Einer der unbequemsten Gerichtsreporter Deutschlands, Rolf Schälike (Zeitungsporträt), war im Knast. Fünf Tage saß er “freiwillig” im Hamburger Gefängnis, weil er sich weigerte, ein Ordnungsgeld in einem seiner vielen Prozesse zu bezahlen. Ich habe Rolf Schälike um einen Erfahrungsbericht gebeten. Hier seine Eindrücke:
Von Rolf Schälike
Eigentlich wollte ich in meiner fünftätigen Kunst- und Protestaktion in der Justizvollzugsanstalt Hamburg Holstenglacis den Missbrauch der Pressegerichte – in meinem konkreten Fall durch den strafrechtlich im April dieses Jahres zu einem Jahr und neun Monaten verurteilten Börsenmanipulator Markus Frick – protestieren.
Ich wollte während meiner Haft hungern und hatte schon am Freitag zu Hause und im Gericht nichts gegessen. Ich wollte hungern auf meine Art: ca. 400 kcal/Tag zu mir nehmen, um es leichter zu haben und keine gesundheitlichen Schäden auftreten zu lassen.
2005 hatte ich über die Osterfeiertage sehr gute Erfahrungen am Holstenglacis gemacht. Das Personal war nett. Es gab im Prinzip nichts zu beanstanden. Meine damals mitgebrachten Bücher erhielt ich auf Antrag noch in den ersten Stunden der Haft. Ich musste zwar auch damals gegen die Wegnahme der Bücher eine Beschwerde schreiben, aber dieser wurde sofort stattgegeben. Kugelschreiber und Papier hatte ich ebenfalls im Überschuss im Haftraum.
Um diesmal die Haftanstalt nicht vor eine überraschende Entscheidung bei meinem Haftantritt zu stellen, vereinbarte mein Hamburger Anwalt (er ist ein Strafverteidiger), dass ich drei eingeschweißte Bücher von der Buchhandlung Weiland mitbringen darf und ausgehändigt bekomme. Dass ich Papier, Kugelschreiber, Zeitungen und Zeitschriften mitbringen kann, stand im Merkblatt des Berliner Gerichts.
Rolf Schälike klingelt an der Gefängnistür (Foto: privat)
Es fing alles besser an als damals 2005. Ich brauchte mich nicht vor jeder Tür an die Wand stellen, stand sogar manchmal hinter dem Bediensteten. Die erste negative Überraschung ließ jedoch nicht lange auf sich warten.
Im Kontrollraum, wo man sich nackt ausziehen muss, kam mir durch die beiden Bediensteten – der eine ein bulliger großer Typ, der andere kleiner, kräftig – Hass und Wut entgegen. Es hieß nur: Halten Sie den Mund, Bleiben Sie, wo Sie sind. Der Anwalt geht uns nichts an.
Eine Vereinbahrung mit der Anstaltsleitung kennen wir nicht. Wir haben Anweisung von der Revision. Mir ließen sie nur die Sachen, die ich an und in den Taschen zufällig hatte (aber auch nicht alles). Von den vielen Kugelschreibern ließen sie mir nur einen. Die Bücher und das Schreibpapier blieben in meinen Handkoffer. Ich hatte keine Wechselwäsche, nicht für die Nacht, keine Zahnbürste. Vom Papier nur die paar Zettel vom Zettelblock (11×10 cm).
In der Zelle angekommen – es war gegen 14 Uhr am Freitag – hieß es, Beschwerden und Anträge werden erst Montag angenommen. Das hätte ich alles ertragen, blieb noch bei meinem Plan zu hungern. Deswegen habe ich auf den Empfang des Essens in einer Schüssel verzichtet. Ich wollte die Kontrolle behalten, wie viel Essen in den Haftraum kommt. Ich wollte sicher sein, dass es nicht später heißt, ich habe nicht gehungert.
Unerwartet eskalierte das Ganze. Ich erhielt überhaupt kein Essen und das bis einschließlich Frühstück am Dienstag. Ich trank nur kaltes Wasser aus dem Hahn. Nur einmal heißen Tee, der mir nicht bekam. Die Bediensteten bestanden darauf, dass ich die Schüssel nehme und bestraften mich über drei Tage mit vollständigem Essensentzug. Sogar die Bitte nach einer Scheibe Brot wurde abgeschlagen, weil ich nicht bereit war, die Schüssel zu nehmen. Das hatte ich nicht einmal in Stasi-U-Haft über zehneinhalb Monate in Dresden erlebt.
Am Montag wurde ich zur Registratur und zum Arzt geführt.
Vorab öffnete ein nett erscheinender riesiger Beamte meine Zelle und fragte mich freundlich, weshalb ich die Schüssel nicht nehme. Ich sagte, ich brauche nicht das ganze Essen. Sie hätten Vorschriften, dass das Essen nur mit der Schüssel ausgegeben wird. Die Hygiene erfordere das.
Ich sagte, das wenige, was ich möchte, passt in den Messbecher. Der Bedienstete: Das ist nicht vorgesehen, es muss die Schüssel sein. Ich sagte, ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich deswegen mit Essensentzug bestraft werde. Sie müssen sich an die Vorschriften halten. Ich kenne diese, war meine Antwort. Können sie nicht kennen. Doch, ich war schon 2005 hier und kenne sie deshalb.
Sie sind ein Klugscheißer und Besserwisser, sagte der Bedienstete. Ich erwiderte, sie haben mich eben beleidigt. Er sagte, sie sind Scheiße, ein Stück Scheiße kann man nicht beleidigen. Die Tür wurde zugemacht.
In der Registratur – neben mir stand der große bullige Bedienstete – erzählte ich der netten Beamtin, dass ich schon vier Tage nichts zu essen bekomme, keine Hausordnung besitze, nichts zu lesen habe und keine Klamotten für die Nacht und überhaupt zum Wechsel habe, obwohl alles mitgebracht.
Das wurde ruhig aufgenommen.
Dann sagte ich, dass ich 10,5 Monate in der Stasi-U-Haft saß, und das was ich hier erlebe, ich dort in all diesen Monaten nicht erlebt habe. Brot gab es zum Beispiel immer. Sie fragte mich, wo ich saß. In Dresden für Buchweitergabe. Ich fragte, darf ich überhaupt telefonieren. Sie sagte, dass dürfen Sie natürlich, müssen es beantragen.
Dann beantrage ich das hier sofort, oben werden meine Anträge nicht entgegengenommen. Ich nahm meine Zettel und schrieb einen Antrag. Das wollte der bullige Bedienstete verhindern. Die Registraturbeamtin sagte, sie könne diesen Antrag nicht annehmen, werde ihn wegschmeißen, ich solle diesen den Bediensteten abgeben. Ich sagte, die nehmen keine Anträge an, schieben diese mir wieder zurück in die Zelle. Es gibt Antragsformulare, sagte sie. Ich sagte, ich habe keine erhalten, in der Zelle liegen keine. Meinen Antrag ließ ich auf dem Tisch liegen.
Der bullige Bedienstete fragte zwischendurch, ob ich denn nicht den Deckel erhalten habe. Ich sagte, einen Deckel mit irgendwelchen Papiere habe ich nicht erhalten. In der Zelle lagen überhaupt keine Papiere. Doch, den Deckel haben Sie erhalten.
Dann ging es raus in das Wartezimmer. Der bullige Beamte wütend. Er zeige auf das Bettzeugpaket im Gang und fragte, haben Sie diese Decke erhalten? Ich sagte, ja, natürlich. Sie haben eben gesagt, sie hätten keine Decke erhalten. Sie haben gelogen, sie sind ein Lügner. Ich sagte, ich verstand Deckel, und einen solchen habe ich nicht erhalten. Weshalb werde ich beleidigt, fragte ich, unter anderem mit dem Ausdruck ich wäre Scheiße.
Sie lügen, das hat niemand zu Ihnen gesagt. Er brüllte und schob mich in das kleine Wartezimmer, in dem noch drei weitere Gefangene warteten. Ich fragte diese, ob bei denen in der Zelle die Hausordnung liege. Sie bejahten alle drei und sagten, es lägen auch Auftragsformulare und anderes in der Zelle.
Dann ging es zum Arzt. Die Ärztin fragte, wie es mir gehe. Ich sagte gut, bis auf die Tatsache, dass ich bis heute nichts zu essen bekam. Sie müssen schon die Schüssel reichen, sagte die Ärztin. Ich sagte, ich möchte hungern, aber etwas zu mir nehmen, das ist besser, das wissen Sie als Ärztin. Wenn Sie hungern, schaden Sie nur Ihrer Gesundheit, war ihre Antwort.
Eine Totalverweigerung des Essens habe ich nicht vor, bekomme trotzdem nichts. Daraufhin maß sie mein Blutdruck. Dieser war 180 (oder 195) zu 80. Sie erschrak. Ich sagte macht nichts, ich habe normalerweise 140/80. Es liegt wohl an der Aufregung, sagte die Ärztin, ich kann Ihnen Vitamintabletten geben. Wenn Sie etwas spüren, Kopfschmerzen zum Beispiel, melden Sie sich sofort bei mir.
Ich sagte, ich kenne mein Leben lang keine Kopfschmerzen, habe auch keine, vielleicht ein paar schwache. Ich nehme auch weder Vitamintabletten noch irgendwelche Medikamente. Mein Körper muss es schaffen. Leise fragte sie, ob ich den Abteilungsleiter sprechen möchte. Ich bejahte, selbstverständlich.
Dann ging es hoch in die Zelle. Der bullige Beamte war über die Stasierinnerung empört. Es folgte ein kurzes Wortgefecht. Wütend knallte er die Zellentür mit aller Kraft zu.
Dann wurde ich zum Telefon geholt, meine Tochter hätte angerufen, sie denkt ich komme Dienstag raus. Ich möchte zurückrufen. Ich habe dann meine Frau anrufen können, mitgeteilt, dass ich erst am Mittwoch um 13:00 entlassen werde, dass es mir gut geht, ich aber ganz schön getriezt werde. Sie möchte bitte meinen Anwalt bitten, mich unbedingt zu besuchen, denn ich habe nichts erhalten, was er mit der Anstaltsleitung vereinbart hatte.
Weder zum darauffolgenden Mittag, noch Abendbrot und dem Frühstück am Dienstag erhielt ich etwas zum essen, obwohl ich konkret um Brot bat und fragte, was es neben der Hauptmahlzeit gibt. Ich verlangte immer wieder die Hausordnung. Gedulden Sie sich etwas, war die Standardantwort der Bediensteten.
Montagabend wurde mir der Einkaufzettel in die Zelle gegeben und gesagt, morgen geht es zum Kaufmann.
Dienstag früh waren wir dann alle beim Kaufmann. Es war ein Gefängnistrakt, ihn dem es Aufschluss und Umschluss gab. Davon erfuhr ich aber erst am Dienstag nach Erhalt der Hausordnung. Im Gang hing ein "schwarzes" Brett mit Informationen für die Gefangene. Die Gefangenen können sich in den Gängen frei bewegen.
Beim Kaufmann kaufte ich eine Ananas- und Maisdose sowie Knäckebrot und Apfelsaft, einen Schreibblock, Briefumschläge, Briefmarken, 3 Zeitungen, einen Kugelschreiber, Tempotaschentücher und eine Plastiktüte.
Nun hatte ich genug Essen bis zum Mittwoch.
Am Dienstag zum Mittag erhielt ich dann eine Banane, obwohl die Schüssel auf dem Boden im Gang liegen blieb. Beim Abendbrot erhielt ich Salat. Die Schüssel blieb auf dem Boden.
Am Dienstag wurde ich nochmal zur Ärztin geholt. Mein Blutdruck war 160/40. Vitamintabletten nahm ich wieder nicht. Ich sagte jedoch, das sich Krämpfe in der Hand habe und um Magnesiumtabletten bitte. Ja, sagte die Ärztin, Magnesiumtabletten würde ich ihnen auch geben und gab mir an die 10 Stück. Wie muss ich diese einnehmen? Jeden Tag eine, sagte die Ärztin. Ich nahm die Tablette mit meinem Apfelsaft ein. Die Krämpfe verschwanden langsam aber sicher.
Am Mittwoch, meinem letzten Tag in der Haft, wollte ich mich frühmorgens mit den kleinen Frühstücksteilen wie Butter (Margarine), Marmelade etc. eindecken und den Bediensteten sagen, dass ich zum Mittag die Schüssel nehme und alles ordentlich mache. Dazu kam es nicht. Zum Frühstück erhielt ich nichts. Konnte meine Absicht gar nicht äußern. Ich solle mit gefälligst die Schuhe anziehen und die Schüssel aufheben.
Zum Mittag fragte ich, ob sie mir wieder das Essen vollständig verweigern. Wollen Sie essen? Ich sagt, ja. Sie gaben mir das eingeschweißte warmes Essen mit den Worten, wenn man Hunger hat gibt man auf. Die Schüssel blieb auf dem Boden stehen. Das warme eingeschweißte Essen liegt bei mir nun zu Hause im Kühlschrank. Das erste Mal aß ich zu Hause um 19:00 eine Mandarine.
Zwangweise entwickelte sich meine Kunst- und Protestaktion somit nicht nur gegen den Rechtsmissbrauch durch Kriminelle, sondern auch zum Protest gegen die Justizvollzugsanstalt Holstenglacis.