Was den Zeitablauf angeht, sind Gerichtsverfahren nie verlässlich. Bist du als Anwalt mal zu spät, wartet bereits das Gericht. Bist du pünktlich, beginnt die Verhandlung garantiert nicht zum geplanten Zeitpunkt. Und haut alles hin, fehlt zumindest der Angeklagte. Solche Dinge lassen sich nicht vermeiden. Deshalb gehe ich damit auch gelassen um, so lange ich keinen bösen Willen unterstellen kann. Ebenso freue ich mich, wenn mir im Fall einer Verspätung gleiches widerfährt. Das ist bei Richtern übrigens die Regel, nicht die Ausnahme.
Es kommt eben immer auch auf den Ton an, mit dem man sich begegnet. Ein negatives Beispiel durfte ich heute bei einer Gerichtsverhandlung erleben. Die Strafkammer hatte morgens Programm durchgezogen und punkt 12 Uhr die Mittagspause ausgerufen. Die Pause sollte stattliche zwei Stunden betragen. Ab 14 Uhr war Programm vorgesehen.
Natürlich kann man über Sinn und Unsinn einer zweistündigen Mittagspause diskutieren. Gerade wenn viele Prozessbeteiligte Tag für Tag weit anreisen. Allerdings entscheidet über den Zeitplan das Gericht. Zwei Stunden reichen auch noch nicht für den Eindruck, man solle als auswärtiger Anwalt nur geärgert werden.
Mit zwei netten Kolleginnen, eine davon bloggt sogar, und einem Kollegen saß ich die Zeit recht angenehm beim Italiener ab. Wir waren punkt 14 Uhr wieder im Gerichtssaal. Dort hatte das Gericht seinen üblichen, wie ich finde recht martialischen Auftritt. Die Justizbeamten, die eigentlich inhaftierte Angeklagte bewachen sollen, rufen nämlich jedes Mal bei Einzug der fünf Richter “Aufstehen”. Dabei ist juristisch längst geklärt, dass auch für ehrenwerte Strafrichter nur einmal aufgestanden werden muss – und zwar ausschließlich zu Beginn jedes Verhandlungstags.
Aber was tut man nicht alles, um unnötige Debatten zu vermeiden. Wir erhoben uns also samt und sonders, auch ohne dazu verpflichtet zu sein. Um dann vom Vorsitzenden des Gerichts wenige Sätze zu hören: Angekündigte Anträge könnten auch morgen gestellt werden, das Gericht habe eine Sach- und Rechtslage neu geprüft, deshalb sei der Verhandlungstag jetzt vorbei. Sprach’s, drehte das Mikro ab und verschwand eiligst im Beratungszimmer, seine Kollegen und die Schöffen im Schlepptau. Das Ganze ging so schnell, dass selbst Fragen nicht mehr möglich waren. Die Tür war zu, das Gericht verschwunden, noch bevor einer aus dem Saal das Wort ergreifen konnte.
Für mich sah das aus wie eine Flucht. Leider kann ich nur spekulieren, was der Grund für diesen höchst merkwürdigen Abgang war, der natürlich auch nicht gerade würdig wirkte. Es ist schon bedauerlich, dass nur Spekulation verbleibt. Auch wenn es natürlich dem Gericht freisteht, einen Verhandlungstag nach Belieben zu beenden, so wie es nervig lange Mittagspausen anordnet, finde ich doch, dass eine ganze Heerschar Prozessbeteiligter ein paar mehr Informationen verdient hat. Etwa zu dem Umstand, dass man uns zwei Stunden ausharren lässt für die schnöde Nachricht, dass wir zurück ins Büro fahren können.
Wenn mir ein Richter sonst erklärt, warum er mit einer dreiviertel Stunde im Verzug ist, reichen dafür einige Worte. Oft auch nur ein lakonisches Achselzucken. Oder eine kleine Geste des Bedauerns. Ich will ja auch gar nicht wissen, worum es im Detail geht. Und selbst wenn, was ich vermute, das flüchtende Gericht heute einen eigenen Verfahrensfehler bemerkt hat und deshalb erst mal überlegen wollte, wie es das Problem löst, hätte man das mit etwas Offenheit ja auch so kommunizieren können, dass der überraschende Abbruch wenigstens nachvollziehbar wird und nicht das große Rätselraten bleibt. Und vor allem die Frage, was das mit der üppigen Mittagspause sollte.