Natürlich wissen die meisten Polizeibeamten um ihre begrenzten Möglichkeiten im Umgang mit Zeugen. Sie dürfen Zeugen nicht zum Erscheinen zwingen, sie nicht gegen ihren Willen auf die Wache mitnehmen und sie auch auf andere Weise nicht zu einer Aussage nötigen. Kurz gesagt: Ein Zeuge muss bei der Polizei überhaupt nichts.
Eine ebenso überwiegende Mehrheit der Polizisten tut aber nach meiner Erfahrung vieles, um diese Rechtslage nicht überdeutlich werden zu lassen. Das beginnt ja schon damit, dass die unverbindlichen Einladungen für Zeugen mit der gängigen Überschrift “Vorladung” den Touch des Verpflichtenden bekommen.
Es geht weiter mit der Behauptung, dem Zeugen stehe nach Lage der Dinge kein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht zu, deshalb sei er zur Aussage verpflichtet. Dass ein Zeuge unabhängig von solchen Rechten mit der Polizei schon mal grundsätzlich nicht sprechen muss, bleibt gern unerwähnt.
Natürlich gibt es trotzdem immer wieder Leute, die ihre Rechte kennen. So eine Zeugin, die ich vertrete. Sie ist der ersten Vorladung nicht gefolgt. Jetzt erhielt sie ein Schreiben mit einem zweiten Termin bei der Polizei und dem Hinweis, bei unentschuldigtem Fehlen müsse sie “mit einer staatsanwaltschaftlichen Vorladung bzw. Vorführung rechnen”.
Die Finesse steckt hier im Detail, nämlich der beiläufigen Drohung mit einer Vorführung. Das ist schlicht Irreführung. Ich habe der Polizeibeamtin folgendes geantwortet:
Ich erlaube mir den Hinweis, dass die von Ihnen in der Ladung dargestellte Alternative „staatsanwaltschaftliche Vorladung bzw. Vorführung“ so nicht existiert. Auch die Staatsanwaltschaft kann einen Zeugen erst vorführen lassen, wenn sie (d.h. die Staatsanwaltschaft) diesen ordnungsgemäß zur Vernehmung geladen hat. Die Vorführung ist nämlich nur im Falle des unberechtigten Ausbleibens oder unberechtigter Weigerung des Zeugen zulässig.
Die Polizei hat keinerlei eigene Rechte, Zeugen zum Erscheinen zu zwingen. Ich bitte Sie höflich, Angeschriebene künftig nicht mit falschen Angaben zu verunsichern.
Mal sehen, ob die betreffende Polizistin den Textbaustein weiter verwendet. Falls ja, schreibe ich vielleicht mal ihrem Vorgesetzten.