Zu den ewigen Streitpunkten bei Tempoverstößen gehört die Frage, ob der Verteidiger die Bedienungsanleitung für das Messgerät sehen darf. Hier hat das Amtsgericht Lüneburg richtig geurteilt:
Der Verteidiger … hat ein Recht auf Einsicht in alle Unterlagen, die auch einem Sachverständigen zu Verfügung stehen würden. Um zu gewährleisten, dass der Verteidiger der Betroffenen die Bedienung und Aufstellung des Messgerätes nachvollziehen und überprüfen kann und entsprechend die Zeugen in der Hauptverhandlung befragen kann, ist ihm Einsicht in die Bedienungsanleitung zu gewähren.
So vernünftig dieser Standpunkt ist, so aberwitzig argumentiert das Gericht bei der Frage, ob dem Verteidiger die Bedienungsanleitung oder wenigstens eine Kopie zur Verfügung gestellt werden muss:
Das Einsichtsrecht ist durch Einsichtnahme in den Räumen der Bußgeldbehörde auszuüben. Eine Übersendung kann nicht erfolgen. Das Bußgeldverfahren ist ein Massenverfahren. Zum einen wird die Bedienungsanleitung der Messgeräte von den Messbeamten ständig benötigt und kann deshalb schon nicht im Original versandt werden. Zum anderen würde aufgrund der Vielzahl der Bußgeldverfahren die jeweilige Anfertigung von Kopien die Kapazitäten der Behörde in einem erheblichen Ausmaß überschreiten.
Stattdessen soll der Verteidiger aus einer anderen Stadt auch “weit”, also möglicherweise mehrere hundert Kilometer anreisen müssen.
Offenbar ist dem Gericht nicht bekannt, dass die Hersteller elektronischer Geräte ihren Kunden heutzutage PDFs der Bedienungsanleitung zur Verfügung stellen. Dass ausgerechnet die Hersteller von Tempomessgeräten noch ausschließlich auf totes Holz setzen, wäre mir neu.
Jeder Sachbearbeiter im Ordnungsamt hat schon heute eine Sammlung von Textbausteinen zur Verfügung. (Deshalb klingen die Briefe auch immer gleich langweilig.) Es wäre also eine leichte Übung, in dieser Textbausteinverwaltung die passenden Bedienungsanleitungen für die genutzten Messgeräte zu hinterlegen.
Wenn der Mitarbeiter dem Anwalt die Akte übersendet (oder diese, wie so oft, gar erst ausdruckt), könnte er mit dem Begleitschreiben problemlos die Bedienungsanleitung mit ausgeben lassen. Von der Möglichkeit, das PDF des Manuals einfach per E-Mail zu schicken, will ich gar nicht reden.
Aber nein, das Amtsgericht Lüneburg stellt es so dar, als müsste bei jedem Einsichtsgesuch die Bedienungsanleitung hervorgekramt und mühsam Seite für Seite abkopiert werden. Entweder ist das bösartig. Oder der zuständige Richter denkt, es wird überall so rückständig gearbeitet wie an einem Amtsgericht.
Letzteres wäre dann wieder ein Beleg dafür, dass es manchmal sehr sinnvoll sein kann, vor einer so weitgehenden Entscheidung aus dem Elfenbeinturm zu blicken.