Für die Polizisten war es ein normaler Einsatz. Winter. Nacht. Bürgerliche Wohngegend. Es ging wohl um einen Familienstreit. Auf dem Weg zu dem Haus, zu dem sie gerufen wurden, sahen die Beamten, wie ein Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Scheiben (s)eines Autos freikratzte.
Als die Polizisten aus dem Haus zurückkehrten, waren der Mann und das Auto verschwunden. Im Rahmen ihrer Ermittlungen hatten die Beamten gehört, wer der Mann vermutlich war. Er hatte, ich fasse jetzt mal zusammen, nicht direkt mit der Sache zu tun. Aber jemand in dem Haus hatte wohl erzählt, die betreffende Person sei ordentlich angeschickert gewesen. Namen und Adresse lieferte er gleich mit.
Nun hatten die Polizisten einen Anfangsverdacht auf eine Trunkenheitsfahrt. Sie fragten die Adresse des Mannes ab und fuhren zu ihm nach Hause. Vor der Tür stand das betreffende Auto. Oder vielleicht auch nur ein ähnliches. Beim Reingehen ins erste Haus hatten sich die Beamten natürlich nicht das Nummernschild des Wagens gemerkt.
Immerhin, so stellten sie fest, war der Motor noch warm. Mein Mandant, um den handelt es sich bei dem betreffenden Mann, öffnete verschlafen die Tür. Die Beamten konfrontierten ihn mit dem Vorwurf, er sei angetrunken gefahren. Mein Mandant ließ alle Fragen abperlen. Er berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht lehnte auch einen Atemalkoholtest ab.
Also auf zur Blutprobe. Mein Mandant blieb schweigsam, was sich in dem bissigen Vermerk in der Ermittlungsakte niederschlug, er sei “über alle Maßen unkooperativ gewesen”. Der Polizeiarzt bestätigte eine gewisse Alkoholisierung. Also behielten die Polizisten den Führerschein meines Mandanten ein. Die Blutprobe ergab später einen Wert von 1,5 Promille.
Meine Beschwerde gegen die Beschlagnahme des Führerscheins begründete ich lapidar. Erst mal war gar nicht sicher, ob die betreffende Person, welche die Beamten quasi im Vorübergehen beim Freikratzen eines Autos gesehen hatten, tatsächlich mein Mandant ist. Und selbst wenn – keiner hat ihn beim Autofahren gesehen.
Es war also nicht mehr als eine Vermutung, er sei gefahren. Der Ermittlungsrichter zog daraus – zu meiner Überraschung, ehrlich gesagt – einige Tage später die richtigen Schlüsse und gab den Führerschein zurück. Aus der Begründung:
Es sind derzeit keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Es liegt kein Beweis vor, dass der Beschuldigte gefahren ist. Ob der Nachweis in der Hauptverhandlung zu führen ist, ist fraglich, da lediglich Indizien vorliegen.
Mein Mandant hat sich also einen großen Gefallen getan, als er jedwede Angaben verweigerte. Dadurch verärgerte er zwar die Beamten, die so was ja doch eher nicht gewohnt sind. Aber gleichzeitig trug mein Mandant eben nicht dazu bei, dass weitere Indizien gegen ihn erst entstanden. Alles, was er gesagt hätte, wäre nämlich ohnehin als Schutzbehauptung gewertet worden. Vermeintliche Widersprüche wären – bei dem Diensteifer der Beamten – garantiert sofort vermerkt und als Indiz für seine Schuld instrumentalisiert worden.
Nun erlebte ich die zweite Überraschung in dem Fall. Die Staatsanwaltschaft schloss sich der Wertung des Ermittlungsrichters an. Statt eine Anklage zu erheben und zu schauen, ob der Nachweis vielleicht nicht doch noch irgendwie gelingt, kam sie zu dem Schluss, dass hinreichender Tatverdacht nicht vorliegt. Hinreichend ist ein Tatverdacht nur, wenn die Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Demgemäß wurde das Verfahren eingestellt. Meinem Mandanten steht sogar Schadensersatz für die vier Tage zu, an denen er auf seinen Führerschein verzichten musste.
Richter und Staatsanwalt haben korrekt und ohne Scheuklappen gearbeitet. Ich weiß übrigens nicht, ob mein Mandant alkoholisiert gefahren ist. Ich habe ihn nicht gefragt.