Die Kaution ist bei deutschen Strafrichtern nicht sonderlich beliebt. Die weitaus meisten Jugendrichter lehnen eine Sicherheit, mit der die Fluchtgefahr ausgeschaltet werden soll, kategorisch ab. Aber auch bei Erwachsenen wird die Kaution nur spärlich eingesetzt. Um so erfreuter war ich, als ein Haftrichter die Tage wenigstens über eine Sicherheit mit sich reden lassen wollte.
Ich hatte schon alles ins Feld geführt, was ich an Argumenten hatte. Dass mein Mandant schon nicht das Weite suchen wird, denn er hat Wohnung und Arbeitsplatz. Dass er zwar keine enge Bindung an seine Eltern hat und es mit einer festen Freundin derzeit dürftig aussieht, er aber doch auf jeden Fall seinen Reisepass abgeben und sich mehrmals in der Woche auf der Polizeistation melden kann.
Ich merkte schon, der Richter schwankte. Da blieb nur, dezent auf das Sparguthaben meines Mandanten hinzuweisen. Er hat ja immer von einem kleinen Häuschen geträumt, nicht aber von einer Einzelzelle in der Untersuchungshaftanstalt. Der Richter studierte eingehend den Kontoauszug, den ich zum Glück vorlegen konnte. “Das ist ja schon ein schönes Sümmchen, das wollen Sie doch sicher behalten.” Der Mandant nickte eifrig.
Wir gingen noch andere Punkte durch, aber so richtig konnte der Richter sich nicht aufraffen. “Ich muss mir das noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen”, sagte er. “Ich teile Ihnen dann morgen die Entscheidung mit.” Mein Mandant durfte also erst mal wieder zurück in die Zelle.
Ich bemühte mich schon mal vorsorglich darum, die in Rede stehende Summe zu organisieren. Denn es reicht nicht aus, die Barmittel für die Kaution zu haben, sie muss auch bei Gericht “hinterlegt” werden. Die Justiz nimmt zwar auch Schecks, allerdings muss der Betroffene dann bis zur endgültigen Gutschrift warten. Das dauert bekanntlich schon mal bis zu acht Tagen. Ich kenne keinen Mandanten, der das noch auf sich nehmen würde, wenn die sofortige Entlassung winkt. Bargeld ist also die einzig vernünftige Option.
Ich musste noch mit einem Bekannten meines Mandanten telefonieren, der Zugang zum Konto hatte. Dann war mit der Bank zu klären, dass die Summe auch tatsächlich bar vorhanden ist. Es war dann bereits alles vorbereitet, um das Bargeld auf die Gerichtskasse zu tragen, als ich überraschenderweise am nächsten Morgen einen Anruf meines Mandanten erhielt. Er stand vor der Tür des Gefängnisses – und zwar auf der angenehmeren Seite. Der Richter hatte ihn wenige Minuten zuvor tatsächlich rausgelassen. Allerdings standen im Haftverschonungsbeschluss nur die Meldeauflage und ein Reiseverbot ins Ausland, von der Kaution war keine Rede mehr.
Ich dachte ehrlich gesagt zunächst, die Schreibkraft hat den Teil mit der Kaution vergessen. Das war aber nicht so, wie eine Nachfrage bei der Geschäftsstelle ergab. Bei Gelegenheit muss ich den Richter mal fragen, wieso er die Sicherheit letztlich nicht mehr für notwendig hielt. Mein Mandant hat sich jedenfalls gefreut, dass er nun doch nicht pleite ist und womöglich einen Pflichtverteidiger braucht. Ich übrigens auch.