Es steht so im Gesetz, ist aber eine absurde Regelung: Wer nach einer Verurteilung eine meist langjährige Therapie in einer geschlossenen Anstalt macht, aber noch ältere Freiheitsstrafen offen hat, muss die älteren Strafen nach erfolgreicher Therapie im Gefängnis absitzen. Eine Anrechung dieser älteren Strafen auf die Therapiezeit ist nicht möglich.
Das ist widersinnig, weil ein Gefängnisaufenthalt den Therapieerfolg und die Resozialisierung mit einiger Sicherheit kaputtmacht. Außerdem kann die Nichtanrechnung der Therapie dazu führen, dass ein Verurteilter viele Jahre länger im Knast sitzt, als er es bei reinen Gefängnisstrafen gemusst hätte.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun – endlich – genau diese Vorschrift für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, sofern es um Härtefälle geht. Den Richtern fiel das nicht sonderlich schwer. Sie hatten über einen krassen Fall zu entscheiden, der die Ungerechtigkeit der Regelung besonders deutlich macht.
Der Betroffene war 1992, 1993 und 2000 mit unterschiedlichen, teilweise mehrjährigen Freiheitsstrafen belegt worden. Diese konnten aber nicht vollstreckt werden, weil er psychisch erkrankt war. Im Jahr 2004 belegte das Landgericht Frankfurt den Mann mit sechs Monaten Freiheitsstrafe. Gleichzeitig ordnete es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
In diesem Krankenhaus befand sich der Mann dann aber nicht nur sechs Monate, sondern geschlagene viereinhalb Jahre. Seine Behandlung zeigte gute Erfolge, so dass er an sich hätte entlassen werden können. Wenn die Freiheitsstrafen nicht gewesen wären.
Nach dem Gesetz konnten auf die sechsmonatige Freiheitsstrafe zwei Drittel der Therapiezeit, also vier Monate angerechnet werden. Die früheren Freiheitsstrafen sollte der Mann überdies noch vollständig absitzen, obwohl er bei Verrechnung mit der Zeit in der Psychiatrie eigentlich kurzfristig ein freier Mann gewesen wäre.
Das Bundesverfassungsgericht weist zunächst darauf hin, dass eine Erkrankung “schicksalshaft” ist. Sofern sich die Gefährlichkeit eines Menschen aus dieser Erkrankung ergibt, handele es sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, das der Betroffene nicht beherrschen kann. Seine Unterbringung in einer Klinik sei demnach ein “Sonderopfer”. Deshalb müsse jede Klinikunterbringung unter dem vorrangigen Ziel der Resozialisierung stehen.
Es sei höchst problematisch, wenn weitere Strafen nach einer erfolgreichen Therapie vollstreckt werden. Durch einen Gefängnisaufenthalt werde der Behandlungserfolg nämlich ganz klar gefährdet. Die Kumulation der Unterbringung und der Gefängnisstrafen sei überdies unverhältnismäßig.
Das Bundesverfassungsgericht erinnert in seinem Urteil nicht nur an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch an die Würde des Menschen und das Sozialstaatsprinzip. Der staatliche Strafanspruch müsse damit sorgfältig abgewogen werden. Die bisherige gesetzliche Regelung werde dem nicht gerecht.
Zumindest in Härtefällen darf die gesetzliche Regelung jetzt nicht mehr angewandt werden.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. März 2012, Aktenzeichen 2 BvR 2258/09