Auf Facebook gibt es einen Aufruf zu einer “Schüler- und Jugendblockade” gegen die Bauarbeiten am Stuttgarter Bahnhof. Am 2. August sollen die Arbeiten am Grundwassermanagement verhindert werden. Die Polizei wertet das als öffentliche Aufforderung zu Straftaten und will, so berichtet die Stuttgarter Zeitung, gegen die Verantwortlichen ermitteln. Gleichzeitig warnt sie Schüler und Jugendliche, dem Aufruf zu folgen und droht ihnen ebenfalls mit Platzverweisen und Ermittlungsverfahren.
Der Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle bewertet den Aufruf mit bemerkenswerten Worten. “Alle Verantwortungsbewussten innerhalb des Widerstands gegen Stuttgart 21 müssen sich von diesem Vorhaben distanzieren“, sagte er. Er hält es für unverantwortlich, Kinder und Jugendliche zur Blockade der Baustelle am Grundwassermanagement (GWM) aufzurufen und sie damit für andere Interessen zu instrumentalisieren.
Mir ist nicht ganz klar, was der Polizeipräsident mit “anderen Interessen” meint. Seine Äußerung klingt jedenfalls so, als halte er es grundsätzlich für ausgeschlossen, dass junge Menschen eigene Interessen haben könnten und dafür demonstrieren dürfen.
Das Grundgesetz garantiert allen Deutschen Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Im Grundrecht steht nichts davon, dass es erst ab 18 Jahren gilt. Es gibt auch niemanden, der ernsthaft behauptet, Kinder und Jugendliche dürften nicht für ihre politischen Überzeugungen öffentlich eintreten. Es ist also schon eine ziemliche Irreführung, wenn der Polizeipräsident den möglichen Teilnehmern pauschal unterstellt, sie seien fremdgesteuert. (Wobei es natürlich ebenso fragwürdig ist, wenn Kinder und Jugendliche tatsächlich fremdgesteuert werden. Was ich durchaus für möglich halte. )
Offenbar ist der Stuttgarter Polizei auch nicht bekannt, dass Sitzblockaden durchaus ein legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein können. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Jahr 1995 ausdrücklich festgestellt; es hat den Automatismus Blockade = strafbare Nötigung verworfen. Es kommt immer auf den Einzelfall an, nämlich auf die Intention der Blockierer, den Grad der Beeinträchtigung durch die Blockade und etwa die Bereitschaft, sich ohne Gegenwehr von Polizeikräften wegtragen zu lassen. Es ist zwar möglich, dass Teilnehmer der Sitzblockade sich wegen Nötigung strafbar machen. Es steht aber keineswegs fest.
Dementsprechend ist es auch nicht ausgemacht, dass die Veranstalter tatsächlich öffentlich zu Straftaten aufrufen. Daran ändert auch der Hinweis auf das Versammlungsrecht nichts. Eine Sitzblockade fällt zwar unter das Versammlungsgesetz. Allerdings liegt es in der Natur des Vorhabens, dass die formal vorgeschriebene Anmeldung der Veranstaltung wenig Sinn macht – die Sitzblockade würde daraufhin ja ohnehin verboten. Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anmeldung einer Demonstration/Sitzblockade mag vielleicht selbst eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat sein, aber zu diesem Delikt rufen die Verantwortlichen ja gar nicht auf; sie verwirklichen es nur möglicherweise.
Alles in allem argumentiert der Polizeipräsident also sehr einseitig. Ob das bewusst geschieht oder er nur die Sach- und Rechtslage grob fahrlässig in seinem eigenen Interesse hinbiegt – ich weiß es nicht.