Gerichte urteilen “Im Namen des Volkes”. Damit das Volk weiß, was in seinem Namen in Gerichtssälen geschieht, gibt es verschiedene Sicherungen. Eine davon ist der Grundsatz, dass Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich sind. Weiterhin gibt es keine Geheimjustiz. Das bedeutet: Gerichtsentscheidungen unterliegen keinem urheberrechtlichen Schutz; sie dürfen – jedenfalls in anonymisierter Form – frei veröffentlicht und diskutiert werden. Allerdings scheint es auch Richter zu geben, die es gerne anders hätten…
Im schönen Baden-Baden etwa. Am dortigen Landgericht muss jetzt eine Strafsache verhandelt werden, die bereits in die Ehrenrunde geht. Das übergeordnete Oberlandesgericht Karlsruhe hat am 2. Februar 2011 ein Urteil des Landgerichts Baden-Baden zu Gunsten des Angeklagten wegen Rechtsfehlern aufgehoben und angeordnet, dass eine andere Strafkammer erneut über die Sache zu entscheiden hat.
Der Spruch des Oberlandesgerichts Karlsruhe gehört zu den eingangs erwähnten Gerichtsentscheidungen. Es steht jedermann frei, der das Aktenzeichen kennt, beim Gericht eine Abschrift anzufordern. Oder, wenn er anderswie davon erfährt, das Urteil zu veröffentlichen. Oder eben gerade nicht – wenn es nach dem nun zuständigen Vorsitzenden der Strafkammer geht. Dieser versendet nämlich Schreiben, in denen er die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe als vertraulich deklariert und untersagt, diese zu veröffentlichen, nicht einmal in Auszügen.
Wohlgemerkt, der betreffende Richter am Landgericht hat das Urteil, das er als vertraulich deklariert und nicht veröffentlicht sehen will, noch nicht einmal selbst verfasst. Vielmehr stammt diese Entscheidung von ihm übergeordneten Richtern am Oberlandesgericht. Wie die Juristen am Oberlandesgericht es finden, dass ihre goldenen Worte von einem Kollegen der unteren Instanz aktiv der Öffentlichkeit entzogen werden, ist nicht bekannt.
Wirklich pikant an dem Veröffentlichungsverbot des Richters am Landgericht ist allerdings, dass sich der Fall, den er unter der Decke halten will, gerade um das Informationsinteresse der Öffentlichkeit dreht.
In aller Kürze geht es um folgendes: Einer Mutter war per Gerichtsbeschluss das Sorgerecht für ihr Kind entzogen worden. Eine durchaus fragwürdige Entscheidung. Das Jugendamt kümmerte sich künftig so rührend um den Jungen, dass selbst sein Großvater ihn nicht mehr zu Gesicht bekam. Frustriert und verärgert über den Verlust seines Enkels veröffentlichte der Großvater die Geschichte im Internet. Unter anderem illustrierte er sie mit einem Foto seines Enkels.
Letzteres brachte wiederum das Jugendamt auf den Plan, welches wegen der Bildes Strafantrag stellte. Sowohl das Amts- als auch das Landgericht verurteilten den Großvater wegen des Porträts zu einer Geldstrafe. Sie sahen einen Verstoß gegen des Kunsturheberrechtsgesetz.
Ebenfalls fragwürdige Entscheidungen, befand das Oberlandesgericht. Die dortigen Juristen attestierten ihren Kollegen am Amts- und Landgericht, sich nicht ausreichend mit dem Fall beschäftigt zu haben. Offenbar sei den vorher befassten Juristen noch nicht einmal der Gedanke gekommen, dass es ein öffentliches Interesse an der Familientragödie und der Kritik des Großvaters an Jugendamt und Familiengericht geben könne. In diesem Rahmen könnte auch die Veröffentlichung eines Bildes des Kindes gerechtfertigt sein.
Außerdem attestiert das Oberlandesgericht, die früheren Richter hätten leider vergessen, die in jedem Einzelfall erforderliche Gesamtabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutz der Privatsphäre des Abgebildeten anzustellen. Ausdrücklich moniert das Oberlandesgericht auch, das Landgericht habe noch nicht einmal ein Wort über die Texte verloren, die der Großvater zu dem Fall verfasst hat.
Dem nun zuständigen Richter scheint nun so sehr daran gelegen, diese wenig schmeichelhaften Feststellungen unter der Decke zu halten, dass ihm sogar unkonventionelle Mittel recht sind. Gut möglich, dass er ausgerechnet mit seinem Veröffentlichungsverbot ohne Rechtsgrundlage nicht nur seine Kompetenzen überschritten, sondern sich gleich auch noch selbst für das Verfahren disqualifiziert hat. Wie soll von jemanden mit so einer Einstellung zur Thematik erwartet werden können, dass er im eigentlichen Fall zu einem objektiven Urteil gelangt?
Der Verteidiger des Angeklagten wird den Richter wegen Befangenheit ablehnen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 2. Februar 2011, Aktenzeichen 1 (7) Ss 371/10-AK 99/10