Mein Teil der Gelben Wand

Sehr nett war es am Freitag in Gelsenkirchen. Ich war bei den Schalker Ultras eingeladen und durfte im Vereinsheim berichten, was man so für Rechte im Umgang mit der Polizei hat.

Am Ende der angeregten Diskussion kriegte ich auch ein Geschenk:

20120806_102510_resized 

Dem Vernehmen nach handelt es sich bei dem Stoffstreifen um ein originales Fitzelchen aus der “Gelben Wand”. Das war ein fast 60 Meter breites Banner, welches das Dortmunder Fußballstadion bis ins Jahr 2006 schmückte. Dann verschwand es spurlos. Nachdem es zwischenzeitlich schon mal auf diversen Fanvideos zu sehen war, taucht das Banner, Echtheit unterstellt, nun klein portioniert als Andenken wieder auf.

Ich habe keine Ahnung, ob der Zeitpunkt mit dem sicheren Ablauf aller Verjährungsfristen zu tun hat. Aber passen tut’s schon.

Auch wenn ich fußballmäßig 100 % neutral bin, habe ich mich über das originelle Präsent gefreut. Mal sehen, wo es seinen Platz hier im Büro findet. Falls BVB-Fans zu Besprechungen kommen, bitte vorher Bescheid sagen. Der Kasten wird dann auf Wunsch gern verhüllt.

Doch keine Warteschlangen-Steuer in Köln

Vorhin konnte ich noch im Auto hören, wie der Leiter des Kölner Ordnungsamtes im Interview mit 1Live eine denkbar schlechte Figur machte. Er hatte allerdings auch eine undankbare Aufgabe, denn er sollte die neueste Steuer-Idee der Stadtverwaltung rechtfertigen. Diese plante ernsthaft, Warteschlangen vor Diskotheken, Geschäften, Kinos, Eisdielen und sogar Büdchen zu besteuern.

Der hörbar überforderte Beamte ließ sich sogar darauf ein, seelenruhig aus seinem neuen Tarifverzeichnis rauszusuchen, was künftig eine Zwei-Meter-Schlange vor einem Kiosk kostet (Moderator: “Ich habe alle Zeit der Welt”). So erfuhren wir immerhin, dass per Meter abgerechnet werden wird und schon eine ganze Stange Geld rumkommen kann.

Außendienstler, so kündigte der Beamte an, würden erst messen und dann Rechnungen schreiben, wenn sie auf Warteschlangen stoßen. Es stehe jedem ehrlichen Büdchenbesitzer aber auch frei, selbst einen Antrag auf nachträgliche Steuerzahlung einzureichen, sofern sich das Publikum bei ihm mal bis auf den Bürgersteig gestaut habe. Eine Verrechnung mit der Zeit, die man als Bürger auf Kölner Ämtern vertrödelt, sei nicht drin, beschied der Beamte auf Nachfrage des glucksenden Moderators. “Natürlich nicht.”

Das war schon witzig, aber sicher ist spätestens in diesem Augenblick die Notbremse gezogen worden. Oberbürgermeister Jürgen Rothers, berichtet nun der WDR, schaltete sich aus dem Urlaub ein und kippte höchstpersönlich die am Morgen bekanntgewordene Warteschlangen-Steuer. Diese hat jetzt womöglich die Chance, als Eintagessteuer in die Geschichte einzugehen.

Wenn das Navi zickt, gibt’s kein Geld

Wer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, kann normalerweise die Fahrtkosten vom möglichen neuen Arbeitgeber verlangen. Auch wenn er die Stelle nicht bekommt. Eine Ausnahme gilt aber, wenn der Bewerber zwar anreist, die Firma aber nicht findet. Dann bleibt er auf den Kosten sitzen.

Ein Bewerber hatte geklagt, obwohl er gar nicht zum Bewerbungsgespräch gekommen ist. Nach seinen Angaben war er zwar in die Stadt gefahren, in der die Firma sitzt. Dort habe er aber die Adresse nicht finden können – auch sein Navi habe versagt.

Das Landesarbeitsgericht Mainz musste die Frage klären, ob dem Bewerber 61,80 Euro zustehen. Das ist nicht der Fall. In dem Urteil heißt es:

Es war Sache des Klägers, auf welche Weise er als Bewerber durch eine entsprechende Vorbereitung und Planung seiner Anreise nach C-Stadt sicherstellt, dass er rechtzeitig – ggf. durch Einplanung eines ausreichenden Zeitpuffers – zum Vorstellungstermin erscheinen kann.

Das Risiko, dass er trotz einer ihm übermittelten Anfahrtskizze und Einsatz seines Navigationsgeräts die Adresse der Beklagten nicht rechtzeitig findet, hat er selbst zu tragen.

Der Kostenerstattungsanspruch setzt nach Auffassung der Richter voraus, dass der vom Arbeitgeber gewünschte Erfolg eintritt. Das sei aber nur der Fall, wenn der Bewerber sich tatsächlich vorstelle. Die bloße Anfahrt sei für den Arbeitgeber schlicht wertlos.

Landesarbeitsgericht Mainz, Urteil vom 7. Februar 2012, Aktenzeichen 3 Sa 540/11

Keine Extra-Schirme für (Rand-)Gruppen

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat eine Gesetzeslücke ausgemacht. Er fordert, Spott und Hohn gegen Kirchen und ihre Gläubigen auch strafrechtlich zu ahnden. Er möchte also die Götteslästerung wieder ins Strafgesetzbuch schreiben. Dabei wurde einfache Blasphemie aus guten Gründen schon vor langer Zeit als Straftatbestand abgeschafft.

Die bischöflichen Forderungen fallen zeitlich zusammen mit dem Rechtsstreit, den der Papst gegen das Satiremagazin Titanic begonnen hat. Benedikt XVI. fühlte sich durch ein Cover der Zeitschrift verunglimpft und erwirkte eine einstweilige Verfügung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts. Hierbei geht es jedoch um die zivilrechtliche Seite. Über Knast für die Titanic-Redakteure wird da auf der Richterbank nicht nachgedacht. Das möchte Schick nun offensichtlich ändern.

Für den Bischof ist spaßige, kritische, vielleicht auch geschmacklose Auseinandersetzung mit Kirche und Glauben ein Angriff auf die Menschenwürde. Das ist juristisch eher halbgar – jedenfalls die Kirche kann sich als Institution schlecht auf die Menschenwürde berufen.

Aber unabhängig von solchen Grundsatzfragen scheint der Bischof kein Gespür dafür zu haben, dass wir in einem Staat leben, in dem die Meinungsfreiheit nicht nur bei Schönwetter gilt und dass es für einzelne gesellschaftliche (Rand-)Gruppen keinen Anspruch gibt, dass ihnen extra Regenschirme aufgestellt werden. Das kennt man sonst nur aus anderen Ländern, mit denen Deutschland lieber nicht in einen Topf geworfen werden will.

Überdies haben die Religionen längst eine Sonderstellung. Nach § 166 Strafgesetzbuch ist die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen auch heute strafbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die Äußerungen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.

Auf dieses Korrektiv zu verzichten, mag der feuchte Traum von katholischen Oberen sein, die ihren alten Allmachtsansprüchen nachtrauern – für einen freiheitlichen Rechtsstaat sind solche Forderungen jedoch inakzeptabel. Das gilt gerade im Umgang mit Kirchen, die noch lange daran arbeiten müssen, um ihren Ruf auch nur einigermaßen wieder herzustellen. Ich erinnere – abgesehen von der ohnehin unrühmlichen Rolle der katholischen Kirche in jeder Phase ihrer Existenz – nur an den jahrzehntelang vertuschten massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern  durch Priester und Kirchenmitarbeiter.

Daneben gibt es auch noch weitere Sonderparagrafen, welche die Kirchen besonders schützen. Strafbar sind die Störung der Religionsausübung und die Störung einer Bestattungsfeier. Wie man unschwer sehen kann, könnte das “Gastspiel” einer Band wie Pussy Riot in einer deutschen Kirche durchaus auch für unsere Staatsanwälte interessant sein. Schon das wäre vielleicht eher Anlass, mal über eine Abschaffung dieser Tatbestände nachzudenken. Gleiches gilt für den Fall des Bloggers Jörg Kantel, der wegen seiner Zustandsbeschreibung der katholischen Kirche als "Kinderficker-Sekte” angeklagt wurde.

Der Bischof hat eine eiskalte Abfuhr verdient.

Bericht bei stern.de

Eine verdammte Notwendigkeit

Die Polizei hat heute das Occupy-Camp in Düsseldorf geräumt. Die Räumung blieb friedlich, weil sich beide Seiten redlich darum bemühten. Die Polizei war ohnehin nur ausführendes Organ. Die Stadt Düsseldorf hat auf Räumung bestanden.

Interessant finde ich die Begründung, warum Occupy in Düsseldorf den Platz in Sichtweite der Börse und der Bundesbank räumen musste. Die Ordnungsverfügung argumentiert vorwiegend bauaufsichtsrechtlich. Sie steht damit quasi in Frankfurter Tradition. Dort hatten die Behörden die Auflösung des Camps unter Hinweis auf ihre Grünflächensatzung gefordert.

“Rasen betreten verboten.” Auch wenn formell alles wahrscheinlich superkorrekt ist, halte ich es schon für bemerkenswert, welche Antwort hier auf vorwiegend junge und friedliche Menschen gegeben wird, die ihre Sorgen öffentlich ausdrücken. Auch wenn ihre Wortwahl mitunter forsch erscheinen mag, ist die geäußerte Kritik am Wirtschafts- und insbesondere dem Bankensystem alles andere als Esoterik. Dass es jedenfalls so nicht weitergehen kann, hören wir mittlerweile in jedem zweiten Tagesthemen-Kommentar.

Die Occupy-Leute können also schon mal nicht einfach als Spinner abgetan werden. Ich habe in Düsseldorf auch nichts davon gehört, dass jemand sich über sie beschwert hätte. Mit Ausnahme der Banker und Broker in der Nachbarschaft.

Aber selbst wenn wir es mit Durchgeknallten im klassischen Sinn zu tun hätten – reichen nicht schon 10 Prozent Nachvollziehbarkeit bei einem Anliegen, es ernst zu nehmen? Und mal darüber nachzudenken, ob das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit es mit etwas gutem Willen vielleicht möglich machen könnten, nicht die Bauordnung des Landes NRW und die allgemeine Gefahrenabwehrklausel in Stellung zu bringen. Weil es möglicherweise eine verdammte Notwendigkeit ist, dass die Dinge, die bei uns (und in Europa und in der Welt) schwelen, auch öffentlich wahrnehmbar thematisiert werden. 

Auf den Punkt bringt es ein Bild von der heutigen Räumung. Behelmte Polizisten tragen einen Demonstranten aus dem Camp, der ein Schild im Mund hält. Aufschrift “Free Pussy Riot”.

120801a 

Quelle

Ich kann über die Ironie zwar lachen, aber nur trocken.