Falsche Anrede kein Indiz für Diskriminierung

Wenn einer Bewerberin von einem Unternehmen mit der Anrede „Sehr geehrter Herr“ die ausgeschrieben Stelle verweigert wird, dann ist dieses Ablehnungsschreiben nicht auch gleich Beleg für eine Diskriminierung. Dies hat das Arbeitsgericht Düsseldorf entschieden.

Eine Frau hatte sich als lebensmitteltechnische Assistentin beworben. Aus der männlichen Titulierung des Absageschreibens schloss sie auf eine Benachteiligung wegen ihres Migrationshintergrundes. In Wirklichkeit habe das Unternehmen ihre Bewerbungsmappe wohl mit keinem Blick gewürdigt. Schon auf dem Foto sei nämlich ihr weibliches Geschlecht klar erkennbar.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies die Klage mit der Begründung ab (Aktenzeichen 14 Ca 908/11), die Verwechslung in der Anrede lasse keine Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft vermuten. Es sei genauso wahrscheinlich, dass die Anrede schlicht ein Fehler bei der Bearbeitung gewesen sei; das liege sogar nahe. (pbd)

Eilrichter haften mit Privatvermögen

Amtsrichter, die als Eil- oder Ermittlungsrichter eingesetzt werden, leben gefährlich. Sie können für grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Fehlentscheidungen persönlich in Anspruch genommen werden – und haften dafür mit ihrem Privatvermögen. Eine Erkenntnis, die für viele Bereitschaftsrichter neu sein dürfte. Dementsprechend sorgt sie derzeit auch für Verunsicherung auf Gerichtsfluren.

Dabei können Richter an sich davon ausgehen, dass ihnen erst mal keiner was kann. Allgemein sehen sie sich durch das “Spruchrichterprivileg” geschützt, welches sich in Art. 34 Grundgesetz in Verbindung mit § 839 Absatz 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch findet. Danach kann ein Richter nur dann persönlich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sein Verhalten eine Straftat ist. Für bloße Fehler, egal ob vorsätzlich oder fahrlässig begangen, haftet ausschließlich der Staat, bei dem der Richter angestellt ist.

Die Tücke steckt allerdings im Detail. Das geltende Recht schließt die persönliche Haftung des Richters nur für “Urteile” aus. Bereitschaftsrichter bereiten aber gar keine Urteile vor, sondern treffen nur unaufschiebbare Anordnungen für das spätere Gerichtsverfahren. Somit gibt es kein absolutes Haftungsprivileg für Haftbefehle, Blutprobenanordnungen, Durchsuchungs- und Unterbringungsbeschlüsse sowie für viele andere Eilentscheidungen, die mitunter ganz erheblich in die Rechte der betroffenen Bürger eingreifen.

Ins Bewusstsein gebracht hat dies Stefan Caspari, Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbundes. In der Dezemberausgabe der Deutschen Richterzeitung stellt er die Rechtslage eingehend (und bislang unwidersprochen) klar und zeigt die persönlichen Risiken für Eil- und Untersuchungsrichter auf.

Als Beispiel nennt Caspari einen fehlerhaften Durchsuchungsbeschluss, der zur Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen und der Firmen-EDV führt:

Sollte … eine Sicherstellung dieser Gegenstände erfolgen, kann bereits in den wenigen Tagen … ein erheblicher Vermögensschaden für den betroffenen Betrieb entstanden sein, den persönlich ersetzen zu müssen der Ermittlungsrichter Gefahr läuft.

Es liege auch nahe, dass zu Unrecht Verhaftete Verdienstausfall und Schmerzensgeld einklagen. Wer zu Unrecht zu einer Blutprobe gezwungen werde, könne nicht nur die Frage der Körperverletzung thematisieren, sondern auch eine Entschädigung für die erlittene “Schmach” geltend machen. Zum Alltagsgeschäft der Richter gehören auch Einweisungen in die Psychiatrie. Eine krasse Fehleinschätzung von Eigen- oder Fremdgefährdung dürfte ebenfalls erhebliche Ersatzansprüche auslösen können.

Caspari warnt die Richter ausdrücklich vor Gelassenheit. Sie dürften sich keinesfalls darauf verlassen, dass mögliche Fehler nicht auf sie zurückfallen. Eine falsche Entscheidung eröffne nun mal die “Haftung dem Grunde nach”. Bei entsprechend schweren Beeinträchtigungen der Betroffenen sei es auch keineswegs ausgemacht, dass die dann zuständigen Gerichte die Schwelle zum Schadensersatz unüberwindlich gestalten. Hierzu zitiert der Autor auch Urteile von Verwaltungsgerichten, die Ermittlungsrichtern ein “Verschulden” attestieren. Genau das reicht nach geltender Rechtslage aber für die persönliche Haftung aus.

Allerdings können Betroffene fehlerhaft arbeitende Ermittlungsrichter nicht selbst verklagen. Sie müssen ihre Ansprüche stets beim Land geltend machen. Das Land hat im Falle einer Verurteilung aber die Möglichkeit (und gegebenfalls auch die Pflicht), den Richter persönlich in Regress zu nehmen. Caspari, selbst Richter, macht zwischen den Zeilen deutlich, dass sich Richter keinesfalls darauf verlassen sollten, dass ihr Dienstherr schon nicht an sie herantreten wird. So ein Rückgriff sei jedenfalls “nicht unwahrscheinlich”. Insbesondere in Zeiten knapper Kassen, möchte man anfügen.

Caspari sieht die Ermittlungsrichter ohnehin unter erhöhtem Druck. Die Arbeitsbelastung sei nicht nur hoch, sie steige auch durch immer mehr Verfahren, in denen der Richter ohne Kenntnis von Unterlagen telefonisch entscheiden soll, zum Beispiel bei Blutproben oder Durchsuchungen. Der Autor rät daher seinen Kollegen:

Der … Ermittlungsrichter sollte sich jedoch auch in diesen Fällen, in denen die Dringlichkeit seiner Entscheidung von den beantragenden Personen besonders betont wird, die Zeit zu sorgfältiger Prüfung und Abwägung zu nehmen.

Dabei sollte er nicht nur bedenken, dass dies seine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht ist, sondern auch berücksichtigen, dass er im Fall voreiliger, sich im Nachhinein als fehlerhaft und unvertretbar erweisender Entscheidungen für dadurch verursachte Schäden möglicherweise persönlich haftet.

Beim Land NRW, wo wir nachgefragt haben, gibt man sich gelassen. Das Problem sei „selbstverständlich bekannt“. Aber sind die Richter im Lande gesondert darüber informiert? Nein. Das Ministerium geht nach eigenen Angaben davon aus, “dass den Richterinnen und Richtern die Rechtslage und die hierzu ergangene Rechtsprechung bekannt sind“.

Reiner Lindemann, Vorsitzender des Richterbundes NRW, hält dagegen: “Ich glaube nicht, dass den meisten Kollegen die Problematik bewusst ist.” Auch er sieht unkalkulierbare Haftungsrisiken für alle Eil- und Untersuchungsrichter. Sein dringender Rat an die 2.027 Amtsrichter allein in NRW: “Wer noch keine Diensthaftpflichtversicherung hat, sollte die jetzt abschließen.“ (pbd/U.V.)

Falsche Mahnung bringt kein Schmerzensgeld

Wer zu Unrecht fehlender Zahlungsmoral und sogar des Betrugs bezichtigt wird, hat nicht automatisch Anspruch auf Schmerzensgeld. Das gilt jedenfalls so lange, wie ein Mahnschreiben keine Beleidigung oder Schmähung enthält. Das Amtsgericht München wies damit die Klage eines Baumarktkunden ab, den eine Mahnung “zutiefst aufgewühlt” hatte.

Der Mann hatte Fliesen bestellt und angezahlt. Bei Abholung wies er die Restzahlung mit einem Überweisungsbeleg nach. Der Fliesenhändler konnte später keinen Zahlungseingang feststellen. Er schrieb dem Kunden, er fühle sich getäuscht. Außerdem warf er dem Mann vor, sich die Ware erschlichen zu haben.

Tatsächlich hatte sich der Verkäufer geirrt, wofür er sich auch entschuldigte. Dennoch verlangte der Kunde ein Schmerzensgeld von mindestens 1.000 Euro.

Das Amtsgericht München lehnte ein Schmerzensgeld ab. Es sieht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers schon deshalb nicht verletzt, weil sich die Äußerungen des Händlers nur an ihn richteten und nicht an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Überdies sei das Verhalten des Händlers noch rechtmäßig gewesen. Das Mahnschreiben beinhalte zwar die Unterstellung, die Überweisungsbelege seien gefälscht. Das sei eine Behauptung, die auf der persönlichen Ebene schmerzen könne. Die Drohung mit der Strafanzeige habe außerdem ein nötigendes Element.

Zugunsten des Beklagten sei jedoch zu sehen, dass dieser, wenn auch irrig, von einem Betrugsversuch des Klägers ausgegangen sei. Das Schreiben bringe auch nur zum Ausdruck, dass der Beklagte sich getäuscht fühle. Darüber hinaus gehende Beleidigungen oder Schmähkritik enthalte das Schreiben aber nicht. Die Androhung der Strafanzeige sei ebenfalls keine vollendete Nötigung. Als Reaktion auf das vermeintlich betrügerische Handeln des Klägers sei eine Anzeige nämlich grundsätzlich zulässig.

Die in jedem Einzelfall erforderliche Gesamtabwägung ergebe, dass es für ein Schmerzensgeld (noch) nicht reicht.

Amtsgericht München, Urteil vom 31. August 2010, Aktenzeichen 133 C 10070/10

Postbox deluxe

Telefonnotiz:

Herr RA S. bittet um den Nachweis, dass Sie Herrn W. vertreten. Er möchte Ihnen was schicken, weiß aber sonst nicht, ob er das darf.

Dass ich Herrn W. vertrete, ist dem Anwalt eigentlich bekannt. Immerhin habe ich ihm für Herrn W. schon einen Brief geschickt. Telefoniert haben wir auch. Ich wüsste auch nicht, wie ich den Eindruck erweckt haben könnte, ohne konkreten Auftrag und nur aus Spaß an der Freud tätig zu werden. Zumal bei dem schönen Wetter.

Ich nehme deshalb an, dass mir der Kollege irgendeine rechtsgestaltende Erklärung, eine Kündigung zum Beispiel, zukommen lassen will. Er befürchtet wahrscheinlich, ich könnte fies sein und später behaupten, gar keine “Empfangsvollmacht” für Herrn W. zu haben. Womit sein Schreiben dann wirkungslos oder verfristet sein könnte.

Auf der anderen Seite frage ich mich, warum ich mich auf so eine banale Aufforderung hin zur Postbox deluxe machen sollte. Damit mir künftig Schreiben für Hern W. zugestellt werden und ich ab diesem Zeitpunkt die Verantwortung dafür trage, dass die jeweilige Nachricht dann auch meinen Mandanten erreicht?

Nach meiner Kenntnis hat Herr W. eine Wohnung und einen Briefkasten. Mir ist es deshalb wesentlich lieber, wenn der Anwaltskollege selbst dafür sorgt, dass seine wichtige Post den eigentlichen Empfänger erreicht. Wenn er nett ist, kann er mir ja eine Kopie zur Kenntnisnahme übersenden.

Herr W. kann sich ja in jedem Fall an mich wenden, wenn er was in unserer Sache hört. Das hat er in der Vergangenheit getan. Er wird es sicher auch künftig tun.

Rechtskraft durch die Hintertür

Denken Staatsanwälte darüber nach, dass sie die Wahrnehmung des Rechtsstaates entscheidend prägen? Und zwar nicht nur in medienwirksamen Großverfahren, sondern auch im Alltagsgeschäft? Mit einem Beispiel, bei dem die Botschaft in Richtung des Betroffenen eher negativ besetzt ist, habe ich mich heute beschäftigt.

Die Geschichte ist kurz: Mein Mandant soll mit seinem Lkw einen anderen Lkw angeschrabbt haben. Der angebliche Schaden beträgt um die 2.000 Euro. Nach, wie ich meine, eher schlampigen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Fahrerflucht beantragt. Und “für den Fall, dass der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis”.

Ich habe Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und beantragt, die Fahrerlaubnis nicht vorläufig zu entziehen. Dann müsste die normale Hauptverhandlung abgewartet werden. Aus meiner Begründung ergibt sich auch, warum die Ermittler hier über den Einzelfall hinaus kein sonderlich gutes Bild abgeben. Auszüge:

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis liegen ersichtlich nicht vor.

1. Strafprozessuale Anträge sind bedingungsfeindlich. Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrlerlaubnis nur für den Fall, dass der Beschuldigte Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt. Der Antrag ist also an eine Bedingung geknüpft. Er ist somit, streng genommen, unzulässig.

2. § 111a StPO verlangt dringende Gründe, die für eine Entziehung der Fahrerlaubnis sprechen. Dies entspricht dringendem Tatverdacht (Meyer-Goßner, StPO, § 111a Rdnr. 2). Dringender Tatverdacht liegt hier aber nicht vor.

Zwar hat mein Mandant eingeräumt, das Fahrzeug passiert zu haben (Bl. 19). Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, eine eventuelle Berührung nicht bemerkt zu haben.

Es gibt keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass mein Mandant eine eventuelle Berührung der Fahrzeuge bemerken musste, was für die gerichtsfeste Annahme des nach § 142 StGB erforderlichen Vorsatzes unverzichtbar ist.

Gegen eine zwingende Wahrnehmung sprechen folgende Umstände:

– Begegnung zweier großer Fahrzeuge (Lkw)

– Dunkelheit (8. Dezember, ca. 18 Uhr)

– starker Schneefall, Schneeglätte

– extrem schlechte Verkehrssituation

Außerdem berichtet das Schadensgutachten von einem lediglich „streifenden Anstoß“ gegen die linke Seitenpartie. Auf den Fotos ist zu erkennen, dass die behaupteten Schäden sehr leicht sind. Die Schadenshöhe ergibt sich lediglich daraus, dass die Berührung sich an mehreren Stellen zugetragen haben soll. Auch diese leichten Schäden sprechen gegen eine zwingende Wahrnehmbarkeit.

Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der taktilen oder akustischen Wahrnehmbarkeit ausreichend ermittelt. Insbesondere sind den Zeugen noch nicht einmal gezielte Fragen dazu gestellt worden, wie dies ansonsten üblich ist.

Überdies wurde der Lkw meines Mandanten nicht in Augenschein genommnen. Dort finden sich tatsächlich keinerlei Spuren, die mit dem angeblichen Ereignis in Einklang zu bringen sind. Auch dies spricht dagegen, dass mein Mandant einen eventuellen Zusammenstoß wahrgenommen haben muss.

Außerdem darf ich für meinen Mandanten mitteilen, dass dieser zum fraglichen Zeitpunkt Musik hörte.

Angesichts dieser Umstände kann wohl kaum von einem dringenden Tatverdacht gesprochen werden. Wenn überhaupt, kann allenfalls ein hinreichender Tatverdacht angenommen werden. Dieser ist für einen Strafbefehl bzw. eine Anklage ausreichend, aber eben nicht für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

3. Überdies erscheint es nicht gerade den Grundsätzen eines fairen Verfahrens verpflichtet, die Ausübung des zulässigen Rechtsbehelfs Einspruch mit einer derartigen „Sanktion“ zu verknüpfen. Hier entsteht beim Beschuldigten der unschöne Eindruck, dass es der Staatsanwaltschaft nicht auf die Fakten ankommt, sondern sie den Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrlerlaubnis als Möglichkeit ansieht, in einem nicht gerade schulbuchhaft ausermittelten Fall Rechtskraft zu schaffen.

Dem sollte schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden.

Nicht in der Lage

Die Polizei in einer hessischen Stadt nahm meinen Mandanten am Freitagnachmittag fest. Auf dem Revier verlangte er nach einem Anwalt. Wie das ablief, darüber gibt es zwei Versionen.

Der zuständige Kommissar hat in der Akte festgehalten, der Beschuldigte habe nach einem Anwalt verlangt. Er sei aber nicht in der Lage gewesen, einen Anwalt zu benennen. Er sei dann darauf verwiesen worden, sich bei der Vorführung vor dem Haftrichter am nächsten Morgen einen Anwalt vom örtlichen Notdienst als Pflichtverteidiger beiordnen zu lassen.

Mein Mandant sagt, er habe darum gebeten, Rechtsanwalt Udo Vetter aus Düsseldorf anrufen zu dürfen. Der Polizeibeamte habe ihn gefragt, ob er meine Rufnummer weiß. Mein Mandant will dann gesagt haben, dass meine Rufnummer in seinem iPhone steht. Außerdem natürlich im Telefonbuch. Darauf soll der Polizist erwidert haben, das iPhone sei schon weggesperrt und es sei nicht sein Job, Telefonnummern im Internet nachzuschlagen. Außerdem seien die Anwälte vom Notdienst Experten im Strafrecht.

Den Unterlagen entnehme ich, dass mein Mandant nüchtern war und sich ansonsten klar ausdrückte. Deshalb wundert es mich schon, dass er laut Polizei nicht in der Lage gewesen sein soll, mich beim Namen zu nennen. Immerhin habe ich ihn erst vor kurzem nach einer Festnahme rausgepaukt. Außerdem laufen zwei größere Verfahren, wegen der wir regelmäßig zusammensitzen und auch telefonieren.

Mentaler Totalausfall oder dichtender Beamter? Das Gericht wird sich mit der Frage beschäftigen müssen. Bei der Entscheidung, ob ich jetzt noch nachträglich beigeordnet werde. Und zwar neben oder anstelle des Anwalts vom Notdienst. Mit dem möchte mein Mandant auf keinen Fall zusammenarbeiten.

Totalspeicherung total überflüssig

Die jetzt vorliegende Kriminalstatistik des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2010 enthüllt: Nach dem Ende der anlasslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten sinkt die Zahl der registrierten Internetdelikte. Die Aufklärung ist dagegen überdurchschnittlich erfolgreich. Bürgerrechtler vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnen deshalb vor einem weiteren Anlauf zu einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung.

Nichts in der letzte Woche vorgelegten Statistik spricht für die Annahme, dass das Ende der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung zu mehr Internetkriminalität geführt hätte – im Gegenteil. Im Jahr 2010 und damit im Wesentlichen nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung wurden in Nordrhein-Westfalen 11,8 % weniger Internetdelikte registriert als im Vorjahr. Damit hat sich der Trend der vorangegangenen Jahre fortgesetzt (2006: 60.591, 2007: 56.432, 2008: 25.880, 2009: 54.811, 2010: 48.411). Dass der Polizei 2010 weniger Internetdelikte bekannt geworden sind, beruht nicht auf dem Ende der Vorratsdatenspeicherung, denn auf Telekommunikationsdaten darf stets nur für Ermittlungen wegen bereits bekannter Straftaten zugegriffen werden.

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96,6 % aller Straftaten haben keinen Bezug zum Internet.

Die Statistik straft auch der Behauptung Lügen, das Internet sei nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung ein „rechtsfreier Raum“ oder Ermittlungen seien kaum noch möglich. Im Jahr 2010 wurden in Nordrhein-Westfalen auch ohne Vorratsdaten fast zwei von drei Internetdelikten aufgeklärt (64,4%). Damit waren im Internet begangene Straftaten auch ohne Vorratsdatenspeicherung deutlich häufiger aufzuklären als außerhalb des Internet begangene Straftaten (49,4%). Auch die Verbreitung von Kinderpornografie wurde nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung deutlich häufiger aufgeklärt (60,8%) als außerhalb des Internet begangene Straftaten.

„Da Internetdelikte auch ohne Vorratsdatenspeicherung überdurchschnittlich erfolgreich aufgeklärt werden, muss Vorschlag des Bundesjustizministeriums für eine neuerliche anlasslose Erfassung sämtlicher Internetverbindungen in Deutschland vom Tisch“, erklärt Florian Altherr vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „99,6% der Internetnutzer werden nie einer Straftat auch nur verdächtigt. Der Schutz der 49 Mio. Internetnutzer in Deutschland vor falschem Verdacht, Datenmissbrauch und Datenpannen durch Vorratsdatenspeicherung darf nicht ‚aufgrund parlamentarischer Zwänge‘ verhandelbar werden. Die FDP muss hier zu ihrem Wort stehen und jede verdachtslose Datenspeicherung ablehnen.“

Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ergänzt: „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Aufklärungsquote zwar zurück gegangen. Dies entspricht aber einem langfristigen Trend (2007: 84,0%, 2008: 76,9%, 2009: 77,3%, 2010: 64,4%) und ist nicht nachweisbar auf das Ende der Totaldatenspeicherung zurückzuführen. Es ist normal, dass Straftaten im Internet auf längere Sicht nicht häufiger aufgeklärt werden als sonstige Straftaten (2010: 49,4%).“

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Die Aufklärungsquote bei Internetdelikten ist höher.

Verbreitung, Besitz und Verschaffung kinderpornografischer Materialien ist auch nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung rückläufig (2008: 1.668 Fälle, 2009: 1.536 Fälle, 2010: 1.503 Fälle). Bei den 2010 in Nordrhein-Westfalen registrierten Internetdelikten handelte es sich nur zu 2,5% um die strafbare Verbreitung pornografischer Darstellungen, zu 80,7% um Betrugsdelikte. Gemessen an der Gesamtkriminalität handelt es sich bei weniger als 0,1% aller Straftaten um Pornografie im Internet (zum Vergleich: Straßenkriminalität 28%, Gewaltkriminalität 4%). 96,6% der 2010 in Nordrhein-Westfalen bekannt gewordenen Straftaten wurden außerhalb des Internet begangen.

„Die Angstkampagne und Panikmache steht in keinem Verhältnis zur Realität“, erklärt Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Fakt ist, dass wir mit gezielten Ermittlungen nur gegen Verdächtige nicht weniger sicher leben als es mit einer verdachtslosen Erfassung sämtlicher Verbindungsdaten der Fall wäre. Ich empfinde es als unangemessen und rechtlich fragwürdig, wenn eine ständig wiederholte emotionale Schilderung von Einzelfällen zusammen mit einer massiven Medienkampagne der aus meiner Sicht populistischen Begründung für die Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung herhalten soll, die fast 70% der Bürgerinnen und Bürger ablehnen.“

Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März will die FDP Verhandlungen mit CDU und CSU über deren Forderung nach Wiedereinführung einer verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten in Deutschland aufnehmen. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat eine Stellungnahme zum entsprechenden Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums erarbeitet.

Bahn: Flächendeckende Videoüberwachung durch die Hintertür?

Im Rahmen einer “Automatisierung” ihres Fahrbetriebes plant die Deutsche Bahn offenbar die Video-Komplettüberwachung aller Bahnsteige. Teilweise geschieht dies wohl auch, ohne Bahnkunden am Bahngleis auf die Videoüberwachung hinzuweisen. Dies zeigt Daten-Speicherung.de am Beispiel des Bahnhofs Itzehoe. Dort beobachten Videokameras das Geschehen auf den Bahngleisen; ein Hinweisschild gibt es nicht.

Die Bahn begründet in einer Stellungnahme ihre Maßnahme damit, dass der Fahrbetrieb immer mehr zentral gesteuert werde:

Weil durch den MA, der die Anlage steuert, kein direkter Sichtkontakt mehr auf den Bahnsteig besteht, erhält dieser die elektronische Sicht, um Umsteigevorgänge zu sehen. Er wird damit in die Lage versetzt, situationsbezogene zusätzliche Ansagen zu machen usw. Die Bilder der Kameras werden nicht aufgezeichnet.

Nur zur Steuerung des Bahnverkehrs scheinen die Anlagen aber wohl nicht gedacht. Der Hersteller der Videosysteme wirbt ausdrücklich mit dem Sicherheitsaspekt.

Daten-Speicherung.de hält die Überwachung grundsätzlich für rechtswidrig und hat dies der Bahn auch mitgeteilt:

Die Videoüberwachung des Bahnsteigs ist bereits deshalb rechtswidrig, weil an keiner Stelle darauf hingewiesen wird. § 6b Bundesdatenschutzgesetz bestimmt: „Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.“ …

Aber auch im Falle eines Hinweises wäre die Überwachung rechtswidrig, weil nicht erforderlich. Schon der Fahrdienstleiter Itzehoe hatte keinen direkten Sichtkontakt auf die Fahrgäste am Bahnsteig, jedenfalls wenn zwischen Bahnsteig und Fahrdienstleiter ein Zug stand. Das Ansagezentrum braucht dementsprechend ebensowenig direkten Sichtkontakt auf den Bahnsteig. Dies zeigen Dutzende von Bahnhöfen in Schleswig-Holstein ohne direkten Sichtkontakt des Ansagers. Die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit dieser Bahnsteige ist unzweifelhaft in vollem Umfang gewährleistet. Das Ansagezentrum muss allenfalls wissen, ob ein Zug am Bahnsteig steht. Dazu reichen aber schon Sensoren. In jedem Fall aber würde es reichen, den Gleis und damit die Züge zu filmen anstelle der Fahrgäste auf dem Bahnsteig. …

Selbst wenn es theoretisch für „situationsbezogene Ansagen“ nützlich sein könnte, die Fahrgäste zu sehen, ist es doch evident unverhältnismäßig, wegen solcher seltenen Ausnahmefälle dauerhaft sämtliche vollkommen unschuldige und unverdächtige Fahrgäste flächendeckend zu überwachen. Von den Personen, die den überwachten Bereich betreten, geht keinerlei Gefahr für Dritte aus. Die Videoüberwachung erfasst nahezu ausschließlich Personen, die keinen Anlass für eine Überwachung geben (vgl. BVerfGK 10, 330). Eine gleichwohl permanent erfolgende Videoüberwachung des Bahnsteigs muss in dieser Situation als exzessiv und unverhältnismäßig angesehen werden.

Eine Antwort der Bahn steht wohl noch aus. Klar ist aber auch nach meiner Meinung, dass die Bahn die Videoüberwachung ihrer Bahngleise nicht mit dem Argument verheimlichen darf, es gehe ihr ja nur um die Rationalisierung der Betriebsabläufe. Auch Bahnkunden haben ein Recht darauf, hinreichend deutlich darauf hingewiesen zu werden, wenn sie auf Bahnhöfen im Blickfeld von Videokameras stehen.

Andererseits halte ich es aber auch für möglich, dass eine Überwachung bestimmter Bahngleise zulässig ist, wenn die Bahn das transparent macht. Das müsste sich dann aber auf echte Brennpunkte beziehen, an denen es nachweislich gehäuft zu Straftaten kommt.

Bei Itzehoe handelt es sich übrigens nicht um einen Einzelfall. Laut Bahn werden bundesweit alle automatisierten Bahnhöfe mit diesem “Standard” ausgestattet.

Massenabmahner blitzen ab

Eine Speicherpflicht für IP-Adressen “auf Zuruf”  – so was wollten Frankfurter Abmahnanwälte für ihre Mandantin durchsetzen. Provider hätten Verbindungsdaten dann schon speichern müssen, wenn ein Musik- oder Filmverlag dies verlangt. Also eine Art privat veranlasstes “Quick Freeze”. Die für die Herausgabe der Daten normalerweise erforderliche gerichtliche Anordnung hätten sich die Rechteinhaber dann später in Ruhe besorgen können.

Schon das Oberlandesgericht Hamm konnte dieser Idee nichts abgewinnen. Gegen die Entscheidung zogen die Massenabmahner vors Bundesverfassungsgericht. Dort holten sie sich jetzt eine heftige Klatsche ab. Ihre Antragsschrift bewertet das Verfassungsgericht nämlich als von vorne bis hinten unzureichend.

Aus dem Beschluss:

Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie erfüllt nicht die sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der Beschwerdebefugnis (1.), der Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (2.) und der Beachtung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität (3.).

Mit anderen Worten: Den Anwälten gelang es in diesem Fall noch nicht mal, einen formal ordnungsgemäßen Antrag ans Verfassungsgericht zu formulieren.

Ob das vom exzessiven und monotonen Hantieren mit Textbausteinen kommt?

Einverstanden

Mein Mandant sitzt in Untersuchungshaft. Ihm wird Erpressung vorgeworfen. Nach den Umständen könnte das auf eine mehrjährige Haftstrafe hinauslaufen. Ich habe mich dennoch entschieden, auf dem Formular, das die Staatsanwaltschaft Frankfurt für die Rückgabe von Ermittlungsakten verlangt, demonstrativ ein Kreuzchen zu machen:

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Bei einer Einstellung nach § 153a StPO zahlt der Beschuldigte was an die Staatskasse oder für einen guten Zweck. Damit ist die Sache dann erledigt.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.