Morgendliches zweiminütiges Glockenläuten (Betläuten) ist zulässig. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden. Eine evangelische Kirche darf somit weiter die Anwohner quälen.
Der Kläger wohnt etwa hundert Meter von der Kirche entfernt. Er hatte geltend gemacht, das frühmorgendliche Geläut verletzte seine grundrechtlich geschützte negative Bekenntnisfreiheit. Der Staat sei verpflichtet, Störungen der Religionsausübung durch Dritte zu verhindern. Von der beklagten Kirchengemeinde werde er zu einer systematischen stetigen Kenntnisnahme eines akustischen religiösen Zeichens gezwungen. Infolge der Beschallung durch die Kirchenglocken sinke der Immobilienwert seines Grundstücks. Außerdem störe der Lärm der Glocken die Schlafqualität. Das Glockengeläut um 6.00 Uhr morgens sei auch nicht sozial adäquat. 61 Prozent der Westdeutschen legten keinen Wert auf Kirchenglockenschall.
Dieser Argumentation folgten die Richter nicht.
Der vom Kläger geltend gemachten negativen Bekenntnisfreiheit stehe das gleichermaßen geschützte Grundrecht der ungestörten Religionsausübung der Kirchengemeinde entgegen.
In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebe, habe der Einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Im Übrigen sei wohl auch die Verkündigung der muslimischen Botschaft durch den Muezzin-Ruf vom Minarett nicht anders als kirchliches Glockengeläut zu beurteilen. Dementsprechend könne die negative Bekenntnisfreiheit Einzelner dem Ruf des Muezzin nicht entgegengehalten werden.
Dem Kläger stehe der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu. Liturgisches Glockengeläut sei wegen des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und des Schutzes der freien Religionsausübung privilegiert. In der Regel stelle das morgendliche Gebetsläuten eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens dar, die – wenn sie sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen halte – auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen sei.
Dies sei vorliegend der Fall. Das morgendliche Gebetsläuten finde nicht vor Tagesanbruch statt. Die Zeit der Nachtruhe gelte, auch nach der TA Lärm, um 6 Uhr regelmäßig als beendet. Auch die Dauer des Geläuts von zwei Minuten sei nicht zu beanstanden. Schließlich seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Stärke des Geläuts über das Übliche hinausgehe.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Berufung zugelassen.
Urteil vom 13. Dezember 2010, Aktenzeichen 11 K 1705/10