Der Besitz von Kinderpornografie soll legalisiert werden. Diesen Vorschlag macht Rick Falkvinge, Gründer der schwedischen Piratenpartei. Seine Idee stieß schon innerhalb weniger Stunden nach Veröffentlichung auf eine breite Front der Ablehnung. Neben vielen anderen hat sich auch der Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland, Bernd Schlömer, entschieden von Falkvinges Vorstellungen distanziert.
Ich möchte nachfolgend erläutern, warum Falkvinges Argumente nicht stichhaltig sind. Dazu beleuchte ich die gesellschaftspolitische Dimension und juristische Einzelfragen, die Falkvinge aufwirft.
Zu kaum einen Thema dürfte es einen ähnlich hohen gesellschaftlichen Konsens geben, wie er für die ablehnende Haltung zu sexuellem Missbrauch von Kindern besteht. Es bedarf keiner Meinungsumfragen, um sicher annehmen zu können, dass die ernsthaften Befürworter pädophiler Handlungen in Deutschland eine verschwindend kleine Minderheit sind.
Auch die Frage, ob es so etwas wie einvernehmliche sexuelle Beziehungen unter Beteiligung von Kindern geben kann, ist jedenfalls vom Gesetzgeber mittlerweile eindeutig beantwortet.
Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist in Deutschland derzeit absolut geschützt. Das heißt sexuelle Kontakte eines Erwachsenen zu einem Kind sind auch dann strafbar, wenn das Kind äußerlich „eingewilligt“ hat. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass grundsätzlich gar keine Einwilligungsfähigkeit eines Kindes besteht; ein wie auch immer als „Zustimmung“ interpretiertes Verhalten des Kindes ist juristisch unbeachtlich.
Kindern wird also ein umfassender Schutzraum zugebilligt, der ihnen eine ungestörte, das heißt eingriffsfreie sexuelle Entwicklung ermöglicht. Kinder sind nach deutschem Recht Personen bis zum Alter von 14 Jahren. Auch die weitaus meisten Rechtsordnungen anderer Länder orientieren sich in etwa an dieser Altersgrenze.
Das vom Gesetzgeber festgelegte absolute Schutzalter für Kinder entspringt sicher nicht dem luftleeren Raum. Auch hier kann man davon ausgehen, dass eine Altersgrenze von 14 Jahren jedenfalls breiter gesellschaftlicher Konsens ist. Aktuelle Bestrebungen, gerade auch auf europäischer Ebene, das Schutzalter auf 18 Jahre auszuweiten, belegen mittelbar, dass die Bürger die bisherige Altersgrenze eher als Minimal- und nicht als Maximallösung ansehen.
Die vorstehenden Erwägungen betreffen zunächst den tatsächliche Missbrauch von Kindern. Sie gelten aber im Kern auch für Kinderpornografie.
Dazu muss einleitend gesagt werden: Was gemeinhin als Kinderpornografie umschrieben wird, sollte auch dokumentierter Kindesmissbrauch genannt werden. Denn es handelt sich (heute) in den weitaus meisten Fällen um Videoaufnahmen und Fotostrecken real stattfindender sexueller Kontakte unter Beteiligung von Kindern.
Über den richtigen Umgang mit dokumentiertem Kindesmissbrauch gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Das zeigt nicht nur die Initiative Rick Falkvinges. Auch in der Vergangenheit ist die Strafbarkeit in Frage gestellt worden. Das gilt weniger für die Herstellung (diese ist ja Teil des unmittelbaren Missbrauchs), aber durchaus für die Verbreitung und insbesondere für den Besitz solchen Materials.
Die wesentlichen Argumente der Strafbarkeits-Gegner lauten wie folgt:
– Das Film- oder Fotomaterial fügt nach seiner Herstellung keinem Kind mehr Leiden zu.
Das ist nur vordergründig richtig. Tatsächlich verletzt schon die Existenz, aber gerade auch die Verbreitung der Bilder immer und wieder wieder die Persönlichkeitsrechte der missbrauchten Kinder.
Dies geschieht auf denkbar schwerste Art und Weise. Auch Kleinstkinder können sich später auf solchem Material wiedererkennen, wobei das durch die beteiligten Personen, aber auch durch die Umgebung (z.B. das eigene Kinderzimmer, von dem es ja auch andere Aufnahmen gibt) oft auch nach langer Zeit wirklich möglich ist. Bei missbrauchten Kindern im Alter von acht, zehn oder gar 13 Jahren, die ja schon eigenständige Persönlichkeiten sind, gilt dies noch viel mehr.
Das sind keine theoretischen Erwägungen. Ich war erst vor kurzem in eine Strafsache involviert, in der ein Deutscher seine drei Töchter im Alter von 9 bis 12 Jahren schwer missbraucht und dies dokumentiert hat. Durch die Festnahme des eigenen Vaters blieb es den mittlerweile jeweils fünf Jahre älteren Betroffenen nicht erspart, über den eigentlichen Missbrauch hinaus auch noch zu erfahren, dass die Videos mit ihren nicht anonymisierten Gesichtern seit Jahren in einschlägigen Tauschbörsen kursieren. Dies führte bei den Mädchen zu einer erneuten Traumatisierung.
Gerade in Zeiten, in denen Ermittlungsbehörden rigoros gegen die Verbreitung von Kinderpornografie vorgehen und entsprechend viele Täter festnehmen, sind das auch keine Einzelfälle. Vielmehr kommt es immer wieder vor, dass Missbrauchsopfer später auf schmerzliche Art und Weise mit der Dokumentation des eigenen Missbrauchs konfrontiert werden.
– Die Freigabe von Kinderpornografie könnte den tatsächlichen Missbrauch eindämmen.
Es gibt in der Tat einige Studien aus anderen Ländern, die besagen, dass eine Zugänglichkeit kinderpornografischen Materials das reale Missbrauchsrisiko senken kann. Ähnliche Argumente gibt es ja auch für den Bereich legaler Pornografie. Deren weitgehende Verfügbarkeit wird heute von einigen Wissenschaftlern als eine Mitursache dafür gesehen, dass Sexualstraftaten statistisch bundesweit eher rückläufig sind.
Unabhängig von der Belastbarkeit solcher Studien wird dagegen eingewandt, dass frei verfügbare Kinderpornografie einladend oder gar anstiftend wirken kann, gerade auch für nicht pädophil veranlagte Menschen. (Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass nur Pädophile Kinder missbrauchen. Ein beachtlicher Teil des Missbrauchs findet durch nicht pädophil Veranlagte statt, und zwar oft aus Mangel an „normalen“ sexuellen Kontakten.)
Selbst wenn man einen missbrauchsdämpfenden Effekt von Kinderpornografie bejahen wollte, wäre die freie Verfügbarkeit derartigen Materials als Mittel zur Triebabfuhr, der Stammtisch würde von Wichsvorlagen sprechen, gesellschaftlich aus meiner Sicht jedenfalls nicht zu vermitteln.
Diskussionsfähig scheint allenfalls die kontrollierte Überlassung solchen Materials zu sein, falls es aus ärztlicher Sicht im Rahmen einer Therapie sinnvoll ist.
– Mit Kinderpornografie wird kein Geld verdient.
Nach meiner Erfahrung aus zahlreichen Fällen gibt es tatsächlich keinen Markt, der die Herstellung solchen Materials lukrativ macht. Selbst die wenigen Bezahlseiten im Netz verkaufen lediglich den dokumentierten Kindesmissbrauch, welcher in einschlägigen Foren, Tauschbörsen und über Messenger-Dienste seit jeher kostenlos erhältlich ist.
Tatsächlich gibt es nach meiner Kenntnis kein Material, das auf eine kommerzielle Produktion hindeutet. Vielmehr handelt es sich bei den Aufnahmen neueren Datum sowohl von der Technik als auch vom „Setting“ her um private Missbrauchssituationen. So weit es sich um kommerzielles Material handelt, stammt dies aus einer Zeit, in dem die Produktion in den jeweiligen Ländern noch straflos oder jedenfalls nicht eindeutig strafbar war.
Ich war vor kurzem in einem Großverfahren tätig, in dem gegen Verantwortliche für eines der größten Kinderporno-Foren verhandelt wurde, das es nach Auffassung der Ermittlungsbehörden jemals in Europa gab. Es bestand Einigkeit darüber, dass auf diesem Forum so gut wie alles gepostet war, was in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten an Kinderpornografie in Europa im Netz veröffentlicht wurde. Bei keinem einzigen der vielen tausend Videos und Fotoserien gab es Anhaltspunkte dafür, dass diese mit gewerblichem Hintergrund produziert wurden.
Allerdings stellt sich die Frage, ob dokumentierter Kindesmissbrauch bloß deswegen straffrei bleiben sollte, weil damit kein Geld verdient wird. Der Gesetzgeber hat hier, wie ich meine, den korrekten Weg eingeschlagen. Er belegt die kommerzielle Herstellung und Verbreitung kinderpornografischer Schriften mit deutlichen Strafschärfungen.
Nun präsentiert Rick Falkvinge einige weitere Bedenken, die wenigstens in der Zukunft dazu führen sollen, den Besitz kinderpornografischen Materials straffrei zu belassen.
Schauen wir, ob Ricks Argumente stichhaltig sind.
Falkvinge nennt zunächst den technischen Fortschritt. Wer zum Beispiel künftig mit einer Google-Brille sein gesamtes Leben videografisch dokumentiere, laufe Gefahr, unfreiwillig Kinderpornografie herzustellen. Beobachte er zum Beispiel zufällig den Missbrauch eines Mädchens in einem Park, sei er bereits im Besitz von Kinderpornografie und damit strafbar.
Zu so einem Argument lässt sich eigentlich nur sagen: Es gibt immer wieder extreme Lebenslagen, für welche die Gesetze schlicht nicht zugeschnitten sind. Allerdings ist dies auch kein durchgreifendes Problem. Denn nach deutschem Recht wäre die Aufnahme jedenfalls gerechtfertigt oder zumindest entschuldigt, wenn der Betreffende sie (auch) macht, um der Polizei später Beweismaterial zur Verfügung zu stellen.
Falkvinge behauptet auch, es sei nicht risikolos möglich ist, etwa versehentlich heruntergeladene oder per E-Mail zugesandte Kinderpornografie an die Polizei zu übergeben. Denn der Betroffene besitze das Material bereits und sei somit strafbar. Dadurch würden viele solche Filme und Fotos lieber vernichten, als zur Polizei zu gehen. Hierdurch werde die Aufklärung erschwert.
Das ist in der Tat ein Punkt, über den man diskutieren kann. Es kommt durchaus vor, dass Polizeibeamte erst mal auch eine Straftat des Empfängers vermuten, wenn dieser eine Anzeige macht. Besitz im formalen Sinne liegt ja spätestens ab dem Zeitpunkt vor, in dem der Empfänger das Material zur Kenntnis genommen hat.
Allerdings ist dies ein Problem, das es auch in anderen Rechtsbereichen gibt. So hatte ich letztes Jahr einen Mandanten, der auf einem Autobahnrasthof einen Turnbeutel gefunden hat. Erst zu Hause merkte er, dass keine stinkigen Schuhe drin waren, sondern Tütchen mit einem dreiviertel Kilo Kokain. Bei einer Polizeikontrolle hätte er ebenso unangenehme Fragen beantworten müssen, wie sie der unfreiwillige Empfänger von Kinderpornografie gestellt bekommt.
Wie auch immer, so ist dieses Argument Falkvinges aber doch allenfalls dafür geeignet, für solche Fälle Klarstellungen ins Gesetz aufzunehmen. Es würde zum Beispiel eine Regelung reichen, dass Besitz jedenfalls dann nicht strafbar ist, wenn der Empfänger das Material nicht aktiv beschafft hat und sich nach Erhalt innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei meldet. Wegen dieser unbestreitbaren individuellen Risiken eine Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie zu fordern, geht jedenfalls nicht nur einen, sondern viele große Schritte zu weit.
Weiterhin sieht Falkvinge die Meinungsfreiheit in Gefahr, wenn zum Beispiel Journalisten oder Abgeordnete nicht investigativ in der Kinderpornoszene recherchieren können. Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass auch Journalisten und Abgeordnete – in Deutschland ist der Fall Jörg Tauss in guter Erinnerung – sich ohne rechtliches Risiko kein authentisches Bild über das Ausmaß der Kinderpornoszene machen können.
Selbst wenn man dies als relevant einstuft, bedarf es zur Lösung noch keiner Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie. Schon heute sieht das Gesetz Ausnahmen für Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter vor. So weit diese von dem Material aufgrund ihrer Berufspflichten Kenntnis nehmen dürfen, ist das nicht strafbar. (Das ist auch der Grund, warum ich als Strafverteidiger inhaltliche Aussagen über Kinderpornografie machen kann.)
Es spräche aus meiner Sicht nichts dagegen, die Ausnahmevorschrift moderat zu erweitern. Die generelle Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie ist aber nicht notwendig.
Letzlich weist Falkvinge darauf hin, dass der energische Kampf gegen Kinderpornografie im Netz als Türöffner für Zensur- und Kontrollwünsche der Contentindustrie dient.
Diese Debatte haben wir bereits im Rahmen des Websperren-Gesetzes geführt. Hier kam der deutsche Gesetzgeber immerhin zu der Einsicht, dass Websperren ein ungeeignetes Mittel sind. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Stopschild-Infrastruktur offensichtlich missbrauchsanfällig für andere Interessengruppen ist. So wurde ja schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes gefordert, dass auch rechte und hetzerische Seiten gesperrt werden müssen. Und selbstverständlich auch Filesharing-Börsen sowie Filehoster.
Natürlich ist es auch nach dem Erfolg gegen das Websperren-Gesetz notwendig, sich gegen Zensurpläne für das Netz zu stellen. Allerdings greift Falkvinge zu kurz, wenn er meint, mit der Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie entfalle der Hauptanreiz für derartige Maßnahmen. Genauso gut können Hetzseiten jeder politischen oder religiösen Färbung als Rechtfertigung für Internetzensur dienen.
Dagegen hat sich inzwischen der Ansatz „Löschen statt sperren“ in Deutschland, Europa und sogar weltweit bewährt.
Alles in allem hat es also seinen guten Grund, wenn die Piratenpartei Deutschland keine Bereitschaft zeigt, über eine Legalisierung des Besitzes von Kinderpornografie nachzudenken.
Vielmehr ist es richtig, diese Perpetuierung des realen Kindesmissbrauchs zu ächten und auch strafrechtlich zu verfolgen. Wichtig ist dabei aber ebenso, die Verhältnismäßigkeit im Auge zu behalten und zu verhindern, dass mit Hilfe des Strafgesetzes sachfremde Motive verfolgt oder gar Hexenjagden betrieben werden.
Dieser Beitrag ist auch auf dem Bundesportal der Piratenpartei und auf golem.de veröffentlicht.