Die Gedanken sind frei. Meinungen ebenfalls, sogar öffentlich geäußerte. Es könnte also alles so einfach sein, würde der Meinungsdetektor mancher Gerichte nicht so zuverlässig in dem Maße versagen, wie sie ihren Ruf als bundesweit bedeutsame “Pressekammern” verteidigen wollen. Ein Beispiel hierfür liefert wieder mal das Landgericht Berlin, das derzeit mit den Kollegen in Köln um den zweiten Platz auf der Wichtigkeitsskala rangelt. Unangefochten ist natürlich nach wie vor das Landgericht Hamburg, dessen meinungsunfreundliche Urteile ja schon Legende sind.
Der Berliner Fall spielt in der Gemengelage von Adel und Entertainment. Ein Blaublütiger hat vor 14 Jahren mit einer Unterhaltungskünstlerin, die auch schon im Dschungelcamp war, einen Sohn gezeugt. Danach hat er anderweitig geheiratet. Offensichtlich erlebte aber die Beziehung zu der Künstlerin nach Jahren ein Revival. In jüngster Zeit sollen sich die beiden wiederholt auf sehr privater Ebene begegnet sein.
Das wiederum behagte der nunmehrigen Gattin des Adeligen nicht, zumal ihr Gatte über die Affäre in einem Buch über sein Leben berichtete. Bei der Präsentation des Buches trafen die Frauen aufeinander. Die Ehefrau nutzte die Gelegenheit für ein Interview mit einem Society-Magazin. Dabei sagte sie, natürlich habe ihr Mann keine Beziehung zu der Entertainerin. Das sei alles nur inszeniert.
Die Klage der Künstlerin kam postwendend. Sie erklärte dem Gericht, zwischen 2006 und 2011 eine heiße Affäre mit ihrer alten Flamme gehabt zu haben. Bis zu 35 mal im Jahr habe man sich getroffen, zuletzt im März 2011. Deshalb lüge die Ehefrau, dies müsse sie künftig unterlassen.
Das Landgericht Berlin könnte sich natürlich um eine realistische Sicht der Dinge bemühen. Was heißt, dass sich hier eine düpierte Ehefrau geäußert hat, die ihrem Frust über die Angelegenheit Luft machen wollte. Zumal das Ganze im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung geschah, auf der sich beide Kontrahentinnen “inszenierten”.
Aber nein, die Berliner Richter erkennen in den Äußerungen unverfroren eine Tatsachenbehauptung. Was für die Ehefrau des Adeligen die nachteilige Folge hat, dass man falsche Tatsachen nun mal nicht behaupten darf. Ernsthaft bestritten hatte die Gattin des Adeligen die außereheliche Beziehung nicht, was es dem Gericht auch etwas einfach macht.
Trotzdem halte ich das Urteil für einen groben Fehlgriff. Kann man wirklich übersehen, dass gerade in so einem privaten – und doch öffentlichen – Beziehungsgeflecht auch die Möglichkeit bestehen muss, verbal mal auszuteilen? Und dass, so würde es das Verfassungsgericht womöglich formulieren, das subjektive Werturteil weit wichtiger ist als die Aussage, wer nun mit wem schläft.
Vor Tagen habe ich über ein ähnlich unverständliches Urteil berichtet, bei dem auch krampfhaft eine Tatsachenbehauptung angenommen wurde, um einen Bürger wegen Polizistenbeleidigung verurteilen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung aufgehoben. Mein Tipp ist, dass es mit dem Urteil aus Berlin ähnlich laufen wird, allerdings wahrscheinlich schon eine Instanz höher oder am Bundesgerichtshof.
Landgericht Berlin, Urteil vom 15. März 2012, Aktenzeichen 27 O 542/11