Aus der Sicherungsverwahrung entlassene Straftäter können negative Auswirkungen auf das Wohnumfeld haben. Mit dieser Begründung verurteilte das Landgericht Dortmund jetzt einen Mann, die von ihm gemietete Wohnung zu räumen. Der Vermieter hatte den Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten.
Der Mann hatte den Vermieter nicht gesagt, dass er sich bis Ende 2010 in der Sicherungsverwahrung befand. Er war aufgrund der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Unrechtmäßigkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung entlassen worden.
Grundsätzlich meint zwar auch das Landgericht Dortmund, entlassene Straftäter müssten Vermieter nicht über ihre Vorstrafen informieren. Dieser Fall sei jedoch anders gelagert., Der Mann sei nicht deshalb entlassen worden, weil er als resozialisiert gelte und die Sicherungsverwahrung deshalb nicht mehr erforderlich sei. Das zeige sich auch daran, dass der Betroffene nur unter strengen Auflagen freigekommen sei.
Die Anwesenheit des Betroffen könne zu Bürgerprotesten und negativer Berichterstattung führen. Dies setze die Wohnqualität auch für die Mitmieter herab. Das Landgericht betrachtete dies gar als so gravierend, dass es dem Mann nicht mal eine Räumungsfrist bewilligte.
Ich kann über dieses Urteil nur den Kopf schütteln. Es ist schon von den Grundannahmen falsch. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass die Sicherungsverwahrten zu Unrecht eingesperrt waren. Die Inhaftierung war nicht nur einfach rechtswidrig; sie verletzte sogar die Menschenrechte. Die staatliche Maßnahme war also von vornherein ohne jede Grundlage – die Freilassung hat lediglich den rechtmäßigen Zustand wieder hergestellt.
Wenn sich das Landgericht Dortmund nun hinstellt und im Ergebnis sagt, der Betroffene müsste eigentlich weiter in Sicherungsverwahrung sein, maßt es sich zunächst an, es besser zu wissen als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Was es nicht darf, denn auch das Landgericht Dortmund hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu beachten. Das hat das Bundesverfassungsgericht ja erst kürzlich den Strafgerichten in deutlichen Worten gesagt.
Überhaupt ist die Frage nach einer Resozialisierung auch kein taugliches Kriterium. Offensichtlich ist dem Landgericht Dortmund nicht bekannt, dass eine Vielzahl von Straftätern entlassen wird, obwohl sie als “gefährlich” eingestuft werden können. Das kann schon daran liegen, dass sie ihre Haftstrafe bis zum letzten Tag abgesessen haben. Dann hat auch der Staat nicht mehr das Recht zu prüfen, ob der Verurteilte möglicherweise weiter zu Straftaten neigt. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung vorliegen (was bei dem Dortmunder Mieter, der seine Strafe überdies ohnehin schon verbüßt hat, eben nicht der Fall war).
Eine Aufklärungspflicht für den Betroffenen ist gleichbedeutend mit seiner Obdachlosigkeit. Kein Vermieter wird eine Wohnung an eine Person vermieten, die sich als ehemaliger Sicherungsverwahrter outet. Das Landgericht Dortmund spricht also ein gesellschaftliches Todesurteil. Damit trägt es auch aktiv dazu bei, dass der Sicherungsverwahrte nicht einmal die leiseste Chance erhält, nicht nur in Freiheit, sondern auch in die Gesellschaft zurückzufinden.
Sicherlich kann die Anwesenheit eines ehemaligen Sicherungsverwahrten die Wohnqualität beeinträchtigen. Aber der damit verbundene “Schaden” fürs Viertel ist nun mal die notwendige Folge des Umstandes, dass auch Straftäter (Grund-)Rechte haben. Überdies werden die “Auflagen” ( = Überwachung) ja auch gerade deswegen angeordnet, um das Risiko weiterer Straftaten zu reduzieren.
Das Landgericht Dortmund macht diese Menschen nun faktisch zu Ausgestoßenen. Das Bundesverfassungsgericht wird hoffentlich in absehbarer Zeit deutliche Worte zu diesem Urteil finden.