Richter mit sozialem Touch

Darauf muss man erst mal kommen. Das Amtsgericht Wetzlar hat auf bemerkenswerte Weise auf den Wunsch eines mutmaßlichen Temposünders reagiert, nicht in der Hauptverhandlung erscheinen zu müssen.

So einem Wunsch muss das Gericht stattgeben, wenn die Anwesenheit des Betroffenen nicht zur “Sachaufklärung” erforderlich ist. Der Autofahrer hatte vorher über seinen Anwalt erklären lassen, er sei der Fahrer gewesen. Ansonsten werde er in der Hauptverhandlung schweigen – was sein Recht ist. Normalerweise muss der Betroffene in so einer Konstellation von der Pflicht befreit werden, den ja oft sehr weiten Weg zum Gericht zu machen.

Das Amtsgericht Wetzlar dachte sich aber was anderes aus. Der Richter wollte nicht auf den Autofahrer verzichten, weil er ihm die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Geschwindigkeitsmessungen belehren wollte.

Das mag zwar ein ehrenwertes Anliegen sein. Oder auch oberlehrerhaft wirken. Auf jeden Fall hat der Richter damit eingeräumt, dass es ihm nicht um die Sachaufklärung geht. Das vorgesetzte Oberlandesgericht Frankfurt schulmeisterte nun wiederum den Amtsrichter. Es wies ihn nämlich darauf hin, dass auch er sich ans Gesetz zu halten hat – und keine Gründe erfinden darf, um den vermeintlichen Temposünder in seinen Gerichtssaal zu zwingen. Das geschah mit sehr deutlichen Worten:

Die Erzwingung der Anwesenheit des Betroffenen allein mit dem Ziel, diesen in der Hauptverhandlung schulmeisterhaft zu belehren, stellt sich aber nach Auffassung des Senats als Maßnahme dar, die auf einer unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben des § 73 Abs. 2 OWG völlig entfernenden Erwägung beruht und unter keinem Gesichtspunkt vertretbar erscheint.

Bei der neu angeordneten Verhandlung darf der Autofahrer dann wohl fernbleiben. Sie findet ohnehin vor einem anderen Richter statt.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 25. Juli 2011, Aktenzeichen 2 Ss-OWi 375/11

Und er ließ die Scherben fallen

Die Polizei ermittelte gegen meinen Mandanten. Es ging, so der Vorwurf, um versuchte Körperverletzung und Sachbeschädigung. Die Strafanzeige las sich etwas wie der Klausurtext für eine Anfängerübung im Jurastudium. Ich zitiere:

Zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten bestehen seit längerer Zeit nachbarschaftliche Streitigkeiten innerhalb einer Hausgemeinschaft. Diese gipfelten zunächst damit, dass der Beschuldigte nach Angabe der Geschädigten eine Handvoll Glasscherben nach ihr warf. Als diese auf ihrer Terrasse lagen, trat ein Hund der Geschädigten in die Scherben und verletzte sich an der Pfote.

Irgendwelche Ermittlungen ersparte sich die Polizei. Keine Feststellung auch zu der Frage, wie arg sich der Hund denn nun verletzt haben soll. Stattdessen lud die Kripo meinen Mandanten vor, um ihn als Beschuldigten zu vernehmen.

Er ist nicht hingegangen, wie ich ihm das geraten habe. Ich überlegte, ob wir überhaupt was schreiben sollen. Schließlich entschied ich mich aus reiner Vorsicht dafür, die ganze Geschichte zu erzählen. Das las sich dann so:

Herr J. hat sich nicht strafbar gemacht.

Der Sohn der Anzeigenerstatterin hatte im gemeinsam genutzten Garten eine Party gefeiert. Die dort anwesenden Jugendlichen hatten unter anderem Flaschen zerschlagen. Weder der Sohn noch die Anzeigenerstatterin selbst machten Anstalten, die Scherben aus dem Garten zu räumen. Mein Mandant forderte die Anzeigenerstatterin Tage nach der Party auf, die Scherben zu entfernen. Sie erklärte ihm, sie werde das erledigen. 

Trotzdem fand mein Mandant, der selbst Kinder und einen Hund hat, wenige Tage später weitere Scherben, die eindeutig Hinterlassenschaften der Party waren. Er hatte einige dieser Scherben in der Hand, als er die Anzeigenerstatterin im Garten fragte, wieso sie die Scherben nicht ordentlich aufgeräumt hat.

Die Anzeigenerstatterin sagte dazu, ihr Sohn sei jetzt 16, sie könne auf ihn keinen Einfluss nehmen, sie habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Hierauf erwiderte mein Mandant: „Was soll ich nun mit den Scherben machen?“ Die Anzeigenerstatterin sagte, das sei ihr egal.

Mein Mandant ließ daraufhin, für die Anzeigenerstatterin deutlich sichtbar, die von ihm selbst kurz zuvor im Garten aufgesammelten Scherben an eben dieser Stelle wieder auf den Boden fallen. Er dokumentierte hiermit, dass er der Anzeigenerstatterin nicht hinterherlaufen wird. Ein Hund der Anzeigenerstatterin war zu diesem Zeitpunkt nirgends im Garten zugegen.

Wahrscheinlich hat die Anzeigenerstatterin die Scherben dann tatsächlich nicht aufgehoben und sich, wie bisher auch, um nichts weiter gekümmert. Sofern sich dann ein Hund der Anzeigenerstatterin an Scherben verletzt haben sollte, fällt dies nicht in den Verantwortungsbereich meines Mandanten. Die Scherben stammten von dem Sohn der Anzeigenerstatterin und nicht von meinem Mandanten.

Der Anzeigenerstatterin war auch klar, dass die Scherben dort nun liegen werden. Sie hat gesehen, wie mein Mandant die Scherben fallen ließ. Wenn sie ihren Hund an der entsprechenden Stelle laufen lässt, ist das ihre Sache.

Mein Mandant streitet entschieden ab, Scherben in Richtung der Anzeigenerstatterin geworfen zu haben. Dies ist eine falsche Verdächtigung.

Ich nehme an, der Staatsanwalt hat es mir angerechnet, dass ich nicht noch zu komplexen Rechtsfragen Stellung genommen habe. Zum Beispiel, wo bei einem angeblichen Scherbenwurf in Richtung einer Frau, bei Abwesenheit eines Hundes, der Vorsatz für eine Sachbeschädigung (am Hund) herkommen soll.

Jedenfalls ist das Verfahren jetzt sang- und klanglos eingestellt worden. Die Justiz hat unter einer Akte weniger zu ächzen.

Wer zahlt für die “Arbeit” des Drogenhunds?

Wenn ein Auto erfolgreich auf Drogen untersucht wird, haftet die Polizei nicht für Schäden am Fahrzeug. Mit dieser Begründung wies das Landgericht Magdeburg die Klage einer Autobesitzerin zurück, deren Sohn bei einer Drogenfahrt erwischt wurde.

Der erwachsene Sohn war mit dem Auto zum Drogeneinkauf gefahren. Hiervon wusste seine Mutter nichts. Die Polizei hielt den Mann an und durchsuchte den Wagen. Der Polizeihund soll bei seiner Arbeit Lackkratzer verursacht und sonst noch so einiges kaputtgebissen haben. Insgesamt betrug der Schaden laut Halterin rund 4.000 Euro.

Allerdings war der Polizeihund auch erfolgreich. Er entdeckte nämlich Marihuana und einen geladenen Revolver.

Das Landgericht Magdeburg hielt der Mutter zwar zu Gute, dass sie von der Straftat ihres Sohnes nichts wusste. Allerdings sei die Durchsuchung als solche rechtmäßig gewesen. Deshalb müsse der Steuerzahler jedenfalls dann nicht für Schäden aufkommen, wenn sich ein Vergehen nachweisen lasse.

Das Landgericht merkt noch an, die Frau könne sich das Geld ja bei ihrem Sohn wiederholen. Dieser sei ihr schadensersatzpflichtig.

Das noch neue Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Betroffene ist gut beraten, erst mal die Urteilsgründe abzuwarten. Denn so lapidar, wie die bislang lediglich vorliegende Pressemitteilung der Justiz Sachsen-Anhalt das Problem abhandelt, ist die Rechtslage beileibe nicht.

Landgericht Magdeburg, Urteil vom 14. Juli 2011, Aktenzeichen 10 O 787/11