Von einer Gerichtsposse zu sprechen, klingt ziemlich abgedroschen. Der Begriff lässt sich aber kaum vermeiden für das, was sich gestern vor dem Landgericht Hamburg abgespielt haben soll. Kiez-Legende Karl-Heinz Schwensen wollte mit dem Einsatz eines Doubles belegen, dass er im Jahr 2011 nicht ohne Fahrerlaubnis gefahren ist. Der Schuss ging erst mal nach hinten los – auch wenn der Ausgang der Sache noch völlig offen ist.
Schwensen, der seine goldgeränderte, dunkel getönte Brille im Sevienties-Porn-Style angeblich nur unter der Dusche und im Bett abnimmt, erschien auf der Anklagebank wie verwandelt. Neben der Brille fehlten Schnäuzer und dunkler Anzug; Schwensen erschien einfach gestrickt – in Pulli und legerer Hose. Ob des ungewohnten Anblicks beteuerte sein Anwalt vor Gericht, der Mann auf der Anklagebank sei tatsächlich die ehemalige Kiez-Größe.
Dabei stieß er jedoch auf größte Zweifel des Gerichts. Die Vorsitzende der Berufungskammer – in erster Instanz war Schwensen schon verurteilt worden – ging von einem Täuschungsmanöver aus. Weil nämlich kurz vor der Verhandlung jemand im Verhandlungssaal aufgetaucht war, der so aussah, wie man Schwensen kennt.
Laut Anwalt sollte das Manöver demonstrieren, wie leicht man sich von Äußerlichkeiten täuschen lässt. Das war gar nicht so dumm, denn Hamburger Polizeibeamte hatten in erster Instanz zwar eingeräumt, dass es ziemlich dunkel war, als sie ein Auto auf der Reeperbahn beobachteten, das angeblich der führerscheinlose Schwensen steuerte. Laut Hamburger Abendblatt (Artikel ist wegen Paywall möglicherweise nur über Google News aufrufbar) hatte ein Polizist folgendes geäußert:
Ich kenne nur zwei Menschen, die abends mit einer Sonnenbrille unterwegs sind. Herrn Schwensen und Heino. Aber Heino war es sicher nicht.
Das spricht natürlich nicht gerade für eine sichere Identifizierung, so dass sich die Scharade geradezu anbot. Allerdings ist es nach meiner Erfahrung besser, so was vorher mit dem Gericht abzusprechen. Mit etwas Beharrungsvermögen stimmen Richter meistens zu, dass der Angeklagte zunächst mal neben einem Double im Zuschauerraum Platz nimmt, so lange sich die Zeugen bei Vehandlungsauftakt im Sitzungssaal befinden.
Die Hamburger Richterin war aber offensichtlich von der Situation überrascht. Und möglicherweise auch überfordert. Sie glaubte nämlich gar nicht, dass der unauffällige Mensch ohne Goldbrille, Schnäuzer und Anzug Karl-Heinz Schwensen ist. Von der Versicherung des Anwalts, es handele sich um seinen Mandanten und das Double sei inszeniert, ließ sie sich ebenso wenig beeindrucken. Ebenso wenig von Schwensens Angebot, seine durch zahlreiche Fernsehsendungen dokumentierten Schuss- und Stichnarben in Augenschein zu nehmen. Dazu soll Schwensen sogar wutentbrannt im Gerichtssaal seinen Pulli hoch- und seine Hose heruntergezogen haben. Aber selbst sein Angebot, die Polizei möge schnell seine Fingerabdrücke checken, blieb ungehört.
Stattdessen zog sich das Gericht auf einen formalen Standpunkt zurück. Der angebliche Schwensen auf der Anklagebank hatte keinen Personalausweis dabei. Deshalb habe er sich nicht ausgewiesen und sei deshalb nicht erschienen, soll die Richterin erklärt haben. Darauf habe sie flugs die Berufung verworfen und sei aus dem Gerichtsaal verschwunden.
“Das ist eine unglaubliche Posse”, schimpfte daraufhin erwartungsgemäß Schwensens Anwalt auf das Gericht. Und in dem Punkt gebe ich ihm recht. Das Gericht ist nämlich von Amts wegen verpflichtet, die Identität des Angeklagten zu überprüfen. Das heißt, bloß weil jemand keinen Ausweis präsent hat, darf das Gericht nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass er nicht der Angeklagte ist.
Gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Anwalt versicherte, es handele sich um seinen Mandanten Karl-Heinz Schwensen. Das ist eine Behauptung mit gewissem Risiko, und zwar straf- und berufsrechtlich. Der Verteidiger würde sich mächtig Ärger einhandeln, wenn sich später herausstellt, dass er nicht Schwensen auf die Anklagebank gesetzt hat. Schwer vorstellbar, dass er dieses Risiko eingeht.
Überdies gibt es keine Pflicht eines prominenten Angeklagten, so zu erscheinen, wie man ihn vielleicht aus den Medien kennt. Aber auch Nobodys müssen nicht vor Gericht erscheinen, wie sie angeblich am Tattag ausgesehen haben. Deshalb gibt die Strafprozessordnung dem Gericht das Recht, das Aussehen von Angeklagten wieder zu verändern. Dazu können ihnen gegen ihren Willen sogar Bärte angeklebt, die Haare umfrisiert und natürlich auch Sonnenbrillen aufgesetzt werden.
Es spricht also viel dafür, dass die Sache Schwensen in eine juristische Ehrenrunde geht.