Rollator Bande

Vor drei Tagen war eine 83-Jährige aus Lüneburg noch guter Dinge. Wie immer schloss sie ihren Rollator an einem Eisenring fest, bevor sie in ihre Wohnung ging. Den Schutz der Nacht nutzen unbekannte Täter dann, den Rollator zu entwenden und dem Gefährt Gewalt anzutun.

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Lüneburg: Sinnlose Gewalt gegen einen Rollator (Bild: Polizei)

Die Seniorin fand ihre Gehhilfe erst am nächsten Abend in einem bedauerlichen Zustand wieder. Die Täter hatten alle vier Räder des Rollators abgebaut, die Bremsseile durchschnitten und das Ablagefach mitgenommen.

Der Gehwagen ist so nicht benutzbar. Die Seniorin muss nun mit einem alten Rollator vorlieb nehmen, wenn sie nicht noch ein preisgünstiges Topmodell bei Lidl ergattert.

Die Polizei ermittelt. Vielleicht sollte sie auch prüfen, ob es sich um reisende Täter handelt. Jedenfalls wurde schon am nächsten Tag einer 64-Jährigen in Weimar ebenfalls der Rollator gestohlen

Unnötige Dinge (47): Krefelder Massengentest

Die Krefelder Polizei hat in einem Mordfall auf ihre “Profiler” gehört – und sich tüchtig verrannt. Bis zu 26.000 Krefelder Männer zwischen 18 und 31 Jahren passten theoretisch in das anhand von Tatspuren (und womöglich viel Intuition) aufgestellte Raster der Ermittler. 1.500 Männer waren bereits zum “freiwilligen” Gentest geladen; die allermeisten haben eine DNA-Probe abgegeben. Jetzt stellt sich heraus: Es war wahrscheinlich gar kein von unbekannten jungen Männern begangener Raub-, sondern ein Auftragsmord.

Fündig geworden ist die Kripo nun im engeren Umfeld der Getöteten. Ihre Alleinerbin soll, berichtet die Lokalpresse, mit ihrem Ehemann einen 29-jährigen Bordellbetreiber aus Mönchengladbach zu dem Mord angestiftet haben. Auf die Spur kamen die Ermittler dem mutmaßlichen Täter, weil dieser ein bei dem Opfer entwendetes teures Handy eingeschaltet haben soll. Laut Express hat es unter seinem Sofa geklingelt, als die hereinstürmenden Polizeibeamten die Nummer wählten.

Letztlich war es also die Dummheit des Verdächtigen, welche die Polizei auf seine Spur brachte. Der komplette DNA-Massentest war nicht mehr als Stochern im Nebel. Erfolgsaussicht gleich Null. Darüber kann man natürlich lächelnd hinwegsehen. Aber nur, wenn man unterschlägt, dass hiermit ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre jedes Vorgeladenen verbunden war.

Überdies hat die Polizei in ihrer Selbstgewissheit auch die Grenzen der “Freiwilligkeit” ausgetestet. Personen, die den Test verweigerten, wurden “Hausbesuche” angekündigt. Der Leiter der Mordkommission verstieg sich sogar zu der Aussage:

Wenn man auf den Rechtsstaat und unser Wort vertraut, dass diese Untersuchung nur für diesen Einzelfall benutzt wird, hätte nur der Täter einen Grund die Speichelprobe zu verweigern! 

Ich habe bereits hier geschrieben, was ich von dieser Äußerung halte. Immerhin hat die Krefelder Polizei die Größe, in ihrer Pressemitteilung den DNA-Massentest zu erwähnen. Sie erklärt dann lapidar, die Ermittlungen hätten eine “dramatische Wende” genommen.

Dramatisch, sicher. Aber auch peinlich, was das Wundermittel Gentest angeht.

Der Zweifelsgrundsatz ist käuflich

Der Prozess war irrsinnig lang und quälend. Nun hat das Landgericht Mannheim heute festgestellt, was andere schon vor dem ersten Verhandlungstag wussten: Jörg Kachelmann ist unschuldig, eine Vergewaltigung kann ihm nicht nachgewiesen werden. Diesen Befund brachten schon lange vorher die dem Landgericht vorgesetzten Juristen am Oberlandesgericht Karlsruhe in wenigen, glasklaren Absätzen aufs Papier – als sie Kachelmann im Juli 2010 nach mehr als vier Monaten aus der Untersuchungshaft entließen. 

Nun stellt sich die Frage, wozu es 44 Hauptverhandlungstage dauern musste um darauf zu kommen, dass bei uns der Grundsatz gilt: Bei einem Mangel an Beweisen lassen wir lieber mögliche Verbrechen ungesühnt, als auch nur einen Unschuldigen “aus dem Bauch heraus” zu verurteilen. Der Grundsatz Im Zweifel für den Angeklagten ist ein eherner Sockel des Rechtsstaates. Das Landgericht Mannheim hat, wenn auch mit offenkundigem Widerwillen, letztlich doch nicht zur Spitzhacke gegriffen, um dieses Fundament abzutragen. Das ist den Richtern erst einmal anzurechnen. Vielleicht, ja hoffentlich haben sie sich auch etwas davor gesorgt, später in Gesellschaft von Alice Schwarzer genannt zu werden, der derzeit lautesten Propagandistin von Justizwillkür im Dienst des gesunden Volksempfindens.

Dennoch ist viel schief gelaufen in diesem Prozess. Die Beweisaufnahme begann mit langwierigen Vernehmungen von Zeugen, die nichts dazu sagen konnten, was sich in der angeblichen Tatnacht konkret ereignet hat. Es war die Parade der Ex-Freundinnen Kachelmanns, von Polizisten und der Eltern des mutmaßlichen Opfers. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wieso ein Gericht erst mal endlos am Vorhang zieht, ohne sich zu vergewissern, ob überhaupt Hauptdarsteller zu einer Aufführung auf der Bühne verpflichtet sind.

Kachelmanns erster Anwalt Reinhard Birkenstock hat gegen diese Präludien gewettert, und das zu recht. Das Landgericht entschied sich dennoch für die Groteske. Durch diese unübliche, aberwitzige  Prozessplanung (hat so eine Kammer nur einen “Kunden”?) zogen die Richter das Verfahren nicht nur in die Länge. Sie stellten auch die Bottiche für den Schlamm bereit, den die Ex-Geliebten Kachelmanns dann teuer an begierige Medien verkauften.

Auch sonst war das Gericht offenbar geneigt, jedes Sandkorn lieber drei Mal umzudrehen, als sich die Chance auf eine Verurteilung Kachelmanns entgehen zu lassen. Selbst die von der Verteidigung aufgebotenen Gutachter waren nicht so zahlreich, um so einen Prozessmarathon zu rechtfertigen. Das Gericht dürfte sich lange vor der Erkenntnis gedrückt haben, welche der Strafsenat am Oberlandesgericht schon in seiner Freilassungsentscheidung für Kachelmann recht deutlich formulierte – dass die Beweise und Indizien am Ende nicht reichen werden.

Es gehört aber auch zu den Aufgaben eines Gerichts, rechtzeitig auf die Frage zu antworten, ob nach menschlichem Ermessen noch Fakten auftauchen, die den Zweifelsgrundsatz in den Hintergrund drängen. Das Gericht darf nicht darauf warten, dass sich zur Überraschung aller herausstellt, man hat das falsche Gemüsemesser auf DNA untersucht. Oder dass kurz nach der Mittagspause ein Überraschungszeuge hereinstürmt und verkündet, er habe auf dem Obstbaum vor dem Haus gespannt und alles durchs Fenster mit angesehen.

Die Spannung, die über dem Urteilsspruch heute lag, belegt auch einen weiteren Fehler der Mannheimer Richter. Sie haben sich während des gesamten Verfahrens nicht in die Karten schauen lassen. Kein Piep dazu, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage momentan würdigt. Das ist eine Prozessführung von gestern. Sie sorgt zwangsläufig dazu, dass sich Ankläger und Verteidigung gleichermaßen in der Defensive fühlen. Ein Gericht, das mit offenen Karten spielt und mit den Parteien erörtert, ob dieser oder jener Beweisvorschlag (momentan) Sinn macht, beschleunigt nicht nur das Verfahren. Es sorgt auch dafür, dass sein am Ende verkündetes Urteil eine Seite nicht wie ein Keulenschlag trifft.

Die traurigste Figur im Fall Kachelmann machten die emsigen Mannheimer Staatsanwälte. Sie sahen in Kachelmann von Anfang an den großen Fisch, der in der Provinz nur alle Jubeljahre anbeißt. Diese Beute galt es nicht zumindest vorläufig am Leben zu halten, sie musste frühzeitig filetiert werden. Mit bloßer Ahnungslosigkeit und Unfähigkeit ist insbesondere die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft nicht zu erklären. Zu offensichtlich wurde darauf gepocht, das mutmaßliche Opfer sei glaubwürdig. Zu emsig wurde versucht, die schon früh nachgewiesenen Lügen der angeblich Geschädigten zu bagatellisieren. Auch dass man es anscheinend als Frage der Ehre empfand, Kachelmann in U-Haft zu lassen, spricht nicht für diese Zweigstelle der (so die beliebte Selbstanpreisung von Staatsanwälten) objektivsten Behörde der Welt. Ebenso wie der Umstand, dass die unglücklichen Gestalten von der Staatsanwaltschaft es sogar schafften, in ihren Plädoyers entlastende Umstände einfach zu verschweigen.

Jörg Kachelmann hatte neben seinen unterschiedlich temperierten, aber letztlich ja erfolgreichen Verteidigern einen großen Vorteil. Er konnte jene Sachverständige bezahlen, über deren fast einstimmiges Ergebnis sich am Ende auch die Strafkammer nicht hinwegzusetzen traute. Dass es nämlich keine forensischen Belege für die Tat gibt, zum Beispiel verwertbare DNA oder eindeutige Verletzungen. Und dass es gute Gründe gibt, dem mutmaßlichen Opfer nicht zu glauben.

Ein Angeklagter ohne dicke Geldbörse für Sachverständige (und natürlich Anwälte), das ist leider zu konstatieren, hätte sich wahrscheinlich ein ungünstigeres Urteil als Kachelmann abgeholt – und das auch noch viel schneller. Der Zweifelsgrundsatz ist käuflich.

Darüber kann man sich durchaus sorgen.

Lichtanschlag vereitelt

Mit einem Projektor erzeugte gestern abend ein Unbekannter einen Schriftzug an der Fassade des Bundeskanzleramtes in Berlin. Bundespolizisten bemerkten gegen 22 Uhr Worte an dem Gebäude, welche, so die Polizei, die Atompolitik thematisierten. Die Bundespolizisten alarmierten ihre Kollegen von der Berliner Polizei.

Die Beamten der Berliner Polizei stellten fest, dass die Projektion aus einem Zimmer in einem Hotel an der Ella-Trebe-Straße kam. Sie ließen das Zimmer durch Mitarbeiter öffnen und beschlagnahmten einen Beamer sowie ein Objektiv. Personen befanden sich nicht in dem Zimmer.

Die Ermittlungen dauern an.

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Sparsam bei der Technik

Zerstochene Reifen sind eine ärgerliche Sache. Sicher auch für Leute, die auf dem Wagenheck den Aufkleber “Eure Armut kotzt mich an” spazieren fahren. Nun ja, nach einigen Vorfällen dieser Art griffen die Betroffenen, die ihren Wohlstand so offen demonstrierten, zur Selbsthilfe. Sie knibbelten nicht den Aufkleber ab, sondern  installierten eine Videokamera, welche die Wohnstraße überwachte.

Ein Ergebnis stellte sich auch prompt ein. Und zwar in Form einer wmv-Datei, welche die Geschädigten stolz zur Polizeiwache trugen. Der Beamte schrieb in die Anzeige, auf dem Band sei eindeutig der Nachbar Herr N. zu sehen.

Vermutlich meinte er, “nach Angaben der Anzeigenerstatter ist eindeutig Herr. N. zu erkennen”. Das in der Nacht aufgenommene Video selbst zeigt nämlich nur etwas, was schemenmäßig als Auto zu erkennen ist. Und eine verwaschene, dunkel gekleidete Figur. Diese Person geht zwar zu den beiden Vorderreifen und drückt etwas gegen die Pneus. Aber in keinem Augenblick ist das Gesicht zu sehen. Nicht mal der Haarschnitt ist auszumachen.

Ich kann es deshalb gut nachvollziehen, wenn Herr N., mein Mandant, ziemlich sauer über den Vorwurf ist. Er räumt gerne ein, mit den Betreffenden nicht das beste Verhältnis zu haben. Aber so gehe es noch einigen anderen in der Umgebung. Der Aufkleber, so Herr N. sei für die herzliche Abneigung noch der geringste Anlass. Trotzdem seien solche Aktionen nun gar nicht seine Sache.

Ob Herr N. es war oder die Nachbarn nur gerne möchten, dass er es war, werden wir wohl nie erfahren. Ich wage die Prognose: Bei so mickriger Qualität wird es auch nichts bringen, das Video – auf Kosten des Steuerzahlers – aufbereiten zu lassen. Wenn man nicht ohnehin gleich ein Verwertungsverbot annimmt, weil die heimliche Beobachtung des öffentlichen Raums verboten ist. (Was den Anzeigenerstattern auch noch eine Anzeige beim Landesdatenschutzbeauftragten einbringen könnte.)

Aus den Metadaten der Aufnahme habe ich aber mal ermittelt, was für eine Webcam im Einsatz war. Ein Billigmodell für 15 Euro; so was war neulich bei real im Angebot. Ich weiß nicht, inwieweit Wohlstand und Geiz in der betreffenden Familie korrelieren. Im konkreten Fall wurde aber eindeutig am falschen Ende gespart.

Gefangener kämpft für Biokost

Untersuchungsgefangenen darf nur aus guten Gründen Bio- oder Reformkost vorenthalten werden. Dies hat das Oberlandesgericht Celle entschieden.

Die Gefängnisleitung hatte den Antrag eines Gefangenen, ihm den Einkauf von Lebensmitteln ohne künstliche Zusatzstoffe zu ermöglichen, abgelehnt. Zur Begründung verwies sie darauf, es gebe die Möglichkeit des Einkaufs. Das Sortiment von fast 700 Artikeln sei sogar mit der Interessenvertretung der Gefangenen abgestimmt. Bio- und Reformkost befinde sich aber nun mal nicht darunter.

Diese Argumentation lässt das Oberlandesgericht Celle nicht gelten. Die Richter weisen darauf hin, ein Untersuchungsgefangener sei nach den klaren Regelungen im Gesetz “gesund” zu ernähren. Außerdem habe er Anspruch darauf, in angemessenem Umfang eigene Lebensmittel einzukaufen. Hieraus ergebe sich das grundsätzliche Recht des Gefangenen, auch Biolebensmittel zu beziehen.

Ob der Inhaftierte gesundheitlich auf solche Lebensmittel angewiesen ist, spiele keine Rolle. Ebenso wenig die Tatsache, dass das mit der Gefangenenvertretung abgestimmte Sortiment des Gefängnisladens solche Produkte nicht enthalte.

Scheitern könne der Wunsch des Gefangenen aber daran, dass die Beschaffung der Lebensmittel unzumutbaren zusätzlichen organisatorischen Aufwand für das Gefängnis mit sich bringe oder womöglich sogar Sicherheitsrisiken berge. Die pauschale Behauptung der Anstaltsleitung, das genau sei der Fall, ließ das Oberlandesgericht aber nicht gelten.

Das Gefängnis muss nun über den Antrag des Gefangenen neu und sachlich nachvollziehbar entscheiden.

OLG Celle, Beschluss vom 9. Mai 2011 – (UVollz)

Ausgeschlossen

Aus dem “Eindrucksvermerk” einer Kriminalbeamtin, die ein Kind als mögliches Opfer eines lange zurückliegenden sexuellen Missbrauchs vernommen hat (wie so oft ohne Video, ohne Tonaufzeichnung):

Suggestiveinflüsse seitens der Unterzeichnerin können größtenteils ausgeschlossen werden.

Die Formulierung “größtenteils” ist wirklich nett – für die Verteidigung.

Kündigung: Alter wichtiger als Kinder

Die “soziale Auswahl” ist bei Kündigungen immer wieder ein Streitpunkt. Das Landesarbeitsgericht Köln musste jetzt klären, ob bei Arbeitnehmern das höhere Lebensalter oder die größere Kinderzahl besser vor Kündigung schützt.

Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber laut Gesetz Betriebszugehörigkeitszeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eventuelle Schwerbehinderungungen berücksichtigen. Bislang haben die Gerichte noch nicht abschließend geklärt, wie die Kriterien zu gewichten sind. 

Der Fall am Landesarbeitsgericht Köln betraf zwei etwa gleich lang beschäftigte verheiratete Führungskräfte in der Metallverarbeitung. Der eine war 35 Jahre alt und hatte zwei Kinder. Der andere war 53 Jahre alt und kinderlos.

Das Gericht entschied, die Kündigung des älteren Arbeitnehmers sei unwirksam, weil der jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zum älteren viel bessere Chancen hat, alsbald eine neue Arbeit zu finden. Der Jüngere müsse somit mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht um den Unterhalt seiner Kinder fürchten.

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 18.02.2011, Aktenzeichen  4 Sa 1122/10

Wie Sachsens Justiz Journalisten antwortet

Ein sächsischer Journalist stellte dem Amtsgericht Weißwasser Fragen. Er wollte wissen, ob und in welchem Umfang ein dort tätiger Richter nebenberuflich Thailand-Reisen organisiert. In seiner Anfrage erwähnte er auch, dass der Anbieter sich durch den Begriff “Spezialreisen” von seinen Wettbewerbern abgrenzt.

Statt einer vernünftigen Antwort flatterte dem Journalisten nun ein Strafbefehl ins Haus. Natürlich vom Amtsgericht Weißwasser. Der Vorwurf: Der Journalist soll den Richter beleidigt haben, denn die Verwendung des Begriffs Spezialreisen beinhalte den Vorwurf, der Betreffende sei auf dem Gebiet des Sextourismus tätig.

Hierbei dürfte es sich um eine sehr einseitige Interpretation handeln. Der Journalist beteuert jedenfalls, dass er in seiner Anfrage lediglich den Begriff Spezialreisen aufgegriffen und keinerlei Unterstellung damit verbunden hat. Der Betroffene will sich gegen den Strafbefehl wehren. Er wird von Journalistenverbänden unterstützt, die einen Einschüchterungsversuch gegenüber der Presse sehen.

Das tue ich auch.

Näheres in einem Video des NDR-Magazins ZAPP.

Bürger muss nicht schlauer sein als der Zoll

Muss ein Nichtjurist schlauer sein als der Zoll?

Auf diese Frage musste jetzt das Finanzgericht Hamburg eine Antwort geben.

Darum ging es: Der Kläger hatte online im Ausland einen Blu-ray-Player bestellt. Das Gerät kostete 500 Euro. Bei Abholung des Players beim Zollamt meldete der Kläger die Einfuhr ordnungsgemäß an. Der diensthabende Zollbeamte besprach sich mit einem Kollegen, gab die Daten in das EDV-System ein und setzte gegenüber dem Kläger in einem mehrseitigen Einfuhrabgabenbescheid Abgaben in Höhe von 88,68 EUR fest. Der Kläger zahlte diesen Betrag.

Der Kläger war schon auf dem Weg zu seinem Filmabend, als die Zollbeamten einen Fehler bemerkten. Sie hatten zu geringe Abgaben berechnet. Das Zollamt erhob Einfuhrabgaben in Höhe von weiteren 77,21 EUR. Eine nachträgliche Erhöhung der Abgaben ist nach den Zollvorschriften nur sehr eingeschränkt möglich. Zur Begründung hieß es deshalb im zweiten Bescheid, der Kläger habe durch schlichtes Nachlesen der einschlägigen Gesetzesvorschriften den Fehler selbst bemerken können. Deshalb gelte für ihn kein Vertrauensschutz.

Der bisher vom Abgabenrecht unbeleckte Bürger wollte sich das nicht gefallen lassen und klagte vor dem Finanzgericht Hamburg. Der 4. Senat gab ihm nun recht.

Die Richter meinen, der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass Zollbeamte über die erforderliche Sachkunde verfügen. Es sei lebensfremd und vom Kläger nicht zu verlangen, sich selbst während der nur etwa 15 Minuten dauernden Zollabfertigung über die zutreffende Höhe der Einfuhrabgaben zu informieren.

Abgesehen davon, dass die zollrechtlichen Bestimmungen dem Kläger im Zollamt nicht zur Verfügung gestanden hätten, könne vom Bürger nicht erwartet werde, dass er sich in den zollrechtlichen Bestimmungen, die nicht nur unübersichtlich und schwer verständlich seien, sondern jedes Jahr auch mehrere Tausend Seiten umfassten, besser auskenne als der Zoll.

Dem Finanzgericht war dieses Urteil offenbar besonders wichtig. Es erging schon sechs Wochen nach Klageerhebung. Ein Temporekord für die ansonsten eher gemächlichen Finanzgerichte.

Finanzgericht Hamburg, Aktenzeichen 4 K 63/11