Viele Bußgeldbescheide sind falsch, heißt es in der Welt. Stimmt. Ich durfte das heute wieder feststellen. Das Amtsgericht Kempen erließ einem Mandanten das Fahrverbot. Die vermeintlich perfekte Abstandsmessung der örtlichen Polizei erwies sich nämlich als fehleranfällig.
Dabei war der zuständige Polizeibeamte sehr von der Technik eingenommen. Weder bei der Messung noch bei der Auswertung gebe es Fehlerquellen, betonte er am ersten Hauptverhandlungstag. Mit seiner Selbstgewissheit erinnerte er mich ein wenig an Menschen, die Atomkraftwerke bauen und ebenso unerschütterlich davon überzeugt sind, dass nichts schiefgehen kann. Obwohl es längst schiefgegangen ist.
Mit meinem technisch versierten Mandanten fand ich Ansatzpunkte, um die Messung in Zweifel zu ziehen. Das Gericht ließ sich darauf ein, einen Gutachter zu beauftragen. Und der erklärte heute am zweiten Verhandlungstag, dass die vermeintliche Präzision jedenfalls teilweise nur eingebildet ist.
Das gilt zumindest dann, wenn es auf Details der Messung ankommt. Das war der Fall. Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, sein Abstand habe weniger als 3/10 des halben Tachowerts betragen. Nach der Berechnung des Polizisten war das richtig, aber halt auch nur wegen ein paar Zentimetern. Kam auch nur eine Handbreit Abstand dazu, wären wir bei einem Vorwurf von weniger als 4/10 des halben Tachowerts gewesen. Das kostet zwar auch noch 100 Euro, aber es gibt kein Fahrverbot.
Genau diese Handbreit musste nach Auffassung des Sachverständigen aber gewährt werden. Er hatte bei genauer Kontrolle des Videofilms nämlich festgestellt, dass der Vordermann meines Mandanten über die Messstrecke hinweg das Tempo vermindert hatte. Vermutlich, weil es ein paar Sekunden so aussah, als würde ein Auto von der rechten Fahrspur rüberkommen.
Diese Geschwindigkeitsverringerung wurde von der Polizei nicht berücksichtigt. Vermutlich, weil sie eben mit bloßem Augen kaum zu erkennen ist. Trotzdem wäre es aber erforderlich gewesen, denn plötzliche Abstandsverringerungen, weil der Vordermann langsamer wird, können dem vermeintlichen Übeltäter nicht ohne weiteres zugerechnet werden. Ebenso wie etwa ein Auto, das innerhalb des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands von der rechten Fahrspur rüberkommt.
Da waren sie also, die paar benötigten Zentimeter. Das Fahrverbot war vom Tisch, auch wenn es dem Polizeibeamten ersichtlich nicht gefiel. Er wird jedenfalls in Zukunft die Videos noch genauer ansehen müssen, wenn sie vor Gericht Bestand haben sollen. Es sei denn, er macht so weiter und vertraut auf die alte Erfahrung, dass ohnehin nur die wenigsten Autofahrer sich gegen zweifelhafte Messungen wehren. Oder wehren können, denn ohne Verkehrsrechtsschutz ist so ein Prozess mit einem Gutachten kaum zu bezahlen.