So manchen Autofahrer trifft es aus heiterem Himmel, wenn Polizisten vor der Haustür stehen und wissen wollen, wer in den letzten Stunden so mit dem Auto gefahren ist, das in der Einfahrt steht. Die Aktion wird gerne eingeleitet mit der Frage: “Sie wissen doch bestimmt, weshalb wir hier sind?”
Es gibt keine Situation, in der man unbefangen mit der Polizei reden sollte. Dementsprechend gehört diese dazu. Leider hilft eisernes Schweigen meist nicht über die messerscharfe Schlussfolgerung mancher Ermittlungsbeamter hinweg, wonach ein Beschuldigter Dreck am Stecken hat, weil sonst wäre er ja nicht Beschuldigter.
Als nächster Schritt (“Sie haben also keine Fahrerflucht begangen?”) wird dann der Wagen besichtigt. Sofern sich auch nur ein Kratzer an passender Stelle findet, ist die Sache klar. Leider wird dabei sehr oft nur unzureichend berücksichtigt, dass ein Fahrer nicht zwingend jede Berührung seines Fahrzeugs wahrnehmen muss.
Umso überraschter war ich neulich über einen Amtsrichter, der einen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nicht einfach abnickte. Es ging darum, dass mein Mandant mit seinem Lkw einen anderen Laster leicht angetitscht haben sollte. Und zwar mitten in der Nacht am Rande eines bayerischen Orts. Der andere Lkw hatte sich festgefahren. Um an dem Laster vorbeizukommen, soll mein Mandant teilweise über den Bürgersteig gefahren sein.
Für den Staatsanwalt war die Sache klar; mein Mandant sollte für acht Monate auf den Führerschein verzichten. Der Richter dagegen meinte, es könne auch mit einer Auflage von 500 Euro gut sein. Wir stimmten dem zu. Immerhin wäre damit die Gefahr gebannt gewesen, dass mein Mandant arbeitslos wird. Aber mit dem Staatsanwalt war nichts zu machen.
Nun musste ein Gutachter ran. Er sollte prüfen, ob der (angebliche) Unfall für meinen Mandanten visuell, akustisch und taktil wahrnehmbar war. Fahrerflucht ist ein Vorsatzdelikt. Man kann sich deswegen nur strafbar machen, wenn der Fahrer den Unfall tatsächlich bemerkt hat.
Der Gutachter hat die Sache nicht nur sauber aufgearbeitet. Er entlastet meinen Mandanten auch zu 100 %. Auszüge aus seinen Erwägungen:
– Visuelle Wahrnehmbarkeit: Der Kontakt mit dem Lkw S hätte vom Fahrer K allenfalls im rechten Außenspiegel wahrgenommen werden können, was jedoch zum einen gute Sichtverhältnisse und zum anderen einen Blick unmittelbar zum Anstoßzeitpunkt in den Außenspiegel vorausgesetzt hätte. Da es zum Unfallzeitpunkt dunkel war und eine Blickzuwendung unmittelbar zum Zeitpunkt der Berührung nicht nachweisbar ist, lässt sich dem Fahrer K eine visuelle Wahrnehmung nicht nachweisen.
- Taktile Wahrnehmbarkeit: Sowohl der Kontakt an den Haltern der Rohre als auch der relativ leichte Anstoß an der Abdeckung des Endschalldämpfers sowie die Streifberührung an den Kotflügeln ist mit einem sehr geringen Energieaustausch verbunden. Hierdurch ist keine Geschwindigkeits- bzw. Verzögerungsänderung am Lkw K eingetreten, welche als kollisionmechanisch wahrnehmbar zu bezeichnen wäre, … zumal durch das Auffahren auf den Gehweg bzw. gegen die Gehwegkante Wankbewegungen in den Lkw eingeleitet wurden, die eine Differenzierung mit evtl. kollisionsbedingten Wankbewegungen nicht mehr ermöglicht hätten.
– Akustische Wahrnehmbarkeit: Da die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt glatt war, ist zu erwarten, dass der Fahrer K die Differnzialsperre der Hinterachse eingeschaltet hatte. HIerdurch ist infolge gegebenenfalls durchdrehender Räder und unterschiedlicher Traktion zwischem rechtem und linken Hinterrad durchaus eine zusätzliche Geräuschentwicklung als Betriebsgeräusch zu erwarten. Unter Berücksichtigung der Betriebsgeräusche des Lkw in Verbindung damit, dass sich die Fahrerpositioni in einem Abstand zur Anstoßstelle von etwa 9 m befand, ist nicht zu erwarten, dass die Anstoßgeräusche vom Fahrer K wahrnehmbar waren.
Das ist doch mal ein sauberes Ergebnis. Nun ist die Staatsanwaltschaft am Zug. Sie kann ihren Strafbefehlsantrag zurückziehen. Oder uns noch eine Hauptverhandlung aufzwingen. In diesem Fall fahre ich ganz entspannt nach Bayern.
Den Sachverständigen schlage ich künftig immer vor. Er hat sich einen Platz in meinem Adressbuch verdient.