Vor einiger Zeit habe ich über einen “Minimalbeschluss” berichtet, mit dem das Amtsgericht Bielefeld eine Firmendurchsuchung anordnete. Nachdem ich die Akte eingesehen habe, ergänzte ich die im verlinkten Beitrag wiedergegebene Begründung noch. Jetzt liegt die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld vor. Sie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auszüge:
Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld … ist rechtswidrig.
Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist begründet. Der angefochtene Beschluss genügt nicht den Anforderungen, die an eine hinreichende Konkretisierung zu stellen sind.
Die Durchsuchungsanordnung stellt eine erheblich in die Rechte des Beschuldigten eingreifende Maßnahme dar. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient unter anderem dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist.
Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.
Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen. Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen werden (BVerfG, Beschluss vom 06.03.2002, 2 BvR 1619/00, zitiert nach juris},
Daran gemessen fehlt es in dem angefochtenen Beschluss an einer hinreichenden Konkretisierung der Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte. In dem Beschluss wird hierzu ausgeführt, es werde vermutet, „dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, in Form von sämtlichen Unterlagen, die Aufschluss über die tatsächlichen Umsätze, Gewinne, Kosten und Lohnzahlungen geben können, insbesondere Buchführungskonten, Kassenaufzeichnungen und -belege, Lohnkonten, Arbeitsverträge, Stundenaufzeichnungen, Stempelkarten, Lohnabrechnungen und -quittungen, Darlehns- und sonstige Verträge, Bankbelege, Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Quittungen, Kontoauszüge, entsprechenden elektronisch lesbare Datenträger einschließlich der Hard- und Software führen wird".
Diese formelhafte und allgemein gehaltene Wendung der Durchsuchungsanordnung erfasst als in Betracht kommende Beweismittel letztlich sämtliche Betriebsunterlagen. Hinzu kommt, dass sich in dem Tenor des angefochtenen Beschlusses keinerlei zeitliche Eingrenzung hinsichtlich der relevanten Unterlagen findet, obgleich sich der konkrete Tatvorwurf auf falsche Angaben … in einem Zeitraum von Juli bis September 2009 bezieht. …
Aus diesen Gründen war die Darlegung der zu suchenden Beweismittel nicht dazu geeignet, Ziel und Grenzen der Durchsuchung hinreichend zu begrenzen. Vielmehr führte die zu weit gefasste Beschreibung im Ergebnis dazu, dass die Festlegung der für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommenden Beweismittel dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen wurde.
Trotz solcher “Erfolge” hat man als Verteidiger aber oft das Gefühl, gegen Wände zu rennen. So auch hier. Mir liegt schon wieder ein ganz frischer Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vor, der genau die Fehler wiederholt, welche das Landgericht ankreidet.
Ich sage es gerne immer wieder: Manche Richter werden erst dann nicht mehr auf die Worte der höheren Instanzen pfeifen, wenn rechtswidrige Beschlüsse auch praktische Konsequenzen haben. Ein Verbot etwa, die illegal gewonnen Beweise auch zu verwerten.
Landgericht Bielefeld, Beschluss vom 20. Juli 2011, 1 Qs 321/11