Der Richter hatte die Akte sorgfältig gelesen. Er wusste, dass meine Mandantin mal in Import/Export gemacht hat, bevor sie im Einzelhandel Fuß zu fassen versuchte. Dieser neue Erwerb führte sie nun auf die Anklagebank.
Einige unzufriedene Kunden fühlten sich „betrogen“. Ich war von vornherein der Meinung, es handele sich eher um zivilrechtliche Probleme. Ob ein, zugegeben teures, Kleidungsstück nun der Bestellung entspricht oder Mängel aufweist, wird ja üblicherweise nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs geklärt. Und nicht über eine Anklage der Staatsanwaltschaft.
Der zuständige Richter schien das ansatzweise auch so zu sehen. Wichtiger war aber, dass er meine Mandantin schon nach Aktenlage offenkundig ins Herz geschlossen hatte. Die junge Dame besitzt nämlich nicht nur Abitur, sondern hat auch ein Hochschulstudium abgeschlossen. Sogar als Lehrerin hat sie einige Zeit gearbeitet.
Mehrfach kam von der Richterbank die Frage, wieso die Angeklagte denn nicht lieber im akademischen Bereich arbeite. „Sie machen hier doch einen hervorragenden Eindruck, so was haben sie doch gar nicht nötig.“ Das wollten wir natürlich nicht dementieren. Glücklicherweise konnte sich auch der Staatsanwalt der positiven Grundstimmung nicht entziehen.
So kam es zu einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld. Das war dann schon ein stattlicher Erfolg. Immerhin hatte vorher der Strafrichter die Sache an das übergeordnete Schöffengericht abgegeben, weil er von einer „erheblichen Straferwartung“ ausging. Womit nichts anderes als eine deutliche Gefängnisstrafe gemeint ist.
Meine Mandantin seufzte nach der Verhandlung, schon wegen des offensichtlichen Akademiker-Bonus vor Gericht habe sich das Studium gelohnt. Dem würde ich nicht widersprechen. Allerdings gibt es auch keine Garantie, dass es beim nächsten Mal wieder in gleichem Maße klappt.