Ein Unglück kommt selten allein. Für meinen Mandanten war das die Hauptverhandlung nächste Woche, die er als Angeklagter vor sich hatte. Parallel dazu die Nachricht aus seinem Heimatland Nigeria, dass seine betagte Mutter ins Krankenhaus eingeliefert worden ist.
Das eilig beschaffte Attest las sich jetzt nicht so dramatisch. Von Gewichtsverlust und Dehydrierung war die Rede. Und von einer möglichen Operation, je nachdem wie die Diagnose ausfällt. Mein Mandant wollte gleich nach Nigeria fliegen, um bei seiner Mutter zu sein.
Ich sprach also mit dem Richter, ob wir den Termin nicht aufheben und später verhandeln können. Der Vorsitzende war jetzt nicht supernegativ eingestellt, doch dem Attest begegnete er doch mit einiger Skepsis. So eine richtige Notlage ergebe sich daraus ja nicht. Außerdem sei die Mutter ja schon mindestens 10 Tage im Krankenhaus, so dass es auf eine Woche doch nicht ankomme.
Natürlich sah der Richter auch den Aufwand, der bei einer Absage vergeblich gewesen wäre. Er hatte Zeugen geladen, darunter auch einen Gefangenen. Der kommt aus einem weit weg gelegenenen Gefängnis und dürfte sich schon in der „Verschubung“ befinden. Einmal quer durch die Republik dauert mit dem Justizbus ja locker 10 bis 14 Tage.
Ich wollte darüber mit dem Mandanten noch mal reden. Doch dazu kam es nicht mehr, denn schon wenige Stunden später lag das nächste Dokument im Fax. Die Sterbeurkunde. Die Mutter meines Mandanten war genau um die Uhrzeit verstorben, als ich mit dem Richter sprach.
Die neue Sachlage hat das Gericht übrigens anstandslos akzeptiert. Mein Mandant darf nach Hause fliegen und seine Mutter beisetzen. Der Gerichtstermin findet jetzt wahrscheinlich im April statt. Wenn nichts dazwischen kommt.