Anwalt und Internetpirat

Ab und zu werde ich gefragt, welche Fehler man beim Bloggen vermeiden sollte. An erster Stelle sage ich, man sollte sein Blog nicht als reine PR-Veranstaltung aufziehen. Ab heute werde ich hinzufügen, man sollte wenigstens nicht zugeben, dass es einem nur ums Marketing geht – selbst wenn es offensichtlich ist.

Die kleine Ergänzung verdanke ich einem angesäuerten Berliner Anwalt. Dieser beklagt sich heute in seinem Blog darüber, dass andere Juristen auf ihren Internetseiten eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin veröffentlichen, die ER gegen Google erwirkt hat. Die Entscheidung hat der Anwalt zunächst auf seiner eigenen Homepage als PDF veröffentlicht; in seinem Blog wies er darauf hin.

In dem Beschluss wird Google für Beleidigungen haftbar gemacht, die (vermutlich) Unbekannte auf Blogger.com bzw. Blogspot.com hinterlassen haben. Das Landgericht Berlin bejaht also eine “Forenhaftung” auch für den amerikanischen Riesen und droht dem Google-Vorstand Zwangsgelder oder gar Haft an, sofern Google die beanstandeten Inhalte nicht entfernt.

Offensichtlich eine Entscheidung, die fürs Web 2.0 wichtig werden kann. Dementsprechend ist es wenig überraschend, dass der nun mal veröffentlichte Beschluss auch von anderen Anwälten aufgegriffen und publiziert wird. Das aber wiederum stört den Berliner Anwalt, denn er betrachtet die Entscheidung offenbar als so etwas wie sein Eigentum.

Jedenfalls mokiert er sich darüber, dass diverse Kollegen nicht auf sein PDF verlinken, sondern den (kurzen) Beschluss auf ihrer eigenen Seite bringen. Für den Berliner Anwalt handelt es sich hierbei  um “Raubkopien”. Er spricht von “netter Werbung mit fremder Arbeit” und von “ein bisschen Internetpiraterie”. Den aus seiner Sicht raubkopierenden Kollegen gibt er den großzügigen Rat:

Es lohnt in diesem Fall nicht, sich mit fremden Federn zu schmücken.

In seiner Verärgerung scheint der Berliner Jura-Blogger etwas den Sinn für die Realität verloren zu haben. Zunächst mal wird da gar nichts aus seiner Feder raubkopiert. Was auf anderen Seiten auftaucht, ist allein die Entscheidung eines Gerichts. Die ergeht nicht nur im Namen des Volkes; sie ist auch unbelastet von jedem Urheberrecht. Rechtlich ist also gar nichts daran auszusetzen, wenn Urteile von anderen veröffentlicht werden. Es gibt keine Exklusivrechte an Gerichtsentscheidungen.

Ziemlich daneben ist auch die Behauptung, die Betreffenden würden den Eindruck erwecken, sie hätten die Entscheidung erwirkt. Dass Anwälte auf ihren Internetseiten Urteile veröffentlichen, ist ja wahrlich nichts Neues. Kein Leser kommt da auf den Gedanken, der betreffende Jurist sei an jedem Verfahren selbst beteiligt gewesen. Es sei denn natürlich, er lässt das ausdrücklich anklingen. Was hier aber nicht der Fall ist.

Natürlich kann man immer darüber diskutieren, ob es nicht nett ist, jemandem “Credits” zu geben. Der Berliner Kollege besteht aber darauf, dass andere “sein” Urteil nicht selbst veröffentlichen, sondern auf seine Seite verlinken. Tun sie das nicht, sind sie eben Internetpiraten.

So eine Anspruchshaltung, ich habe es eingangs erwähnt, sagt mehr über das betreffende Blog als über die Ziele der Kritik. Aber immerhin ist der Berliner Anwalt freimütig. Er erwähnt selbst, dass bei ihm auch “gekränkte Eitelkeit” eine Rolle spielt. Das ist so erfrischend ehrlich, dass sein Blog vielleicht doch keine hundertprozentige PR-Veranstaltung ist.

Links 647

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Rückständiges Arbeiten

Zu den ewigen Streitpunkten bei Tempoverstößen gehört die Frage, ob der Verteidiger die Bedienungsanleitung für das Messgerät sehen darf. Hier hat das Amtsgericht Lüneburg richtig geurteilt:

Der Verteidiger … hat ein Recht auf Einsicht in alle Unterlagen, die auch einem Sachverständigen zu Verfügung stehen würden. Um zu gewährleisten, dass der Verteidiger der Betroffenen die Bedienung und Aufstellung des Messgerätes nachvollziehen und überprüfen kann und entsprechend die Zeugen in der Hauptverhandlung befragen kann, ist ihm Einsicht in die Bedienungsanleitung zu gewähren.

So vernünftig dieser Standpunkt ist, so aberwitzig argumentiert das Gericht bei der Frage, ob dem Verteidiger die Bedienungsanleitung oder wenigstens eine Kopie zur Verfügung gestellt werden muss:

Das Einsichtsrecht ist durch Einsichtnahme in den Räumen der Bußgeldbehörde auszuüben. Eine Übersendung kann nicht erfolgen. Das Bußgeldverfahren ist ein Massenverfahren. Zum einen wird die Bedienungsanleitung der Messgeräte von den Messbeamten ständig benötigt und kann deshalb schon nicht im Original versandt werden. Zum anderen würde aufgrund der Vielzahl der Bußgeldverfahren die jeweilige Anfertigung von Kopien die Kapazitäten der Behörde in einem erheblichen Ausmaß überschreiten. 

Stattdessen soll der Verteidiger aus einer anderen Stadt auch “weit”, also möglicherweise mehrere hundert Kilometer anreisen müssen.

Offenbar ist dem Gericht nicht bekannt, dass die Hersteller elektronischer Geräte ihren Kunden heutzutage PDFs der Bedienungsanleitung zur Verfügung stellen. Dass ausgerechnet die Hersteller von Tempomessgeräten noch ausschließlich auf totes Holz setzen, wäre mir neu.

Jeder Sachbearbeiter im Ordnungsamt hat schon heute eine Sammlung von Textbausteinen zur Verfügung. (Deshalb klingen die Briefe auch immer gleich langweilig.) Es wäre also eine leichte Übung, in dieser Textbausteinverwaltung die passenden Bedienungsanleitungen für die genutzten Messgeräte zu hinterlegen.

Wenn der Mitarbeiter dem Anwalt die Akte übersendet (oder diese, wie so oft, gar erst ausdruckt), könnte er mit dem Begleitschreiben problemlos die Bedienungsanleitung mit ausgeben lassen. Von der Möglichkeit, das PDF des Manuals einfach per E-Mail zu schicken, will ich gar nicht reden.

Aber nein, das Amtsgericht Lüneburg stellt es so dar, als müsste bei jedem Einsichtsgesuch die Bedienungsanleitung hervorgekramt und mühsam Seite für Seite abkopiert werden. Entweder ist das bösartig. Oder der zuständige Richter denkt, es wird überall so rückständig gearbeitet wie an einem Amtsgericht.

Letzteres wäre dann wieder ein Beleg dafür, dass es manchmal sehr sinnvoll sein kann, vor einer so weitgehenden Entscheidung aus dem Elfenbeinturm zu blicken.

Link zum Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg

Schmerzhaftes Public Viewing

Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 zeigte ein Veranstalter im Rahmen eines "Public Viewings” Länderspiele. Er baute dazu mit Genehmigung des Ordnungsamtes eine dreistöckige Sitztribüne, die nicht mit Geländern abgesichert war. Aus dem Stand stürzte ein selbständiger IT-Fachmann gemeinsam mit einem anderen Zuschauer aus 80 cm Höhe zu Boden und brach sich hierbei den Arm. Der Essener war mehrere Monate arbeitsunfähig und verklagte den Veranstalter nun erfolgreich auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Ein Veranstalter, so sagt es der 9. Zivilsenat des OLG Hamm (Aktenzeichen Z I-9 U 44/10), „ist für die Sicherheit von stehenden Zuschauern auf einer Sitztribüne verantwortlich“. Der Veranstalter werde nicht durch eine ordnungsbehördliche Genehmigung entlastet. Er habe seine „Verkehrssicherungspflichten“ verletzt und hafte daher für die entstandenen Schäden.

Die Gefahr sei „bei wiederholten tumultartigen Bewegungen unter den Zuschauern auf der Bühne offensichtlich gewesen“. Dem Essener sprach der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro und weiteren Schadensersatz (unter anderem für Verdienstausfall) in Höhe von etwa 3.300 Euro zu.

Allerdings machte das Gericht auch Abstriche und rechnete dem verletzten Mann 50 Prozent Mitverschulden an. Er hätte sich durch vorsichtiges Verhalten (Motto „Augen auf“) vor Schaden schützen und den Tribünenrand meiden können. Im Kern gilt jedoch, so was Gerichtssprecherin Ulrike Kaup: „Veranstalter müssen vor Gefahren schützen, die Besucher nicht gleich erkennen können!“ (pbd)

Auch Ärzte dürfen Sado-Maso-Sex haben

Vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg hat sich ein Arzt aus dem Märkischen Kreis erfolgreich gegen den Widerruf seiner Approbation durch die Bezirksregierung Arnsberg gewandt. Die Bezirksregierung hatte sich auf verschiedene strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers und darauf gestützt, dass er mit zwei Patientinnen Beziehungen geführt hatte, in deren Verlauf es zu sadomasochistischen Sexualpraktiken gekommen war.

In der Urteilsbegründung kommt die 7. Kammer zu dem Ergebnis, dass das Verhalten des Arztes weder seine Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs noch seine Unzuverlässigkeit begründe. Im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei die Approbation nur zu widerrufen, wenn ein schwerwiegendes Fehlverhalten die weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lasse, oder wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, der Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Pflichten nicht beachten.

Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Die strafrechtlichen Verurteilungen, insbesondere eine Verurteilung wegen Betruges und Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung, rechtfertigten den Widerruf der Approbation nicht. Sie beträfen weder den Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit, nämlich das Arzt-Patienten-Verhältnis, noch überhaupt die Tätigkeit des Klägers als Arzt. Sie stünden in keinerlei Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit.

Das Gericht hat außerdem nach einer Zeugenvernehmung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger seiner damaligen Freundin bei einem Streit erhebliche Verletzungen beigebracht habe, so dass auch insoweit sein Verhalten nicht den Widerruf der Approbation rechtfertige.

Schließlich werde das Ansehen und das Vertrauen, das für die Ausübung des ärztlichen Berufs unabdingbar erforderlich sei, auch nicht dadurch zerstört, dass der Kläger im Rahmen sexueller Beziehungen zu zwei Frauen, die er als Patientinnen kennen gelernt hatte, sadomasochistische Praktiken ausgeübt habe.

Dieses Verhalten sei nicht strafbar, da der Kläger seine Partnerinnen weder mit Gewalt noch mit Drohungen zu sexuellen Handlungen genötigt habe. Diese hätten die Praktiken hingenommen, um die Beziehung nicht zu gefährden. Die Einwilligung sei mit Blick auf Art und Schwere der Verletzungshandlungen auch nicht sittenwidrig.

Es lasse sich zudem nicht feststellen, dass der Kläger das Arzt-Patienten-Verhältnis ausgenutzt habe, um die Beziehungen in der von ihm gewünschten Art führen zu können. Er habe die beiden Frauen zwar als Patientinnen kennen gelernt. Sie seien von ihm als Arzt aber nicht abhängig gewesen. Die sexuellen Beziehungen seien deshalb vom Arzt-Patienten-Verhältnis getrennt zu betrachten. Es lasse sich auch nicht feststellen, dass der Kläger den Partnerinnen bei den sadomasochistischer Praktiken vorsätzlich gravierende Verletzungen zugefügt habe, die auch bei fehlender Strafbarkeit mit dem Bild eines helfenden und heilenden Arztes unvereinbar wären.

Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 16. Juni 2011, Aktenzeichen 7 K 927/10

Mimimi-Polizisten

Die Junge Polizei in Bremen macht mit einer Fotokampagne, die auch auf der offiziellen Seite der Deutschen Polizeigewerkschaft Bremen zu sehen ist, auf die dienstlichen Nöte von Polizeibeamten aufmerksam. Ich weise gern auf die Aktion hin. Auch wenn ich meine, dass sie mehr über die Geisteshaltung vieler Polizisten und ihre Mimimi-Einstellung sagt als über die angesprochene Problematik.

Nachhaltig beeindruckt hat mich dieses Motiv:

Bild nachträglich aus Gründen entfernt

Dieses hier ist allerdings auch zeigenswert:

Bild nachträglich aus Gründen entfernt

Und zum Abschluss:

Bild nachträglich aus Gründen entfernt

Offen gesagt, mir ist ein bisschen schlecht.

Der Verdacht der Beweisrelevanz

Interessanter Satz aus einem Beschlagnahmebeschluss:

Der Verdacht der Beweisrelevanz ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass einerseits auf den Datenträgern eine hochwirksame Verschlüsselung (Pretty Good Privacy bzw. TrueCrypt) aufgebracht war, die Zeugen aber andererseits die Nennung der Passwörter verweigerten bzw. diese “vergessen” hatten.

Verschlüsselung ist nichts Böses, sondern das Recht jeden Bürgers. Ebenso ist es das Recht von Zeugen, von ihren gesetzlichen Auskunftsverweigerungsrechten Gebrauch zu machen. Rechte, die in diesem Fall auch nicht ernsthaft bestritten werden.

Zwei legale Handlungen begründen also den “Verdacht der Beweisrelevanz”. Statt so rumzuschwurbeln, könnte man schreiben: Lieber Bürger, wenn du verschlüsselst, bist du für uns automatisch ein Bösewicht.

Das wäre wenigstens ehrlich.

Ganz klar, ein Trojaner

Frau J. wollte online 50 Euro an einen bestimmten Empfänger überweisen. Am Tag darauf schaute sie ihre Kontobewegungen durch und stellte fest, aus den 50 Euro sind 1.700 Euro geworden. Die Überweisung ging auch nicht an den von ihr gewünschten Empfänger, sondern an eine dritte Person. Der Betreff in der Überweisung war unverändert.

Das sind die Angaben von Frau J. Die Polizei hat das alles für bare Münze genommen. Die Beamten recherchierten im Anschluss lediglich, wem das Empfängerkonto gehört – und regten eine Durchsuchung beim Kontoinhaber an. Die Begründung dafür finde ich bemerkenswert:

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es offenbar zu einer Manipulation des Rechners der Geschädigten gekommen ist (Aufspielen eines Trojaners), um zielgerichtet Geld auf das Konto des Beschuldigten umzuleiten. Von dieser Annahme ausgehend dürfte es sich beim vorliegenden Sachverhalt nicht um einen Einzelfall handeln.

Zu Beginn des zweiten Satzes findet sich das entscheidende Wort. “Annahme”. Man könnte auch sagen: Stochern im Nebel,  Mutmaßung, Spekulation, Vermutung ins Blaue hinein. Denn obwohl Frau J. noch am gleichen Tag eine Anzeige machte, sah sich niemand bei der Polizei bemüßigt, den angeblichen Ablauf vielleicht mal zu reproduzieren. Oder sogar einen Blick auf Frau J.s Computer zu werfen, ob sich da wirklich ein Trojaner drauf findet.

Zum Glück sah auch der zuständige Staatsanwalt, wie lustlos hier ermittelt wurde. Er lehnte die Hausdurchsuchung ab, eben mit der Erwägung, dass auch Zahlendreher, technische Fehler bei der Bank oder schlichte Unfähigkeit von Frau J. im Umgang mit dem Onlinebanking nicht ausgeschlossen sind.

Einen dringenden Verdacht kann ich ebenfalls nur in eine Richtung erkennen – auf akute Arbeitsunlust bei den zuständigen Polizeibeamten.

Wankbewegungen

So manchen Autofahrer trifft es aus heiterem Himmel, wenn Polizisten vor der Haustür stehen und wissen wollen, wer in den letzten Stunden so mit dem Auto gefahren ist, das in der Einfahrt steht. Die Aktion wird gerne eingeleitet mit der Frage: “Sie wissen doch bestimmt, weshalb wir hier sind?”

Es gibt keine Situation, in der man unbefangen mit der Polizei reden sollte. Dementsprechend gehört diese dazu. Leider hilft eisernes Schweigen meist nicht über die messerscharfe Schlussfolgerung mancher Ermittlungsbeamter hinweg, wonach ein Beschuldigter Dreck am Stecken hat, weil sonst wäre er ja nicht Beschuldigter.

Als nächster Schritt (“Sie haben also keine Fahrerflucht begangen?”) wird dann der Wagen besichtigt. Sofern sich auch nur ein Kratzer an passender Stelle findet, ist die Sache klar. Leider wird dabei sehr oft nur unzureichend berücksichtigt, dass ein Fahrer nicht zwingend jede Berührung seines Fahrzeugs wahrnehmen muss.

Umso überraschter war ich neulich über einen Amtsrichter, der einen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nicht einfach abnickte. Es ging darum, dass mein Mandant mit seinem Lkw einen anderen Laster leicht angetitscht haben sollte. Und zwar mitten in der Nacht am Rande eines bayerischen Orts. Der andere Lkw hatte sich festgefahren. Um an dem Laster vorbeizukommen, soll mein Mandant teilweise über den Bürgersteig gefahren sein.

Für den Staatsanwalt war die Sache klar; mein Mandant sollte für acht Monate auf den Führerschein verzichten. Der Richter dagegen meinte, es könne auch mit einer Auflage von 500 Euro gut sein. Wir stimmten dem zu. Immerhin wäre damit die Gefahr gebannt gewesen, dass mein Mandant arbeitslos wird. Aber mit dem Staatsanwalt war nichts zu machen.

Nun musste ein Gutachter ran. Er sollte prüfen, ob der (angebliche) Unfall für meinen Mandanten visuell, akustisch und taktil wahrnehmbar war. Fahrerflucht ist ein Vorsatzdelikt. Man kann sich deswegen nur strafbar machen, wenn der Fahrer den Unfall tatsächlich bemerkt hat.

Der Gutachter hat die Sache nicht nur sauber aufgearbeitet. Er entlastet meinen Mandanten auch zu 100 %. Auszüge aus seinen Erwägungen:

– Visuelle Wahrnehmbarkeit: Der Kontakt mit dem Lkw S hätte vom Fahrer K allenfalls im rechten Außenspiegel wahrgenommen werden können, was jedoch zum einen gute Sichtverhältnisse und zum anderen einen Blick unmittelbar zum Anstoßzeitpunkt in den Außenspiegel vorausgesetzt hätte. Da es zum Unfallzeitpunkt dunkel war und eine Blickzuwendung unmittelbar zum Zeitpunkt der Berührung nicht nachweisbar ist, lässt sich dem Fahrer K eine visuelle Wahrnehmung nicht nachweisen.

-   Taktile Wahrnehmbarkeit: Sowohl der Kontakt an den Haltern der Rohre als auch der relativ leichte Anstoß an der Abdeckung des Endschalldämpfers sowie die Streifberührung an den Kotflügeln ist mit einem sehr geringen Energieaustausch verbunden. Hierdurch ist keine Geschwindigkeits- bzw. Verzögerungsänderung am Lkw K eingetreten, welche als kollisionmechanisch wahrnehmbar zu bezeichnen wäre, … zumal durch das Auffahren auf den Gehweg bzw. gegen die Gehwegkante Wankbewegungen in den Lkw eingeleitet wurden, die eine Differenzierung mit evtl. kollisionsbedingten Wankbewegungen nicht mehr ermöglicht hätten.

– Akustische Wahrnehmbarkeit:  Da die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt glatt war, ist zu erwarten, dass der Fahrer K die Differnzialsperre der Hinterachse eingeschaltet hatte. HIerdurch ist infolge gegebenenfalls durchdrehender Räder und unterschiedlicher Traktion zwischem rechtem und linken Hinterrad durchaus eine zusätzliche Geräuschentwicklung als Betriebsgeräusch zu erwarten. Unter Berücksichtigung der Betriebsgeräusche des Lkw in Verbindung damit, dass sich die Fahrerpositioni in einem Abstand zur Anstoßstelle von etwa 9 m befand, ist nicht zu erwarten, dass die Anstoßgeräusche vom Fahrer K wahrnehmbar waren.

Das ist doch mal ein sauberes Ergebnis. Nun ist die Staatsanwaltschaft am Zug. Sie kann ihren Strafbefehlsantrag zurückziehen. Oder uns noch eine Hauptverhandlung aufzwingen. In diesem Fall fahre ich ganz entspannt nach Bayern.

Den Sachverständigen schlage ich künftig immer vor. Er hat sich einen Platz in meinem Adressbuch verdient.

Schnappschüsse aus dem SB-Bereich

Preis- und Leistungsverzeichnisse der Banken sind seit jeher ein Dokument für Einfallsreichtum. Für den Einfallsreichtum, wie man für die kleinste Aktivität dem Kunden etwas berechnen kann. Unzählige Klauseln haben Gerichte schon für unwirksam erklärt. Zum Beispiel Gebühren fürs Geldabheben an der Kasse, fürs Bearbeiten von Pfändungen, die Bearbeitung von Darlehen und zuletzt für die Zusendung von Kontoauszügen.

Auch bei der Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg sind kreative Köpfe am Werk. Im Preis- und Leistungsverzeichnis findet sich folgende Position (Nr. 6 “Sonstiges”):

Erstellung von Bildern aus Kameraüberwachung im SB-Bereich im Kundeninteresse 25 Euro

Gehen wir mal davon aus, dass sich die Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg ans geltende Recht hält. Dann darf sie die Videobilder ausschließlich zur Klärung von Straftaten verwenden und die Aufnahmen nur an die Polizei herausgeben. Es gab zwar auch bei anderen Banken schon Versuche, mit der Überwachung weit harmlosere Sachverhalte zu ermitteln. Doch datenschutzrechtlich geht so was nach hinten los. Gleiches gälte für den Fall, dass dem Kunden einfach so Kamerabilder zur Verfügung gestellt werden, bloß weil er ein “Interesse” reklamiert.

Wenn die Bank aber die Polizei informiert, sind ihre Mitarbeiter Zeugen. Die Bank kann ihren Aufwand als “Zeugengeld” mit der Polizei abrechnen. Dann noch mal für dieselbe Geschichte beim Kunden die Hand aufhalten, sieht nicht nur merkwürdig aus. Es könnte sogar selbst zum Gegenstand rechtlicher Betrachtungen werden, wenn doppelt kassiert wird.

Aber darüber haben sich die Juristen der Sparkasse sicher intensiv Gedanken gemacht.

(Danke an Steffen P. für den Hinweis)

Ein Stück Papier, rot, DIN A 4

Zur richterlichen Unabhängigkeit gehört auch, wie das Urteil zu Papier gebracht wird. Die Zahl poetisch veranlagter Juristen, die ihrer Leidenschaft ausgerechnet “Im Namen des Volkes” frönen, hält sich in Grenzen. Sporadisch erblicken jedoch mehr oder weniger gut gereimte Urteile das Licht der Welt.

Zu den Klassikern gehören mittlerweile der angeblich versiffte Hocker, die Mahnung im Reimform und der besoffene Autofahrer.

Ein Amtsrichter aus Darmstadt hat nun offenbar das letzte Rechtsgebiet entdeckt, in dem gereimte Urteile die absolute Ausnahme sind. Das Strafrecht. Weil ein Angeklagter nicht zur Verhandlung erschien, erließ er knallhart einen Haftbefehl, wählte dafür aber den poetischen Ansatz:

Es besteht der Haftgrund des § 230 Abs. 2 Strafprozessordnung.

Der Angeklagte macht Verdruss,

weil er nicht kommt, doch kommen muss.

Und weil er heut ist nicht gekommen,

wird in U-Haft er genommen.

Zu diesem Zwecke nehmen wir

ein Stück Papier,

rot, DIN A 4

und sperren ihn dann sofort ein

in Staatshotel zu Preungesheim.

Ich persönlich finde so was grenzwertig. Wenn es um die Freiheit eines Menschen geht, ist Humor doch eher fehl am Platz – vor allem wenn der Witz auch noch auf Kosten des Beschuldigten gemacht wird.

Ich würde wahrscheinlich einen ganz humorlosen Befangenheitsantrag schreiben, schon um zu sehen, ob man so was vielleicht künftiger öfter lesen muss.

Link zum Beschluss (PDF)

Minister: Biokost sollte auch im Knast möglich sein

Haben Gefangene einen Anspruch auf Biokost? J–ein! Es gibt zwar keine generelle Genehmigung, aber die Forderung nach spezieller Nahrung aus ökologischem Anbau stößt beim nordrhein-westfälischen Justizminister nicht auf taube Ohren. Thomas Kutschaty (SPD) geht noch weiter: „Eine unüberbrückbare Hürde zur Beschaffung von Biokost in den Justizvollzugsanstalten sehe ich nicht“, sagte er auf Anfrage.

Der Minister folgt mit dieser Haltung weitgehend einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (1 Ws 186/11). Dessen 1. Strafsenat hatte sich mit dem Antrag eines Untersuchungshäftlings zu befassen. Der Mann verlangte, Bio- und Reformprodukte auf eigene Kosten einkaufen zu können. Er machte geltend, nur Speisen ohne künstliche Zusatzstoffe zu essen. Diese Ernährungsweise entspreche einer ganzheitlichen, antroposophischen Weltanschauung. Die Anstaltsleitung biete aber nur Lebensmittel mit überwiegend künstlichen Zusätze.

„Gefangene sind gesund zu ernähren“, befand das Oberlandesgericht. Schließlich bekämen sie auch aus medizinischen und religiösen Gründen eine besondere Verpflegung. Die Justizvollzugsanstalt müsse also für ein „erweitertes Nahrungsmittelangebot“ sorgen, aus dem der Häftling sich zumindest bei seinen eigenen Einkäufen bedienen kann. Käme nun solch ein „nicht ungewöhnlicher“ Antrag aus NRW-Gefängnissen, müsste sich der jeweilige Anstaltskaufmann darum kümmern und „bei Machbarkeit“ die Forderung auch erfüllen.

Die normale Verpflegung eines Gefangenen kostet das Land durchschnittlich täglich 2,30 Euro. In diesem Betrag sind die unterschiedlichen Speiseangebote (beispielsweise religiös bedingte und Krankenkost) enthalten. Die Art und Weise der Gefängnisversorgung mit Lebensmitteln wird durch eine „Verpflegungsordnung“ geregelt. Darin wird auch bestimmt, dass „Lebensmittel mittlerer Art und Güte zu beschaffen“ sind, der Speiseplan aber „im Rahmen der jeweiligen Marktlage möglichst abwechslungsreich zu gestalten ist“.

Die Küche der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen bot an einem willkürlich gewählten Tag im Juni zum Beispiel als Frühstück Hamburgerwurst, Brot, Margarine,Tee. Das Essen am Mittag bestand aus Möhreneintopf mit Mettwurst und das für den Abend aus Gouda-Käse, Brot, Margarine und Tee.

Falls Biokost im jeweiligen Gefängnis nicht zum privaten Einkauf durch den Gefangenen angeboten wird, soll die Anstalt nach den Vorgaben des Justizministers im Einzelfall sorgfältig prüfen, ob sie Biokost besorgen kann. (pbd)