Die Justiz hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung traditionell hinterher. Beim Internet, das unser aller Leben verändert hat, gilt keine Ausnahme. Lange Zeit urteilten zu viele Richter über Sachverhalte mit Bezug zur virtuellen Welt, ohne diese grundlegend oder auch nur ansatzweise verstanden zu haben.
Doch die Zeiten ändern sich. Eingefleischte Online-Abstinenzler sind auch unter Richtern nicht mehr die Regel, sondern absolute Mangelware. Der juristische Nachwuchs gehört ohnehin meist schon zu denen, für die online sein selbstverständlich ist. Es dürfte schwer sein, heute einen Richter unter 40 zu finden, der nicht zumindest privat E-Mails schreibt (und es auch im Dienst gern täte, wenn er es vernünftig dürfte), im Internet surft, online bestellt und vielleicht gar Mitglied eines sozialen Netzwerks ist.
Nun scheint auch die Zeit anzubrechen, in denen waschechte Digital Natives beginnen, Recht zu sprechen. Bei einem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Meldorf (Schleswig-Holstein) wette ich zum Beispiel einen Latte aus der Behördenkantine, dass der Autor erst groß geworden ist, als die digitale Revolution schon über Taschenrechner von Texas Instruments hinausgekommen war.
An sich geht es, wie meist am Amtsgericht, um einen unspektakulären Fall. Ein Provider will die Kündigung eines Vertrages nicht akzeptieren und blockiert den Internetanschluss des Kunden. Dieser wehrt sich und will vom Gericht festgestellt wissen, dass er rechtzeitig gekündgt hat und somit kein Vertragsverhältnis mehr besteht.
Zu seiner Verteidigung legte der Provider auch Monate alte Verbindungsdaten vor. Damit wollte er beweisen, dass der Kunde den Internetanschluss weiter genutzt hat und sich somit nicht an seine eigene Kündigung hielt.
Der Richter hat sich gefragt, ob er die Verbindungsdaten überhaupt als Beweis zulassen darf. Er antwortet mit nein:
Die beklagtenseits vorgelegten Verbindungsdaten sind als Beweismittel ohnehin nicht verwertbar, weil die Beklagte nach § 97 Abs. 3 S. 3 TKG zu deren Speicherung nicht über das Verbindungsende hinaus berechtigt war und das vermögensrechtliche Beweisinteresse der Beklagten nicht das Interesse des Klägers an der Vertraulichkeit seiner Internetnutzung überwiegt.
Dabei widerspricht er auch dem Bundesgerichtshof. Das oberste Zivilgericht erlaubt eine befristete Speicherung von Verbindungsdaten aus “technischen Gründen”. Dazu der Amtsrichter:
Soweit der Bundesgerichtshof aus § 100 Abs. 1 TKG die mögliche Befugnis von Internet-Zugangsanbietern zur anlasslosen und generellen Vorratsspeicherung sämtlicher zugewiesener IP-Adressen und Verbindungszeiten ableiten will (Urteil vom 13.01.2011 zum Az. III ZR 146/10), überzeugt dies nicht.
Das ist nicht nur mutig, sondern auch plausibel. Der Richter liefert hierfür eine eingehende Begründung, die sich hier nachlesen lässt. Nicht das Ergebnis der Entscheidung berührt mich. Es ist vielmehr die Kompetenz für die Fragen der digitalen Welt, der man hier an einem, das ist nicht abschätzig gemeint, Provinzgericht begegnet.
Die absehbare weitere Verbreitung solchen Sachverstandes darf uns optimistisch stimmen.