Strafverteidigung ist zu einem guten, wahrscheinlich sogar überwiegenden Teil Psychologie. Deshalb habe ich es mir angewöhnt, zu Beginn jeder Sache mit den Beteiligten auf der anderen Seite zu sprechen. Das heißt, ich rufe grundsätzlich Polizeibeamte und Staatsanwälte an. Die meisten Gespräche sind freundlich und informativ – immerhin wird man ja die nächste Zeit miteinander zu tun haben. Nur ganz selten zeigt sich ein Gegenüber als uninteressiert an allem, was nicht auf Papier steht. Aber auch das ist ja eine Information…
So ein Kontakt wirkt nach meinem Eindruck lange fort. Selbst wenn es zu Anfang eines Mandates – und damit regelmäßig vor Akteneinsicht – natürlich nicht allzu viele Details zu besprechen gibt, hat man erst mal eine persönliche Brücke gebaut, über die man später einfacher aufeinander zugehen kann, wenn es denn was zu diskutieren oder zu verhandeln gibt.
Ich habe heute einen Staatsanwalt beim Kaffee gefragt, wie viele Verteidiger es ähnlich halten wie ich. Unter den Fachanwälten für Strafrecht schätzt er die Quote der Telefonfreunde auf 70 %. Anwälte, die eher in anderen Rechtsgebieten tätig sind, meldeten sich dagegen kaum mal am Telefon. Höchstens jeder Fünfte raffe sich dazu auf.
Solche Anrufe von Anwälten nutzen geübte Strafverfolger übrigens auch gerne mal aus. Heute riet mir ein Polizist, mein Mandant solle doch noch heute nachmittag vorbeikommen und reinen Tisch machen. Natürlich ohne vorherige Akteneinsicht. Andere Anwälte machten das auch so, und es sei nie zum Schaden der Mandanten, sagte der Polizist. Er war ein bisschen angesäuert, als ich standhaft ablehnte, meinen Mandanten allein auf Geständnistour zu ihm zu schicken und / oder auf Akteneinsicht zu verzichten.
Auch so ein Gespräch ist letztlich sinnvoll. Man weiß nicht nur, mit wem man es zu tun hat. Sondern man wird auch daran erinnert, dass selbst die ältesten Taschenspielertricks in Ermittlerkreisen nicht aus der Mode kommen.