Ein Strafrichter darf sich nicht einfach darauf verlassen, dass die Bescheide der Agentur für Arbeit richtig sind. Vielmehr muss er nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm selbst ausrechnen, ob ein Angeklagter wirklich zu Unrecht Unterstützung bezogen hat und wie hoch der Schaden ist.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hatte einen Angeklagten zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser habe pflichtwidrig eine neue Arbeitsstelle nicht angezeigt und so 1.188,88 Euro Arbeitslosengeld bezogen, die ihm nicht zustanden. Die Urteilsbegründung bezog sich lediglich darauf, die Agentur für Arbeit habe diese Schadenssume in einem Bescheid festgestellt, gegen den der Angeklagte keine Rechtsmittel eingelegt hatte.
Damit hat es sich der Gelsenkirchener Richter zu einfach gemacht, finden dessen Kollegen am Oberlandesgericht:
Wird einem Angeklagten vorgeworfen, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die angeblich zu Unrecht bezogenen Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsächlich kein Anspruch bestand. … Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setzt regelmäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand.
Das Urteil des Amtsgerichts genügte diesen, aber auch weiteren Ansprüchen nicht. Deshalb muss die Sache nun neu verhandelt werden.
Wer schon mal mit der Arbeitsagentur zu tun hatte, weiß: Selbst die geschulten Sachbearbeiter sind mit der Materie meist überfordert. Schwer vorstellbar, dass ein Strafrichter es tatsächlich schafft, für sich eine Schneise durch den Paragrafen- und Richtliniendschungel der Arbeitsförderung zu schlagen. Aber so sind nun halt die Vorgaben, an die sich künftig Richter zumindest im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm zu halten haben.
Interessant wird es natürlich, wenn vom Amtsgericht angestellte Berechnungen wiederum beim Oberlandesgericht zur Überprüfung landen. Dann müssen die Richter am Oberlandesgericht selbst den Bleistift spitzen und sich als Pseudoarbeitsberater bewähren. Nicht dass sie am Ende die eigenen Hürden reißen…