Mit der Feststellung von Verfahrensfehlern haben deutsche Gerichte meist kein Problem. Hausdurchsuchungen werden für rechtswidrig erklärt, ebenso ohne Zustimmung eines Richters abgenommene Blutproben. Oder willkürliche Personenkontrollen. Dummerweise haben exakt die Gerichte, die Ermittlern einen Verfahrensfehler attestieren, in der Regel keinerlei Probleme damit, die im Rahmen der Maßnahmen gewonnenen Beweise zu verwerten. Was natürlich dazu führt, dass die Kritik vielleicht gehört, aber nicht ernstgenommen wird.
Es passiert ja doch nichts, lautet das so ständig an Polizisten und Staatsanwälte gesandte Signal. Ein solches sendet nun auch mal wieder der Bundesgerichtshof aus. Es geht um die Frage, wie eine Lichtbildvorlage abzulaufen hat. Bei so einer Vorlage werden dem Zeugen Fotos von Personen gezeigt. Er soll sagen, ob er den Beschuldigten wieder erkennt.
Dabei ist in einem Fall mal wieder was schiefgelaufen. Die Gerichte haben nun schon etliche Male festgestellt, dass dem Zeugen mindestens acht Fotos von verschiedenen Personen vorgelegt werden sollen, die sich nach Möglichkeit natürlich ähnlich sehen sollen. Daran hielt sich ein Polizeibeamter nicht. Nachdem der Zeuge auf Bild fünf den Beschuldigten “erkannt” hatte, sparte sich der Polizist die Bilder sechs bis acht. Er schaltete den Computer ab.
Ein klarer Fall von Bequemlichkeit im Dienst. Die Frage war für den Bundesgerichtshof nun, was man daraus macht. Die Verteidiger des Angeklagten sagten, so eine Lichtbildervorlage sei nichts wert, deshalb dürfe eine Verurteilung nicht darauf gestützt werden, dass der Zeuge den Angeklagten erkannt hatte. Doch der Bundesgerichtshof sieht das anders. Der Regelverstoß führe lediglich dazu, dass der Beweiswert der Lichtbildvorlage eingeschränkt sei. Unverwertbar sei sie jedoch nicht.
Dann attestieren die Karlsruher Richter, die Jugendstrafkammer, bei der zuerst verhandelt wurde, habe ja genau diesen verminderten Beweiswert erkannt. Sie habe nämlich gesagt, die Lichtbildvorlage sie zumindest “nicht wertlos” gewesen. Zusammen mit anderen Umständen habe das Urteil deshalb auch damit begründet werden dürfen, der Zeuge habe das Foto des Angeklagten erkannt.
Tja, mal wieder ein Regelverstoß, der im Ergebnis ohne fühlbare Folgen bleibt. Und damit ein Signal an Polizisten und Staatsanwälte, dass man im Zweifel schon damit durchkommt, auch wenn man die Spielregeln nicht ganz so ernst nimmt. Dabei handelt es sich ja noch um simple Vorgaben, die nun schon seit vielen Jahren bekannt sind. Wie schwer kann es sein, sich einfach mal daran zu halten? An die komplizierteren Regeln der Strafprozessordnung könnte man sich ja dann immer noch langsam herantasten.
Die Antwort ist so lange müßig, wie Gerichte Beweismittel trotz Rechtsverstößen ungerührt verwerten und die Verantwortlichen überdies keinerlei Sanktionen fürchten müssen. Mit Taten statt warmer Worte könnten die Gerichte deutlich mehr dazu beitragen, die rechtsstaatliche Qualität von Ermittlungen zu verbessern. Es ist nur die Frage, ob sie das wollen. Wenn ich solche Beschlüsse lese, habe ich wirklich Zweifel.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. November 2011, Aktenzeichen 1 StR 524/11