Die Debatte um das Leistungsschutzrecht nimmt absurde Züge an. In letzter Minute vor der abschließenden Beratung im Bundestag hat die Regierungskoalition das Gesetz um genau den Punkt entschärft, der offiziell eigentlich noch eine Rolle spielte. Auch Suchmaschinen, insbesondere Google, sollen künftig weiter kostenlos Texte anreißen dürfen.
Da sich auf diesem Gebiet also nichts ändern wird, stellt sich die Frage: Wer braucht eigentlich das Leistungsschutzrecht? Ich habe nach wie vor die große Befürchtung, dass es in Wirklichkeit gar nicht gegen Google geht. Sondern darum, die Deutungshoheit der Verlage im Netz gegenüber Blogs, Facebook und Twitter zurückzugewinnen.
Um es vorwegzunehmen: Das Projekt kann nur um den Preis der Meinungsfreiheit gelingen. Ziel der Verleger ist es, die öffentliche Beschäftigung mit Nachrichten riskant zu machen. Wer sich in seinem Blog, auf Facebook oder Twitter mit aktuellen Ereignissen auseinandersetzt, soll sich abmahngefährdet fühlen. Mit der Folge, dass viele lieber gar nichts mehr schreiben, weil sie keinen Bock und schon gar nicht das Geld haben, um Verlagsabmahnungen wegen angeblich illegal übernommener Textpassagen abzuwehren.
Trotz der Entschärfung der ursprünglichen Entwürfe gibt es noch genug Einfallstore, um die Abmahnmeute auf Menschen zu hetzen, die im Netz ihre Meinung sagen. Man kennt das System doch zur Genüge von den Filesharing-Abmahnungen.
Die Rechtslage dort ist in vielen Punkten ungeklärt. Vieles spricht sogar dafür, dass der weitaus größte Teil der Abmahnungen nie und nimmer vor Gericht Bestand hätte. Aber hat das die Rechteverwerter daran gehindert, eine gigantische Abmahnwelle über deutsche Haushalte schwappen zu lassen?
Es geht nämlich gar nicht darum, ob die Abmahner eindeutig Recht haben. Den Abmahnern reicht es schon, nicht offensichtlich im Unrecht zu sein. Den Rest besorgt das strukturelle Ungleichgewicht. Anwaltsbriefe, noch dazu mit hohen Geldforderungen, versetzen die meisten Menschen nach wie vor in Angst. Für viele stellt sich schon aus finanziellen Gründen gar nicht die Frage, ob sie sich gegen Abmahnungen wehren. Vielmehr bevorzugen viele notgedrungen eine andere Lösung: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Nicht anders wird es mit dem Leistungsschutzrecht sein. Die Verlage werden abmahnen. Es reicht für dieses Vorgehen ja schon, wenn sie sich auf einen einigermaßen plausiblen Rechtsstandpunkt stellen. Ob und wie die Gerichte später darüber mal urteilen, spielt doch gar keine Rolle. Hauptsache, die Abmahnkarte zieht die ersten paar Jahre. Dann sieht man halt weiter.
Wie lange die Welle geritten werden kann, kann man schön an der Frage sehen, wie teuer einfache Abmahnungen eigentlich sein dürfen. Der Gesetzgeber wollte die Kosten auf 100 Euro deckeln. Weil die Formulierung, etwa zur Frage der Gewerblichkeit, auch nur ein wenig schwammig geraten ist, wurde dieses Einfallstor genutzt. Abmahnkosten von 100 Euro? Über die hehren Ziele des Gesetzgebers lachen sich die beteiligten Anwälte heute immer noch kaputt. Zumal eine jetzt in Angriff genommene Reform die alten Fehler wiederholt. Das Spiel geht also weiter.
Diese Einfallstore gibt es auch beim Leistungsschutzrecht. Alle Hinweise in den Gesetzesentwürfen, dass die Regeln nicht für Menschen gelten sollen, die privat ins Internet schreiben, werden bald vergessen sein. Oder schon von Anfang an keinen interessieren. Die Abmahnungen, welche Anwälte im Auftrag der Verlage wegen angeblicher Copyright-Verletzungen verfassen, werden jedenfalls ebenso überzeugend und bedrohlich klingen wie Post von Filesharing-Kanzleien.
Dies gilt umso mehr, als die Verleger niemals eine realistische Chance hatten, von Google nennenswerte Gelder zu bekommen. Entweder dreht Google den Hahn ab, indem die Firma alle Zeitungsangebote aussperrt. Oder es läuft auf eine symbolische Zahlung Googles für irgendeinen guten Zweck hinaus, welche die Finanzierungslücke der Verlage nie und nimmer schließt.
Der Glaube an das Gute im deutschen Verleger wird am Ende auch nicht weiterhelfen. So wie die Branche unter Führung des Axel Springer Verlages bislang agiert hat, wird sie es sich nicht nehmen lassen, bei uns allen wenigstens einige Früchte des Leistungsschutzrechts zu ernten.