Der G8-Gipfel in Heiligendamm liegt dreieinhalb Jahre zurück. Bilder des Katz- und Mausspiels zwischen Demonstranten und Polizei gingen um die Welt. Ebenso Berichte über Gefangenensammelstellen, deren Ausgestaltung eher an die Käfighaltung von Nutztieren erinnerte. Ein heikles Thema war auch der Umgang der Behörden mit angemeldeten Demonstrationen. Diese wurden teilweise verboten, darunter auch der große Sternmarsch am 7. Juni 2007, der bis an den eigens für den Gipfel errichteten Zaun reichen sollte.
Beim Sternmarsch ging das Verbot jedenfalls zu weit, entschied jetzt das Verwaltungsgericht Schwerin. Die Demonstration hätte nach Auffassung der Richter nicht pauschal untersagt werden dürfen.
Die Richter attestieren den Behörden, sie hätten sich einseitig am Sicherheitskonzept der Polizei orientiert. Diese berief sich auf mannigfaltige Gefahren für die versammelten Staatsoberhäupter. Mit diversen Ordnungsverfügungen wurden Kundgebungen im Umkreis von minimal fünf Kilometern rund um das Tagungshotel verboten.
Das Verwaltungsgericht Schwerin hält den Verantwortlichen vor, sie hätten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit praktisch ignoriert. Jedenfalls ließen die Verbote jede nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob möglichen Gefahren nicht durch mildere Maßnahmen, Auflagen zum Beispiel, gebannt werden konnten. Somit sei die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt.
Das Gericht kritisiert auch, die Behörden hätten sich nicht hinreichend mit jeder angemeldeten Demonstration beschäftigt. Es fehle an einer nachvollziehbaren Entscheidung „im Einzelfall“.
Die Kläger hätten auch gern festgestellt gehabt, dass die polizeiliche Lagebewertung völlig überzogen, wenn nicht sogar eine bewusste Täuschung war. Nach ihrer Meinung haben die Behörden gerade im damaligen Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bewusst dick aufgetragen und wahre Horrorgeschichten geschildert, unter anderem zur angeblichen Gewaltbereitschaft von Demonstranten. Dies habe dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht zwar Zweifel an den Demoverboten äußerte, letztlich aber keine einstweilige Verfügung zu Gunsten der Veranstalter erließ.
Ob die Bewertung der Polizei falsch oder gar eine bewusste Täuschung war, wollte das Verwaltungsgericht Schwerin jedoch nicht beurteilen. Die Richter halten den Klageantrag bereits für unzulässig. Das Gesetz sehe nicht vor, dass Verwaltungsgerichte nachträglich Prozessaussagen in anderen Verfahren auf ihre Richtigkeit überprüfen. Das ist juristisch sicher korrekt, zeigt aber nach Auffassung der Kläger Lücken im System. Ihre Anwältin Ulrike Donat:
Damit kann die Polizei auch in Zukunft die Stimmung aufheizen, ungestraft Gerichte manipulieren und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unterlaufen. In einem solchen Fall gibt es offenbar keinen wirksamen Rechtsschutz für die Bürger.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Polizeidirektion Rostock kann die Zulassung der Berufung beantragen. Gut möglich also, dass juristische Klarheit erst dann eintritt, wenn sich wirklich niemand mehr an den G8-Gipfel von Heiligendamm erinnert.