Wer auf der Flucht ist, kann sich später nicht beschweren, dass ihn gerichtliche Schreiben nicht erreicht haben. Ein Angeklagter hatte bei Gericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, weil er die schriftliche Begründung eines gegen ihn ergangenen Urteils nach eigenen Angaben nicht erhalten hatte. Nach den Feststellungen des Gericht war er allerdings flüchtig, als ihm das Urteil zugeschickt werden sollte.
Die eigentliche Zustellung war ohnehin an seinen Verteidiger erfolgt, weil dieser dem Gericht eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte. Das Gericht wollte dem Angeklagten allerdings – wozu es grundsätzlich verpflichtet ist – formlos eine Abschrift zukommen lassen. Die Übersendung per Post scheiterte jedoch daran, dass der Angeklagte aus der Jugendhaftanstalt geflüchtet war. Logischerweise hatte er dem Gericht keine neue Anschrift mitgeteilt.
Das Dilemma wäre wohl gar nicht entstanden, wenn sich der Angeklagte zumindest mal bei seinem Anwalt gemeldet hätte. Oder dem Anwalt eine Kontaktmöglichkeit gegeben hätte, sofern sich was in seinem Fall ereignet. Der Anwalt hätte ihm dann sagen können, dass Post für ihn gekommen ist.
Wenn ein Verteidiger mit einem flüchtigen Mandanten spricht, ist das absolut legal. Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, die Behörden zu informieren, wenn sein Mandant mit ihm Kontakt aufnimmt. Er muss auch keine “Spuren” für die Ermittler dokumentieren, etwa im Display angezeigte Rufnummern. Im Gegenteil: Ein Verteidiger beginge sogar Parteiverrat, wenn er den Aufenthaltsort seines Mandanten von sich aus preisgibt, zumindest so lange dieser nicht damit einverstanden ist.
Dabei hat ein Anwalt noch nicht mal eine großartige Sonderrolle. Auch sonst ist kein Bürger verpflichtet, flüchtige Personen zu melden. Gemeldet werden muss nur, wenn schwere Straftaten drohen, nicht wenn sie möglicherweise schon begangen wurden. Wer allerdings nur weiß, wo sich ein Gesuchter aufhält, muss nichts melden. Auch nicht auf Nachfrage, da – worauf ich ja gerne hinweise – ohnehin kein Zeuge mit der Polizei sprechen muss. Auch wenn Polizeibeamte gern das Gegenteil behaupten.
Strafbar ist es allerdings, wenn man gewissen Grenzen überschreitet. Wer einem Gefangen etwa bei sich wohnen lässt, ihm sein Auto leiht oder mit Geld unterstützt, riskiert Strafverfolgung. Zum Beispiel wegen Strafvereitelung. Diese Grenze gilt übrigens auch für Strafverteidiger. Deshalb habe ich es neulich auch mal abgelehnt, einen stattlichen Betrag per Western Union an ein sonniges Plätzchen zu überweisen.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 22. Februar 2013, Aktenzeichen (4) 161 Ss 38/13 (41/13)