Besuchergruppen im Gerichtssaal sind normalerweise ein Grauen für Verteidiger. Meist handelt es sich um Schulklassen. Man darf schon sagen, dass nicht wenige Richter und Staatsanwälte bei jugendlichen Zuschauern innerlich wie äußerlich Haltung annehmen und einen verschärften Kurs fahren. Schließlich soll die junge Generation ja nicht den Eindruck kriegen, dass die Justiz Angeklagte nur im Weichspülgang behandelt.
Heute blieb es am Amtsgericht jedoch nicht dabei, dass eine größere Schulklasse im Zuschauerraum Platz nahm. Nein, kurzfristig stellte sich dann auch noch heraus, dass uns eine rund 25-köpfige Delegation aus China beehren würde. Und zwar nicht irgendwer, sondern allesamt Richter aus dem Reich der Mitte. Die Juristen schauen sich gerade auf offizielle Einladung hin in der nordrhein-westfälischen Justiz um und sollen auch einen Eindruck bekommen, wie Strafverfahren in Deutschland ablaufen.
Wir mussten sogar in einen größeren Saal umziehen. Selbst dort war der Zuschauerraum vollgepackt, als die Verhandlung begann. Die Gäste aus China saßen freundlich und aufmerksam in den ersten drei Reihen, die Schüler dahinter.
Anfänglich gab es einige Scharmützel zwischen dem Richter und mir, die allerdings nur die Schüler belustigten. Das wollte ich dann doch mal hinterfragen. Ich nutzte eine Verhandlungspause und kam mit zweien der Juristen ins Gespräch. Englisch ging, deutsch sprachen die beiden aber nicht, ich wiederum kein Chinesisch. Auch die anderen Mitglieder der Delegation sprechen nicht deutsch, wie mir die beiden verrieten.
Auch in China seien Anwälte mitunter bockig, lachte einer der Gesprächspartner. Ich hätte das Thema natürlich gern vertieft, aber leider mussten wir zurück in den Gerichtssaal.
Zwischen Tür und Angel drückte ich den Gästen noch meine Hochachtung aus, dass sie trotz der Sprachprobleme so aufmerksam lauschten. Dabei erwähnte ich auch, dass das Gericht leider nur in deutscher Sprache verhandeln darf, weil unser Gesetz das so vorschreibt. Ich weiß nicht, ob es den Richtern schon vorher klar war, dass wir nicht auf mal Englisch hätten switchen können, selbst wenn das jemand im Gerichtssaal erwogen hätte.
Interessant war, dass der Delegationsleiter dem Richter ein Gastgeschenk ins Beratungszimmer brachte. Der Staatsanwalt und ich dachten im gleichen Augenblick natürlich an die Causa Wulff. Ein kleines gemeinsames juristisches Brainstorming ergab, dass die Gefahr einer Vorteilsgewährung schon wegen der räumlichen Distanz wohl eher gering sein dürfte.
Es sei denn natürlich, ein Delegationsmitglied schlägt in der sicher kargen Freizeit während der Dienstreise so über die Stränge, dass es ein Fall für eben diesen Strafrichter wird. Aber so viel präventives Denken wollten wir dem Delegationsleiter nicht unterstellen. Außerdem wird der deutsche Dienstherr das Gastgeschenk ohnehin genehmigt haben.
Die Richter hielten übrigens noch gut drei Stunden im Sitzungssaal aus, dann stand für sie der nächste Termin an. Die Schüler blieben noch eine ganze Zeit bis zum Urteil, das für meinen Mandanten leider eine bittere Pille war. Allerdings keine unerwartete – die Möglichkeit einer Verständigung hat heute ausnahmsweise mal mein Mandant ausgeschlagen.