Der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes möchte das Internet zum “öffentlichen Raum” erklären. Wer online kommuniziert, hätte demgemäß keinen Schutz seiner Privatsphäre zu beanspruchen. Das hat Behördenvize Jürgen Maurer bei einem Polizeikongress erklärt, berichtet Spiegel online. Damit spricht Maurer Bürgern Schutz vor staatlicher Überwachung ab. Wie das im Rahmen unserer Verfassung überhaupt möglich sein soll, verrät er allerdings nicht.
Ein Abschied von jeder Privatsphäre im Netz ist eine groteske und beängstigende Vision. Sie befriedigt ein pervertiertes Sicherheitsstreben in Richtung einer Totalüberwachung, wie es uns die amerikanische NSA und der britische Geheimdienst gerade in der Praxis “vorgestellt” haben – gegen unseren Willen. Anscheinend wecken die Arbeitsmöglichkeiten von Maurers Kollegen in den USA und England aber nicht nur Verachtung, um ein Wort der Kanzlerin in anderem Kontext aufzugreifen, sondern offensichtlich Begehrlichkeiten unserer Polizei.
Mit der Bestandsdatenauskunft und der (immer noch geplanten) Vorratsdatenspeicherung soll es also nicht getan sein. Hier benötigen die Behörden immerhin noch konkrete Anlässe, um auf Datenbestände zugreifen zu können. So niedrig die Schwelle hierfür auch sein mag. Online kommunizierte Daten dagegen als vogelfrei zu deklarieren, eröffnet dagegen den Zugriff nach Belieben. So wie wir die Online-Ausgabe der FAZ aufrufen dürfen, so einfach sollen Ermittler auf private Kommunikation zugreifen? Ersteres ist öffentlich, private Daten sollen es werden. Mal im Ernst: Welcher Beamte kann sich so was ausdenken, so lange er für sich in Anspruch nehmen möchte, noch wenigstens mit einem Bein auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen?
Klar ist nämlich: Privat- und Intimsphäre, aber ebenso die Korrespondenz und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen, sind nicht an einen Transportweg gebunden. Es gibt keinen Grundsatz dahingehend, dass das gesprochene Wort nur geschützt ist, so lange Personen direkt miteinander sprechen – und nicht via Skype. Gleiches gilt für E-Mails, Chats und all die anderen Formen, in denen private Informationen online übermittelt werden. Weil das Medium keinen Unterschied macht, hat das Bundesverfassungsgericht auch das “Recht auf informationelle Selbstbestimmung” ausgeformt und damit dem Grundgesetz ein notwendiges Update verpasst.
Überdies muss man sich vor Augen führen, dass heute praktisch alles zu diesem Internet gehört. Ein “Festnetz” im früheren Sinne gibt es für Telefongespräche zum Beispiel längst nichts mehr. Fast jeder Datenaustauch ist heute IP-basiert. Dadurch wird die Kommunikation aber doch nicht zweitklassig.
Wer das Internet zum öffentlichen Raum definiert, kann ebenso gut die Briefzensur wieder einführen. Eigentlich wäre es nur ehrlich, wenn der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes auch dieses fordern würde (hier leisten die USA ja derzeit Vorarbeit). Einen großen Unterschied beim Raubbau unserer Grundrechte machte das dann auch nicht mehr.
Nachtrag: Ich habe leider übersehen, dass die Äußerung des BKA-Vizepräsidenten schon etwas älter ist. Dessen ungeachtet ist das Thema aber nach wie vor aktuell.