Die elektronische Akte soll auch im Strafrecht eingeführt werden. Im Bundesjustizministerium feilt eine Arbeitsgruppe derzeit an einem Gesetzentwurf für den Abschied vom Papier. Gestern veranstaltete das Ministerium in Berlin ein Symposium, um alle Aspekte der “E-Akte” zu beleuchten.
Ich war eingeladen, kurz darzulegen, wie Strafverteidiger zu der E-Akte stehen, was sie von ihr erwarten – und was sie vielleicht befürchten. Hier einige Passagen aus meinem Statement:
“Als ich meine Mitarbeiterin bat, die Einladung zu dieser Veranstaltung im Kalender zu notieren, war sie gerade am Kopierer. Den Blick auf sie verstellten zwei Umzugskartons. Die Kartons enthielten die gerade eingetroffene Akte eines Wirtschaftsstrafverfahrens.
Obwohl wir einen wahrlich modernen Kopierer nutzen, hing ein würzig-kräftiger Ozongeruch im Raum. Die Miene meiner ansonsten meist gut gelaunten Mitarbeiterin war, so wie sie immer ist, wenn sie Akten kopiert: sauertöpfisch.
Endloses Scannen und Kopieren gehört zwar zum Alltag eines Strafverteidigerbüros. Es ist und bleibt aber Strafarbeit, ebenso wie die Pakete mit umfangreichen Akten zur Post schleppen (was in überschaubaren Büros heute übrigens bevorzugt der Chef erledigen darf – weil er ja ein Auto hat und es jetzt die 24 Stunden geöffneten Packstationen gibt).
Es wird Sie deshalb kaum überraschen, dass meine Mitarbeiterin euphorisch auf die Einladung zu diesem Symposium reagierte. Eine E-Akte ist geplant? jubelte sie. Das würde ich gern noch erleben!
Meine Sekretärin ist Mitte 30, es besteht also verhaltener Grund zur Hoffnung. Nachdem ich heute erlebt habe, mit welchen Elan das Team hier im Bundesjustizministerium die Idee der E-Akte umsetzt, bin ich sogar sehr guter Hoffnung.
Ich schließe mich als Strafverteidiger der Begeisterung meiner Mitarbeiterin uneingeschränkt an. Die papierne Ermittlungsakte ist ein Relikt, welches ich als Strafverteidiger gerne hinter mir lassen würde.
I. Gründe, die aus Verteidigersicht für die E-Akte sprechen
Aus folgenden Gründe finde ich die Idee der E-Akte gut:
– PC, Büronetzwerk, Notebook und Onlinekommunikation gehören mittlerweile zur Grundausrüstung der allermeisten Strafverteidiger. Die technischen Voraussetzungen sind also da, um sich vom Papier zu verabschieden.
– Außer in kleinen Verfahren ist es ein mühseliges Unterfangen, die Papierakte in der Hauptverhandlung präsent zu haben. Immer mehr Kollegen stellen deshalb ohnehin schon eine eigene E-Akte her, indem sie die Papierakte in PDFs verwandeln oder sogar spezielle Software verwenden.
Alleine der Wegfall des schweißtreibenden Aktenschleppens ist aus Sicht eines Strafverteidigers ein dringender Grund für die Einführung der E-Akte. Denken Sie auch an den Wohlfühlfaktor, wenn man bei einem Auswärtstermin keinen Koffer mit sieben, acht, zwölf Aktenordern mehr einchecken und zum Gericht rollen muss.
– Die E-Akte ist leichter erfassbar und aufbereitbar, zum Beispiel durch Wort- und Bildersuche.
– Der eingangs beschriebene immense Kopieraufwand im Strafverteidiger-Büro entfällt weitgehend. Darüber hinaus natürlich auch weitere personalintensive Arbeiten. Etwa das Annehmen, Auspacken, Termine für Rücksendungen notieren, Eintüten, Zurückschicken und das Archivieren.
Es sprechen also gute betriebswirtschaftliche Gründe für die E-Akte. Der Einspareffekt geht jedenfalls weit über das ersparte Paketporto für die Rücksendung und die möglicherweise entfallende Aktenversendungspauschale hinaus. Über solche Vorteile freut sich jeder Freiberufler. Wir leben ja allesamt mit dem sattsam bekannten Kostendruck.
– Die E-Akte kann das Verfahren beschleunigen. Die Wartezeit auf Akteneinsicht dürfte sich tendenziell verkürzen. Die Horrorantwort “Die Akte ist versandt” auf ein Akteneinsichtsgesuch könnte sich weitgehend erübrigen. Erneute Einsichtsanträge werden schneller und unkomplizierter bedient werden können.
Es gibt auch keine Kommunikationsunfähigkeit bei Telefonaten zwischen Staatsanwalt/Richter und Verteidiger mehr, denn die Akte ist auch bei Staatsanwaltschaft / Gericht präsent (und muss auch nicht erst aus der Serviceeinheit herbeigeschafft werden).
– Es mag auch unter den Verteidigern Traditionalisten geben, welche der Papierakte nicht abschwören möchten. Auch bei der gedruckten Tageszeitung wird im Vergleich zu Onlinemedien ja auch immer das haptische Erlebnis hoch gelobt. Auch wenn diese Auffassung mehr und mehr belächelt wird, müssen Traditionalisten unter der E-Akte nicht leiden. So wie eine Vielzahl Verteidiger schon heute für sich Papierakten in E-Akten Marke Eigenbau verwandelt, können die Traditionalisten die E-Akte ja auch jederzeit wieder in Papier verwandeln – indem sie sie ausdrucken.
Zusammengefasst bin ich also uneingeschränkt pro E-Akte. Bei einer kleinen, nicht repräsentativen Rundfrage unter Kollegen hat auch keine Anwältin oder Anwalt grundsätzliche Bedenken geäußert. Einer sauber gelösten E-Akte dürfte sehr gut bei Strafverteidigern und deren Mitarbeitern ankommen. Das ist im Ergebnis meine Prognose.
II. Praktische Umsetzung der Akteneinsicht
Wenn die E-Akte uns Strafverteidigern also willkommen ist, stellt sich nur die Frage nach der praktischen Umsetzung. Ich denke, hier können die meisten Fehler gemacht werden – wie ja auch die aufschlussreiche Diskussion des heutigen Tages gezeigt hat.
Ich plädiere dafür, sich auf ein Prinzip zu besinnen, welches, wie passend, aus der Informatik stammt:
KISS Keep it simple, stupid.
Es ist genau das Gegenteil jener Regel, die manchmal unser Juristenleben zu bestimmen scheint: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Um die oben beschriebenen positiven Effekte zu erzielen und für eine hinreichende Akzeptanz zu sorgen, muss die Akteneinsicht demnach so unkompliziert wie möglich sein.
Welche Zugangswege kommen für den Verteidiger in Frage? Ich fasse mal zusammen:
– Akteneinsicht bei Staatsanwaltschaft oder Gericht (Kiosk-Computer)
– Übersendung von körperlichen Datenträgern (DVD, USB-Stick)
– Zusendung per Mail
– Online-Zugriff über die Cloud
– Vor dem Kiosk-Computer als alleinigen Weg zur Akteneinsicht kann ich nur abraten.
Die weitaus meisten Staatsanwaltschaften und Gerichte übersenden dem Verteidiger heute die Papierakte in die Kanzlei. Die Verpflichtung, sich an ein Gerichtsterminal zu begeben und dort die Akte zu lesen bzw. die Daten per USB-Stick “abzuholen”, wäre ein Schritt zurück. Es wäre für Verteidiger weiterhin nicht praktikabel und auch nicht zumutbar.
Zur Erläuterung: Wir Verteidiger heute zumindest regional, viele von uns sogar bundesweit tätig. Extra mal von Düsseldorf nach Augsburg oder Cottbus für eine E-Akte fahren – Sie ahnen, dass dies schlichtweg nicht funktionieren kann.
Sofern uns das Gesetz also die Möglichkeit ließe, würden wir Verteidiger schon aus Zeitgründen dem Kiosk-Verfahren die kalte Schulter zeigen und weiter eine Papierakte anfordern.
Selbst wenn man die Akte am Kioskterminal des eigenen Gerichts abholen könnte, gibt es schon genug Orte der Justiz, an denen wir Verteidiger warten müssen. Schlecht organisierte Justizvollzugsanstalten und flughafenmäßig gesicherte Gerichtseingänge, um nur mal zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Ersparen Sie uns deshalb nach Möglichkeit das Schlangestehen vor einem Kiosk-Computer.
– Die Übersendung von DVDs oder USB-Sticks ist sicher machbar. Aber sie beinhaltet einen unschönen, überdies nicht mehr zeitgemäßen Systembruch. Der Versand der Datenträger per Post entwertet das erstrebte “E”.
Außerdem tritt bei verschickten und inhaltlich damit auf einen Zeitpunkt fixierten Datenträgern dieselbe Problematik auf, die wir heute von Zweit- und Drittakten kennen. Die sind nie auf dem gleichen Stand – und am Ende ist die Verwirrung größer als der Nutzen.
– Letzteres Argument gilt auch für die Übersendung per Mail oder, wenn es die Sicherheit denn erfordern sollte, per DE-Mail oder vergleichbarer Angebote. Sollte etwa die Nutzung von DE-Mail verpflichtend werden, dürfte die Zahl der E-Akten-Verweigerer sicher nicht unerheblich sein.
Wie Sie wissen, haben Datenschützer erhebliche Bedenken gegen das DE-Mail-System, auch wegen der fehlenden durchgehenden Verschlüsselung. Gegen diese Bedenken werden sich viele Anwälte nicht verschließen und nach Möglichkeit eben nicht an DE-Mail teilnehmen.
– Wenn man also schon den Weg zur E-Akte geht, sollte man nicht auf halben Weg stehenbleiben, sondern zukunftssicher investieren.
Die Zukunft sollte nach meiner Meinung dem Online-Zugriff auf die Akte gehören, die nach Möglichkeit in der Cloud gespeichert ist. Wir erleben den Trend zur Cloud ja schon in allen anderen Onlinebereichen.
Wir haben heute von den weitaus meisten Experten auch gehört, dass die Cloud keineswegs unsicherer ist als lokal gespeicherte Daten. Mich haben diese Ausführungen überzeugt. Absolute Sicherheit wird es ohnehin nur um den Preis der Unbenutzbarkeit geben. Denken Sie an das Schicksal, welches der qualifizierten digitalen Signatur beschieden ist.
Die Justiz würde einen Fehler machen, wenn sie angesichts dieses klaren Trends zur Cloud auf Übertragungslösungen wie Datenträger oder E-Mail setzt, die heute schon “old school” sind und bald wahrscheinlich nur noch milde belächelt werden.
Mir ist klar, dass die Lösung mit der Cloud vielleicht die höchsten Anforderungen an die Umsetzung stellt.
Doch denken Sie bitte daran:
Auch das von der Sensibilität vergleichbare Online-Banking der privaten Wirtschaft funktioniert (im Großen und Ganzen). Es hat sich letztlich durchgesetzt, weil es dem Endnutzer einen spürbaren Komfort verschafft und nicht eine Beschwernis durch die andere ersetzt.
Ähnlichen Komfort wie beim Online-Banking erhoffe ich mir auch für die E-Akte. Als Anwalt wünsche ich mir daher folgendes:
– einen vertretbaren Registrierungsaufwand;
– händelbare Sicherheitsvorgaben;
– ein ohne mehrtätige Schulung nutzbares Benutzermenü;
– Transparenz über Zugang bzw. Sperre von Aktenteilen.
Es ist also machbar, dass uns die E-Akte einen Nutzwert beschwert. Wenn das der Fall ist, sind wir Verteidiger gerne mit im Boot.”