Überhaft, Verzicht und Verständigung

Heute habe ich kräftig an der Strafprozessordnung gebogen – aber wenigstens im Interesse meines Mandanten. Die Ausgangssituation:

Herr B. war wegen etlicher Einbrüche angeklagt. Wegen der Vorwürfe und weil er sich acht Monate vor der Polizei versteckte und erst auf einem Düsseldorfer Marktplatz geschnappt werden konnte, ging Herr B. auch in Untersuchungshaft. Die Untersuchungshaft wurde dann nach kurzer Zeit unterbrochen, weil gegen Herrn B. ein rechtskräftiger Strafbefehl über 120 Tagessätze vorliegt. Diese Geldstrafe hat er nicht bezahlt (und kann sie auch nicht zahlen), so dass Herr B. nun 120 Tage abzusitzen hatte. Davon sind noch dreieinhalb Monate übrig.

In der Hauptverhandlung zeigte sich das Gericht sehr fair. Deshalb erzielten wir eine Verständigung über eine günstige Haftstrafe; Bewährung war unmöglich drin. Das Gericht war sogar bereit, den Haftbefehl im Verfahren wegen der Einbrüche aufzuheben. Dann wäre Herr B. frei gewesen, bis das Urteil rechtskräftig ist. Herr B. wäre also draußen geblieben, bis über eine Revision entschieden ist.

Dummerweise gab es aber noch den Strafbefehl. Den bezog das Gericht in seine Entscheidung über die Einbrüche zwar mit ein, es fällte also ein Gesamturteil. Jedoch hätte ich Herrn B. so nicht aus dem Gericht mitnehmen können, denn das umfassende Urteil des Landgerichts wäre heute ja nicht rechtskräftig geworden, so dass es den Strafbefehl (und die Anordnung über die Freiheitsstrafe wegen der nicht gezahlten Geldstrafe) nicht ersetzen konnte. Selbst wenn das Landgericht also “seinen” Haftbefehl wegen der Einbrüche aufgehoben hätte, hätte noch “Überhaft” wegen des nach wie vor wirksamen Strafbefehls und der damit verbundenen Haftanordnung vorgelegen.

Herr B. wollte heute aber unbedingt nach Hause. Das kann ich nachvollziehen, denn was hilft ihm der Zeitgewinn Revisionsgeplänkel, wenn er den Ausgang weitgehend im Gefängnis abwarten muss? Eine Freilassung war somit nur möglich, wenn das Urteil heute rechtskräftig würde. Da fingen die Probleme an.

Wir hatten ja eine Verständigung erzielt. Für diesen Fall bestimmt die Strafprozessordnung, dass ein Rechtsmittelverzicht unzulässig ist. Strenggenommen hätte diese Vorschrift, die den Angeklagten schützen soll, jetzt dazu geführt, dass Herr B. noch eine Woche im Gefängnis bleiben muss, bis das Urteil rechtskräftig wird (sofern nicht noch schriftlich Revision eingelegt wird).

Es gab nur zwei Möglichkeiten: den an sich unzulässigen Rechtsmittelverzicht. Oder ins Protokoll aufnehmen, dass die Verständigung doch gescheitert ist. Obwohl das gar nicht der Fall war, weil sich alle daran halten wollten. Schließlich hatten wir nicht ohne Grund lang im Richterzimmer verhandelt.

Ich habe es dann so gelöst, das wir bis zum Ende der Sitzung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt haben. Diesen Verzicht schoben wir in einer  gesonderten Erklärung gegenüber dem Protokollführer, der mit dem Sitzungsende wohl als “Urkundsbeamter der Geschäftsstelle” fungierte, nach. So wurde auch optisch dokumentiert, dass das Gericht keinesfalls auf einen Rechtsmittelverzicht gedrängt hat. Ich fand das besser, als eine offenkundige Lüge, nämlich das Scheitern der Verständigung, zu protokollieren.

Ganz astrein ist das alles nicht, aber das Ergebnis rechtfertigt ja so manches. Mein Mandant war jedenfalls sehr glücklich, dass er erst mal wieder frei ist. Am wichtigsten ist für ihn, dass er als Selbststeller eine gute Chance auf offenen Vollzug hat, wenn ihn in Kürze die Ladung zum Strafantritt erreicht.