzung sein soll, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Volksverhetzung setzt – verkürzt – voraus, dass gegen eine bestimmte Personengruppe zu Hass und Gewalt aufgerufen oder die Menschenwürde angegriffen wird. Das passt vorne und hinten nicht. Überdies müsste die Aktion auch noch geeignet sein, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören. Wie das mit einer einzigen Fahne klappen soll, die praktisch 100 % der Menschen im Stadion und außerhalb rein gar nichts sagt, bleibt das Geheimnis der Polizei.
Der aus dem Hut gezauberte Volksverhetzungsparagraf ist nicht mehr als der hilflose Versuch, einen Übergriff zu legitimieren, für den man sich durchaus einfach mal entschuldigen könnte. Vielleicht verbunden mit der Zusage, künftig etwas genauer zu überlegen, welche Maßnahmen erforderlich sind.
Die fehlende Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes wäre nämlich auch ein Thema. Aber womöglich sind die Stadien in NRW längst so was wie eine Zone, in der die normalen Gesetze nicht mehr so richtig gelten.
Vorbildlich
Immer noch ungeklärt ist, wie das “Privatvideo” eines Polizeibeamten auf Youtube gelandet ist. Der Saarbrücker Polizist hatte vom Beifahrersitz aus den Transport eines Gefangenen gefilmt, der unter Drogen zu stehen scheint.
Fest steht: Der Polizeibeamte hat das Video mit seinem privaten Handy aufgenommen. Allerdings bestreitet er nach Informationen der Saarbrücker Zeitung vehement, das Video auf Youtube hochgeladen zu haben. Seit drei Monaten bemüht sich die Staatsanwaltschaft nun, den Weg des Videos zu verfolgen. Die Aufnahme selbst ist immerhin schon drei Jahre alt. Im Juni tauchte sie erstmals auf Youtube auf und macht seitdem unter dem Titel “Da kotzt er” die Runde.
Es ist erfreulich, wie ernst die Staatsanwaltschaft Saarbrücken in diesem Fall die Unschuldsvermutung nimmt. Bei anderen Gelegenheiten kommt es nämlich leider oft genug vor, dass Strafverfolger in solchen Konstellationen viel zu kurz denken. Dass jemand ein Video gemacht oder es zumindest auf seiner Hardware gespeichert hat, wird dann vorschnell als ziemlich gewichtiges Indiz gewertet, dass er auch was mit der Verbreitung des Streifens zu tun hat.
Oft artet das auch in eine regelrechte Umkehr der Beweislast aus, nach dem Motto: “Das kann jeder sagen. Dann erklären Sie uns doch mal, dass Sie die Aufnahme nicht verbreitet haben.” Selbst vor Gericht ist diese Situation häufig anzutreffen. Wenn etwas der Lebenserfahrung widerspricht oder zu widersprechen scheint, muss “Butter bei die Fische” gegeben werden. Etwa in der Form, dass der Beschuldigte doch mal sagen soll, an wen er den Film weitergeleitet hat. Oder wer sonst so mit seinem Handy spielen darf.
Insgesamt ist es schön, mal in der Praxis zu sehen, dass die Strafprozessordnung wider allen Unkenrufen doch noch sehr ernst genommen wird.
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Wesentlich einfacher
Vor kurzem versuchte ein Polizeibeamter, meinen Mandanten auf die Wache zu zitieren. Er wollte meinen Mandanten als Zeugen vernehmen.
Das möchte mein Mandant aber nicht. Er muss auch nicht als Zeuge bei der Polizei aussagen. Das muss niemand. Hierfür muss man sich auch nicht rechtfertigen.
Doch der Beamte blieb beharrlich. Er wollte dann mit meinem Mandanten persönlich über dessen “Mitwirkungspflichten” sprechen. Vermutlich in der Hoffnung, dass mein Mandant sich an Ort und Stelle dann doch erweichen lässt.
Tat er aber nicht. Stattdessen bat er mich, dafür zu sorgen, dass sein Wunsch mal zur Kenntnis genommen wird. Ich sagte nochmals, dass mein Mandant bei der Polizei keine Aussage machen will. Und fragte, auf welche Mitwirkungspflichten der Beamte sich denn bezieht. Das war freundlich gemeint, vielleicht sind mir diese Pflichten ja in meinen 18 Jahren als Strafverteidiger schlicht entgangen.
Wie auch immer, nun kam ein Schreiben der Amtsanwaltschaft. Diese teilte meinem Mandanten mit, er solle als Zeuge vernommen werden – bei der Polizei. Deshalb, so die zuständige Mitarbeiterin, habe sie die Akte der Polizeidienststelle zurückgeschickt.
Von dort werde mein Mandant “nochmals eine Vorladung” erhalten. Ich frage mich, rede ich gegen eine Wand? Daran ändert letztlich auch der beiläufige Hinweis der Amtsanwältin nichts, dass mein Mandant möglicherweise vor ihr erscheinen muss, wenn er bei der Polizei nichts sagt.
Mir und meinem Mandanten ist das durchaus bekannt. Wieso aber die Pflicht, als Zeuge bei der Staatsanwalt zu erscheinen, jetzt auf wundersame Weise dazu führen soll, dass mein Mandant doch mit der Polizei spricht, ergibt sich aus dem Brief nicht.
Aber halt, ein kleiner Hinweis ist enthalten. Es sei doch im Ergebnis “wesentlich einfacher”, wenn mein Mandant bei der Polizei erscheint. Fragt sich nur für wen – ich habe da allerdings jemanden im Auge.
Sprachkunstwerk
In Griesheim, das ist bekannt, spioniert die NSA. Nachdem interessierte Bürger dem “Dagger”-Komplex mehrere Besuche abgestattet haben, stellte die Militärverwaltung nun neue Schilder auf. Diese lassen sich so verstehen, dass Fußgänger den Eberstädter Weg nicht entlanggehen dürfen.
Kleines Problem: Die Straße ist öffentlicher Grund, und hier hat erst mal lediglich die Gemeinde was zu sagen. Die örtliche Bürgermeisterin Gabriele Winter reagiert dementsprechend säuerlich:
Das ist und bleibt eine öffentliche Straße und jeder kann dort fahren, radeln oder spazieren gehen. Wir werden den Eberstädter Weg von Griesheimer Seite aus jedenfalls nicht sperren.
Unklar ist allerdings noch, ob die Amerikaner wirklich normale Passanten mit einem Verbot belegen wollen. Das Schild bietet jedenfalls zahlreiche Auslegungsmöglichkeiten.
Es wendet es sich an “All Personnell”. Damit dürftem – zumindest auf dem Papier – die eigenen Mitarbeiter gemeint sein. Wird denen nun das Gehen auf dem Griesheimer Weg untersagt. Oder weist das Schild die Mitarbeiter darauf hin, dass Fußgängerverkehr Dritter nicht erlaubt ist und das amerikanische Personal entsprechend einschreiten darf?
Sprachlich ist da viel Luft drin. Was bleibt ist der Fakt, dass die Schilder offensichtlich eine Reaktion auf die unerwünschten Besuche am Dagger-Komplex sind (auch die deutsche Polizei wurde bereits gerufen). Die Schilder erwecken jedenfalls auch erst mal bei Passanten den Eindruck, dass der Eberstädter Weg entlang des Dagger-Komplexes zu Fuß nicht begangen werden darf.
Egal, wie das Sprachkunstwerk nun zu verstehen ist – der Einschüchterungseffekt ist jedenfalls einkalkuliert. Zumindest das lässt sich eindeutig feststellen.
Durchsage
Kurze Durchsage:
Sachliche Beiträge in diesem Blog sind immer willkommen. Aber nur so lange auch andere noch zu Wort kommen.
Wir werden ab sofort verstärkt darauf achten, dass die Kommentarspalte lesbar bleibt.
“Von erheblicher Bedeutung”
Foto-Fahndung mit Bildern von Überwachungskameras kommt anscheinend in Mode. Dabei stellt die Polizei aber nicht nur Bilder von Tatverdächtigen ins Netzt, sondern zunehmend auch Fotos von Zeugen, denen selbst gar keine Straftat zur Last gelegt wird. Nach dem Mann, dem sein Skateboard abhanden gekommen war und dessen Bild nach über drei Wochen noch immer in der Online-Presse abrufbar ist, hat mich ein Leser auf die nächste fragwürdige Fahndung aufmerksam gemacht.
Diesmal sucht die Leipziger Polizei nach einer Frau. Sie soll, so berichten Zeugen, in den Abendstunden in Grünau mit der Bahn Richtung Plovdiver Straße gefahren sein. In Höhe der Kiewer Straße sei sie von Jugendlichen beschimpft und bespuckt worden. Zwei Männer seien aber eingeschritten, worauf die Jugendlichen von der Frau abließen.
Das Bild der möglicherweise Betroffenen streute die Leipziger Polizei über ihren normalen Presseverteiler. Die regionalen Medien haben das Thema natürlich aufgegriffen und brav das Foto abgedruckt. Natürlich auch in den Online-Ausgaben, siehe etwa hier.
Auch in diesem Fall liegen die Voraussetzungen für eine Foto-Veröffentlichung nicht vor. Dabei spielt es noch nicht mal eine Rolle, ob die Polizei im Vorfeld alle Mittel ausgeschöpft hat, den Namen der Zeugin anderweitig zu ermitteln. So ist sie insbesondere verpflichtet, erst mal alle konventionellen Methoden auszuschöpfen. Im übrigen müsste sie auch überlegen, ob es in so einem Fall nicht ausreicht, die Frau in der Mitteilung zu beschreiben.
Selbst wenn das alles geschehen sein sollte, liegt aber keine “Straftat von erheblicher Bedeutung” vor. Genau diese verlangt das Gesetz aber, um nach einem unbekannten Zeugen öffentlich zu fahnden. Die Vorschrift soll genau das verhindern, was nun passiert – dass wegen eines geringfügigen Anlasses die Persönlichkeitsrechte einer Bürgerin auf der Strecke bleiben.
Offensichtlich hat die Frau sich ja noch nicht mal selbst an die Polizei gewandt. Ihre Gründe hierfür sind egal. Niemand muss eine Straftat – von exotischen Ausnahmen abgesehen – anzeigen, wenn er es nicht möchte. Rechtfertigen muss man sich dafür nicht.
Es spricht also schon viel dafür, dass die Betroffene ihre Gründe hatte, keine Anzeige zu machen. Nun wird sie wegen eines geringfügigen Anlasses öffentlich bloßgestellt und selbst Gegenstand von Begehrlichkeiten. Nämlich denen der Polizei, die eine “Jugendbande” zur Strecke bringen möchte.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Frau damit ein zweites Mal zum Opfer wird. Vielleicht wird es Zeit, dass Betroffene mal gegen solche Aktionen klagen. Wenn schon ein Blick ins Gesetz nichts hilft, hält vielleicht ein stattliches Schmerzensgeld Polizeidienststellen künftig von solchen Methoden ab.
Sofern ein Richter die Veröffentlichung durchgewinkt haben sollte, ist auch das kein Trost. Sondern nur ein weiteres Beispiel dafür, dass der Richtervorbehalt in vielen Fällen nur noch Dekor ist.
Voreilig festgelegt
In England war die Reise erst mal zu Ende. Die britischen Behörden hielten den Lebensgefährten des Enthüllungs-Journalisten Glenn Greenwald fest. Greenwald veröffentlicht die die Unterlagen des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden. Die Beamten nötigten David Miranda die Passwörter für seine Hardware ab und behielten die Rechner ein. Erst nach neun Stunden Verhör, in dem Miranda nach eigenen Angaben mit Gefängnis bedroht wurde, durfte der Brasilianer in seine Heimat weiterfliegen.
Verstörend ist das alles vor allem, weil von den britischen Behörden nicht ein Wort der Entschuldigung über die Lippen kommt. Im Gegenteil, sie fühlen sich im Recht. Dabei berufen sie sich auf die Antiterrorgesetze im Land. Diese sehen in der Tat vor, dass Verdächtige einfach so festgehalten werden dürfen. Bis zu einem halben Tag und ohne Anspruch auf Rechtsbeistand.
Allerdings dürfte bei David Miranda nicht mal der leiseste Verdacht bestehen, dass er in terroristische Aktivitäten verwickelt ist. Er hilft Glenn Greenwald bei der Aufarbeitung der Snowden-Papiere. Das ist sicherlich etwas, was der britischen Regierung nicht gefällt. Aber mit den Gründen, wegen denen die harschen Vorschriften erlassen wurden, hat das alles nichts zu tun. Das alles ist ein offensichtlicher Missbrauch der gesetzlichen Befugnisse, zumal ja irgendwo auch noch die Pressefreiheit eine Rolle spielt, die es auch im EU-Land England noch geben soll.
Die Maßnahme war auch nicht der Alleingang eines eifrigen Beamten. Die USA waren laut dem Guardian nämlich im Vorfeld informiert, auch wenn Amerika nach eigenen Angaben keine aktive Rolle spielten. Absehbar war außerdem, dass ein öffentlicher Aufschrei (und den gibt es in England gerade) unausweichlich sein dürfte. So ein panisches Verhalten von offizieller Seite lässt den Schluss zu, dass mit den bisherigen Snowden-Enthüllungen noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist – auch wenn wir schon an den bisherigen Kenntnissen noch lange zu verdauen haben werden.
Ins Bild passt da auch, was der Guardian-Chefredakteur, in dessen Blatt die meisten Snowden-Unterlagen veröffentlicht werden, nun an versuchter Einflussnahme berichtet hat. Er schildert Kontakte mit hochrangigen Regierungsvertretern, die im Kern auf Nötigung hinausliefen. Am anschaulichsten ist aber die Schilderung, wie Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes persönlich überwachten, wie Festplatten und ein iMac im Keller des Guardian zerstört werden mussten.
Natürlich hat man beim britischen Geheimdienst schon mal was von Sicherungskopien gehört. Aber die offensichtliche Unsinnigkeit solcher Aktionen macht das Verhalten der Behörden noch abstoßender. Offenbar geht es ihnen schlicht um Einschüchterung. Solche Ereignisse verortet man sonst eher in Russland.
Wir Deutschen können da natürlich erst mal nur zusehen. Aber diese passive Rolle wäre verfehlt. Hier handeln unsere geschätzten und zuverlässigen Partner. Jedenfalls sind sie dies aus Sicht der Bundesregierung. Die weiß ja schon heute, dass die Briten sich strikt an Recht und Gesetz halten – obwohl von dort noch kein Ton zu den Überwachungsmaßnahmen gekommen ist.
Solche Festlegungen sind im Licht der aktuellen Ereignisse nicht nur voreilig. Sie sind geradezu lächerlich.