In Emden gibt es jetzt bereits zwei Opfer. Das 11-jährige Mädchen, welches ermordet worden ist. Und einen 17-Jährigen, den die Polizei nach derzeitigem Stand zu Unrecht verdächtigt hat und der jetzt zunächst vor dem Scherbenhaufen seiner jungen Existenz steht. Er dürfte nämlich kaum in der Lage sein, sein normales Leben weiter zu führen.
Schon bei der Verhaftung des 17-Jährigen konnte auffallen, wie dünn die Beweislage gewesen sein muss. Zum Tatverdacht hieß es nämlich recht karg, der Beschuldigte habe sich bei Angaben über sein Alibi in Widersprüche verstrickt. Das klang ein wenig sehr nach “Wer einmal lügt, dem glaubt nicht”. Dumm nur, dass man nicht unbedingt der Täter sein muss, wenn man kein Alibi hat.
Wenn die Polizei vorrangig aus diesen “Widersprüchen” wirklich ihre Überzeugung schöpfte, hätte sie zumindest bedenklich dick aufgetragen, als sie mit ihrer Erfolgsmeldung an die Öffentlichkeit ging. Immerhin klang das Fazit der Pressekonferenz so, man sei sich schon ziemlich sicher den Täter zu haben – auch wenn der Staatsanwalt pflichtgemäß auf die Unschuldsvermutung verwies. In vielen Medienberichten schlug sich das in der bemerkenswerten Formulierung nieder: “Nur ein Geständnis hat er bislang nicht abgelegt.”
Apropos dick auftragen. Die Polizei hat sich wohl selbst in die Verlegenheit gebracht, eine schnelle Erfolgsmeldung präsentieren zu müssen. Die Festnahme des 17-Jährigen soll ein ziemlich bombastischer Polizeieinsatz gewesen sein. Den Anwohnern dürfte schon wegen der räumlichen Nähe von knapp 500 Metern zum Tatort klar gewesen sein, dass der Zugriff nicht einem Kleindealer gilt.
Schon gestern wies der Kriminologe Christian Pfeiffer darauf hin, dass die Polizei das verhängnisvolle Echo insbesondere auf Facebook und den Menschenauflauf vor der Polizeiwache mit den “Hängt ihn auf”-Rufen faktisch selbst provoziert hat. Wären die Beamten etwas dezenter vorgegangen, hätten sie den Mob nicht mobilisiert und wären nicht zu einer übereilten Erfolgsmeldung gezwungen gewesen.
Ohne den Druck der Straße hätte die Polizei 17-Jährigen vielmehr in Ruhe überprüfen können. Mit aller Wahrscheinlichkeit wären dann sein Name und seine Adresse heute nicht jedermann bekannt, der drei Suchwörter googeln kann. Der bislang Beschuldigte hätte trotz seiner Festnahme in sein normales Leben zurückkehren können. Damit ist nun wohl nicht mehr zu rechnen.
Man mag den Emdener Beamten zu Gute halten, dass sie vielleicht selbst nicht übersahen, was sie mit ihrem Einsatz lostraten. Ob und inwieweit mit ihnen nach der Festnahme des Jugendlichen die Pferde durchgingen und sie sich von “kriminalistischer Erfahrung” übertölpeln ließen, werden wir ohnehin nicht erfahren. Das offensichtliche Versagen wird allenfalls in einige warme Worte gekleidet werden. Hoffentlich reicht es wenigstens noch zu einer Entschuldigung gegenüber dem jungen Mann.
Für die Zukunft könnte man aus der Sache aber was lernen. Und damit unnötige Opfer vermeiden.