Der Vorwurf lautete auf Erpressung. Angeblich soll mein Mandant versucht haben, durch Drohung einen Mann um 25.000 Euro zu erleichtern. Schon als ich seinerzeit die Ermittlungsakte las, hielt ich das für eine weitgehende Interpretation. Das vermeintliche Opfer erklärte der Polizei nämlich, mein Mandant habe gesagt, er werde “unbrav”, wenn er kein Geld kriege.
So ein Begriff ist natürlich auslegungsbedürftig. Unbrav könnte, jedenfalls nach meinem Verständnis, auch bedeuten, dass man vor Gericht klagt. Oder was über den Streit ins Internet schreibt, damit keiner den vermeintlichen Schuldner mehr lieb hat. Auch das sind Übel, aber eben keine “empfindlichen”, wie sie der Erpressungsparagraf verlangt.
Mit dem Wort unbrav mussten wir uns aber gar nicht beschäftigen. Der Zeuge, der nur polnisch spricht, hatte vor Gericht plötzlich eine ganz andere Erinnerung. Mein Mandant habe gar nicht unbrav gesagt. Vielmehr habe er ein anderes Wort gebraucht, das im Polnischen unwirsch bedeutet. Oder auch unhöflich. Je nach Betonung auch beides zusammen. So jedenfalls erklärte es uns der vereidigte Dolmetscher.
Unwirsch und/oder unhöflich – sind wir das nicht alle mal? Die Sache mit der Drohung schien dem Staatsanwalt spätestens mit dieser Klarstellung auch nicht mehr geheuer.
Dabei hatten wir noch gar nicht diskutiert, dass mein Mandant ja gar kein Polnisch spricht. Deshalb hatte er einen polnischen Freund dabei, der seine Worte dolmetschte. Wer sagt denn, dass das, was aus dem Mund des Dolmetschers kam, eine korrekte Übersetzung der Worte meines Mandanten war? (Der Freund sagte es jedenfalls nicht, denn auch er war angeklagt und besaß ein Schweigerecht.)
Das Verfahren wurde eingestellt. Wir dürfen somit alle weiter unhöflich sein, ohne dafür Gefängnis fürchten zu müssen.