Flotter Richter „verhandlungsunfähig“

Auch für einen Senatspräsidenten gilt die Unschuldsvermutung. Selbst wenn er diverser Verkehrssünden beschuldigt wird, wie das bei dem Richter Lutz B. vom Oberlandesgericht Düsseldorf der Fall ist.

Inzwischen sorgt der 62-Jährige aber auch mit taktischen Manövern für Aufregung. Gestern sollte er um 11.30 Uhr vor dem Amtsgericht Erkelenz erscheinen, damit wegen eines Tempoverstoßes gegen ihn verhandelt werden kann.

Doch B. ließ den Termin platzen. Er legte ein ärztliches Attest vor. Danach war er verhandlungsunfähig krank.

Lutz B. und seine Temposünden waren in Gespräch gekommen, weil er einen Autofahrer vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freigesprochen hatte. Im Beschluss vertrat er Ansichten, die ihm selbst bei seinen vor Gericht offenen Temposünden hätten helfen können, zumal B. als Rechtsmittelrichter die juristische Marschroute der untergeordneten Amtsgerichte bestimmt.

Fraglich ist nur, ob der Erkelenter Amtsrichter Gregor Kral mitgezogen hätte. Der wollte gestern zunächst prüfen, ob man Lutz B. wegen 17 Stundenkilometern zu viel ein Bußgeld auferlegen kann. Der Kollege war auf der Landstraße bei Wegberg erwischt worden. Dafür soll er 30 Euro zahlen, will das aber nicht. Sein Argument: Das Schild war angeblich verdreht, deshalb gebe es Zweifel an der „rechtswirksam angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung“.

Am selben Tatort wurde der Wagen des Juristen aber auch noch mit einer Geschwindigkeit von 112 km/h gemessen, macht 42 km/h zu schnell. Für diesen Verstoß soll Lutz B. 208 Euro zahlen und einen Monat auf seinen Führerschein verzichten. Auch dagegen hat er Einspruch erhoben. Diesmal bislang ohne Begründung.

Sein Konto im Sündenregister des Kraftfahrtbundesamtes ist auch ohne diese Fälle schon auf 14 Punkte angewachsen. Bei 18 wird die Fahrerlaubnis entzogen. Zu den 18 Punkten hätte es gestern im Erkelenzer Amtsgericht womöglich kommen können.

Auch ohne seinen prominentesten „Angeklagten“ an diesem Tag demonstrierte der zuständige Richter Gregor Kral eine gereifte Resistenz gegen Ausreden. So verurteilte er um 11.35 Uhr einen Autofahrer zu 35 Euro Buße, obwohl der doch an seinem Handy „nur die Freisprecheinrichtung einschalten wollte“.

Ohne Nachsicht ließ Richter Kral vorige Woche auch einen Verfahrensantrag von Lutz B. abblitzen. Lutz B. wollte erreichen, dass der gestrige Termin verlegt wird, „ohne dass jemand davon erfährt“.

Darauf habe B. hat kein Recht, ließ Richter Kral ihn wissen. Worauf sich der Senatspräsident krank meldete. Die ärztlich attestierte Verhandlungunsfähigkeit, für die es normalerweise weit mehr als eines Schnupfens bedarf, könnte allerdings nur partiell gewesen sein. So ist nämlich zu hören, Lutz B. sei zwar gestern nicht vor dem Amtsgericht Erkelenz erschienen, aber mehrfach an seinem Dienstsitz im Oberlandesgerich gesehen worden. Unbekannt ist bislang, ob und wie der Erkelenzer Amtsrichter Kral auf solche Nachrichten reagiert.

Ein neuer Termin dürfte jedenfalls unausweichlich sein, wenn es dem Senatspräsidenten wieder besser geht. Früher oder später wird es also zum Showdown am Amtsgericht kommen. (pbd)

Kalenderverlosung – Nachspielzeit

Knapp 500 Teilnehmer zählt die alljährliche Verlosung des Anwaltskalenders von wulkan bislang. Bei dieser großen Resonanz soll es nicht bei den fünf Exemplaren bleiben, die ich immer für die Leser des law blog kaufe. Der Künstler persönlich legt diesmal die gleiche Zahl drauf, so dass wir mit der Verlosung in die Verlängerung gehen können.

Es sind nun also zehn Anwaltskalender 2011 im Pott. Wer möchte, kann noch mal sein Glück versuchen und auch einen Kommentar zu diesem Beitrag hinterlassen. Die Gewinner der Kalender geben wir dann einheitlich ab dem 5. Dezember 2010 bekannt. Bis dahin ist die Teilnahme in beiden Beiträgen möglich.

Das Kleingedruckte:

Bitte eine gültige E-Mail-Adresse angeben. Die Gewinner werden ausschließlich über diese E-Mail-Adresse kontaktiert. Die E-Mail-Adressen geben wir nicht weiter und verwenden sie auch nicht für andere Zwecke. Unter allen Teilnehmern entscheidet das Los.

Der Kalender wird noch vor Weihnachten frei Haus an die vom Gewinner gewünschte Adresse verschickt. Er eignet sich deshalb auch als Weihnachtsgeschenk.

Wer sich nicht auf sein Glück verlassen will, kann natürlich auch bei wulkan einen Kalender ordern. Die Kalender kosten pro Stück 19,95 Euro zzgl. 5,80 Euro Versandkostenpauschale.

Bestellungen sind möglich unter wulkan@arcor.de oder telefonisch unter 0172-200 35 70.

Blogger können leidlich gelassen bleiben

Man kann und muss sich über den geplanten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) aufregen. Die geplanten Regelungen sind weltfremd im wahrsten Sinne des Wortes. Das Internet ist ein internationales Medium. Kein Inhalteanbieter aus einem anderen Land wird sich um in Deutschland angeordnete Alterskennzeichnungen und Sperrzeiten scheren. Gleiches gilt für deutsche Anbieter, die zumindest offiziell mit Server und Adresse in weniger restriktive Regionen umziehen. Das gesamte System ist also bereits jetzt zum Scheitern verurteilt und läuft eigentlich nur auf eine Knebelung der „braven“ deutschen Anbieter hinaus, die nicht tricksen oder sich im bürokratischen Dickicht verirren wollen, Angst vor Abmahnungen haben und deshalb womöglich ihre Seiten dichtmachen.

Genau das haben heute einige Blogger angekündigt. Abgesehen davon, dass man politischen Flachsinn nicht durch Resignation besiegt, habe ich den Eindruck, der eine oder andere ist einer Dramatisierung der tatsächlichen Pflichten und Risiken erlegen, die sich aus dem JMStV für Blogger ergeben werden.

Das größte Schreckgespenst ist die Alterskennzeichnung. Wie soll man die Beiträge aus drei, vier, fünf Jahren Bloggerei auf ihre Jugendgefährdung sichten? Die Frage ist schon mal falsch gestellt. Es gibt, entgegen vieler Darstellungen, keine generelle Pflicht zu einer Alterskennzeichnung. Nur wer Inhalte anbietet, die ausschließlich für Nutzer ab 16 oder 18 Jahren geeignet sind, muss entweder eine Alterskennzeichnung einführen oder seine Inhalte tagsüber sperren.

Das ist im wesentlichen übrigens auch bisher schon geltendes Recht. Gekümmert hat es kaum jemanden. Bis auf das Verbot eines Anorexie-Blogs und einige Anschreiben des zahnlosen Tigers jugendschutz.net ist mir bislang kein flächendeckender Schlag gegen Blogs bekanntgeworden, der sich nicht gegen – eindeutig verbotene – harte Pornografie, Gewaltverherrlichung oder extremistische Propaganda richtete. Ich behaupte, das wird sich auch mit dem neuen JMStV nicht ändern. So verquast die Regelungen formuliert sind, sind sie jedenfalls eher rhetorische Feigenblätter (Seht her, wir tun was!) und weniger die neuen Wunderwaffen für ein klinisch reines deutsches Internet.

Ich habe unendlich viele Blogs in meinem Reader. Bei einer Durchsicht eben ist mir kein einziger Beitrag aufgefallen, der so hart war, dass jemand auch nur ernsthaft eine Altersfreigabe erst ab 16 oder gar 18 Jahren fordern könnte. Vielleicht lese ich nur die falschen Blogs. Aber es könnte auch gut sein, dass wir für 99 % des Genres falsche Befürchtungen haben. Da es auch heute schon ähnliche Regelungen gibt, müsste sich entweder die Alterseinschätzung inhaltlich ändern. Oder die weitaus meisten Blogs sind einfach brav genug, um nicht einmal ansatzweise ins Raster des JMStV zu fallen.

Die immer wieder herumgeisternde Altersstufe 12 Jahre wird falsch verstanden. Es wird zwar eine Regelung geben, dass Alterskennzeichnungen vorgeschrieben sind, wenn die betreffende Seite Inhalte anbietet, die erst ab 12 Jahren geeignet sind. Allerdings gilt das nur dann, wenn sich andere Angebote der Seite inhaltlich ausdrücklich an jüngere Kinder richten und diese Inhalte nicht von denen „ab 12“ sauber getrennt sind. Unschwer zu erkennen, dass es sich bei dem Angebot um ein Blog mit Kindercontent handeln müsste. Über die Notwendigkeit der Trennung mag man streiten, aber jedenfalls haben diese Vorgaben schon von den Inhalten sicher nichts mit der denkbaren Zensur „normaler“ Bloginhalte zu tun.

Also: Wer keine Inhalte anbietet, die für unter 16-Jährige durchgehend schädlich sind, muss weder eine Alterskennzeichnung einführen noch Sendezeiten beachten. Entgegen mancher Behauptung wird es also keine Bußgelder bloß deswegen geben, weil auf einem Blog keine Alterskennzeichnung vorhanden ist. Wer für sich also zu der Überzeugung kommt, dass er keine Inhalte anbietet, die erst ab 16 Jahren zugänglich sein dürfen, hat keinen Handlungsbedarf. Schon das dürfte die weitaus meisten Blogger aus der Schusslinie des JMStV bringen.

Überdies werden sich die viele Blogger darauf berufen können, (auch) tagesaktuelle, gesellschaftlich relevante Themen zu diskutieren und damit auf der Ebene üblicher redaktioneller Angebote zu stehen. Diese sind aber grundsätzlich von den Vorschriften ausgenommen. Was zum Beispiel dazu führt, dass Bild auch künftig online nackte Mädchen zeigen darf und Spiegel online auch mal einen Text zu pikanten Themen veröffentlichen kann, ohne sich um Altersvorgaben scheren zu müssen. Ich bin zuversichtlich, dass Gerichte eine Vielzahl von Blogs ebenfalls als ein quasi-journalistisches Angebot ansehen würden mit der Folge, dass sich die Frage nach Altersklassifikationen für sie gar nicht stellt.

Für das law blog nehme ich dieses Privileg in Anspruch. Es wird auf dieser Seite also keine Alterskennzeichnung geben, selbst für den Fall, dass der eine oder andere Beitrag nach Einschätzung der Behörden erst ab 16 oder 18 Jahren verdaulich ist.

Da es, um das noch mal zu wiederholen, definitiv keine Pflicht für eine Alterskennzeichnung gibt, kann die bloß fehlende Kennzeichnung auch nicht abgemahnt werden. Eine Abmahnung wäre auch höchstens auf der Basis des Wettbewerbsrechts möglich. Das Wettbewerbsrecht setzt aber auch immer ein „Wettbewerbsverhältnis“ voraus. Private Blogger, auch solche mit Werbung auf der Seite, stehen aber mit kaum jemandem in einem derartigen Wettbewerb. Auch hier ist also eher nicht davon auszugehen, dass die Welt untergeht.

Wer allerdings Inhalte ab 16 oder 18 Jahren anbietet, muss sich entscheiden. Er kann eine Alterskennzeichnung auf sein Blog setzen. Tut er dies, genügt er seiner Pflicht. Es gelten für ihn dann auch keine „Sendezeiten“ mehr. Auch das wird von vielen falsch verstanden, weil sie offensichtlich nicht sehen, warum die Alterskennzeichnungen eingeführt werden.

Diese Kennzeichnungen sollen Jugendschutzfiltern auf der Anwenderseite die Arbeit erleichtern. Die Alterskennzeichnung funktioniert wie die Jugendschutzsperre im Fernsehen. Sky sendet zum Beispiel auch tagsüber Filme ab 16 oder 18 Jahren. Diese sind dann aber nur zu sehen, wenn eine Jugendschutz-PIN eingegeben wird.

Die Internetanalogie zur Jugendschutz-PIN ist die Alterskennzeichnung. Mit der Alterskennzeichnung können Filterprogramme Inhalte einfach aussortieren, ohne nach Schlagwörtern oder „verdächtigen“ Bildern suchen zu müssen. Ein Blog, das korrekt zum Beispiel ab 16 oder 18 gelabelt ist, darf demnach auch tagsüber online sein. Die Alterskennzeichnung ist gerade der „Schlüssel“ dazu, die ansonsten für Inhalte ab 16 oder 18 Jahren geltenden „Sendezeiten“ nicht einhalten zu müssen.

Wer von seinem Recht Gebrauch macht und auf eine Alterskennzeichnung verzichtet, muss allerdings damit rechnen, dass die Filterprogramme sein Angebot erst mal generell sperren. Dies bedeutet aber nicht, dass nun etwa ein Provider das nicht gelabelte Blog insgesamt für seine Kunden blockiert. Vielmehr sollen, so zumindest die Beteuerungen, die Filter erst beim jeweiligen Nutzer installiert sein, also zum Beispiel auf dem Notebook einer Familie mit Kindern. Es soll hier auch den Erziehungsberechtigten freistehen, ob sie überhaupt Filterprogramme verwenden und welche „Sicherheitsstufe“ sie wählen.

Ich habe trotz intensiver Suche keinen Beleg dafür finden können, dass ernsthaft über Filter auf Providerebene nachgedacht wird. Das würde ja auch zu einer faktischen Abschaltung des kompletten Internets für die betreffenden Kunden führen. Denn ausländische Anbieter werden so oder so keine Alterskennzeichnung nach deutschem Vorbild übernehmen. Ihre Seiten müssten dann ebenfalls ausgesperrt bleiben. Wir hätten dann tatsächlich ein „Kindernet“ und kurz darauf die Revolution.

Sollte man sich für eine Alterskennzeichnung entschließen (und so die Sendezeiten umgehen), hält sich das Risiko einer falschen Einordnung leidlich in Grenzen. Der Entwurf des JMStV sieht Bußgelder nur für den Fall vor, dass der Seitenbetreiber sein Angebot „wiederholt“ falsch labelt, und zwar wider besseres Wissen. Dafür reichen ein Irrtum oder eine Fehleinschätzung nicht aus. Ein Freischuss ist ohnehin drin. Das ist besser als nichts.

Ja, aber was ist mit den Blogkommentaren und Foren? Der JMStV bezieht sich nach seinem Wortlaut nach zunächst nur auf eigene Angebote des Betreibers. Außerdem ist festgelegt, dass dass die Regelungen des Telemediengesetzes unberührt bleiben. Diese schließen aber gerade eine Haftung des Anbieters für Inhalte Dritter aus. Bei vernünftiger Auslegung dürfte sich also an dem Grundsatz nichts ändern, dass Kommentare und Foreneinträge den Seitenbetreibern frühestens zugerechnet werden, wenn er auf Probleme hingewiesen wurde. Es dürfte auch nach dem JMStV keine Pflicht geben, usergenerierten Content eigenständig zu prüfen.

Ganz untätig bleiben können Blogger aber nicht, sollte der JMStV am 1. Januar 2011 in Kraft treten. Wer „jugendgefährdende Inhalte“ anbietet, muss auf der Seite einen Jugendschutzbeauftragten und dessen Anschrift sowie E-Mail-Adresse nennen. Wer allerdings keine jugendgefährdenden Inhalte (Altersfreigabe 16 oder 18) auf der Seite hat, muss nach überwiegender Meinung der Juristen, die den Vertrag bewerten, auch keinen Jugendschutzbeauftragten angeben. Ich hatte das zunächst anders gesehen, meine jetzt aber auch, dass ein Jugendschutzbeauftragter für Blogs unbedenklichen Inhalten nicht genannt werden muss.

Der Jugendschutzbeauftragte soll zwar die nötigen Fachkenntnisse haben. Das bedeutet aber nicht, dass er hierfür eine besondere Fortbildung nachweisen muss. Jeder Blogger, der sich die Fachkenntnisse zutraut (und wer tut das nach Lektüre dieses Beitrags nicht?) kann demnach sein eigener Jugendschutzbeauftragter sein.

Was uns mit dem JMStV nach derzeitigem Stand droht, ist ein Regelwirrwarr und jede Menge Bürokratie. Das damit geplante Label-System in Verbindung mit standardisierter und somit zentral lenkbarer Filtersoftware ist zweifellos ein solides Fundament für eine spätere Zensurinfrastruktur, ebenso wie die schon in ein Gesetz gegossene „Zugangserschwerung“ in Form von Stoppschildern.

Das gesamte Projekt blendet außerdem aus, dass das Internet ein globales Medium ist und der weitaus größte Rest der Welt sicher keinen Bedarf sieht, ausgerechnet am deutschen Wesen zu genesen. Insofern ist der JMStV ein praxisuntaugliches Monstrum. Es besteht deshalb Grund zur Hoffnung, dass er ein ähnliches Schicksal erleiden wird wie die bisherigen Regelungen. Auch nach denen hat bald kein Hahn mehr gekräht.

Bloggen selbst wird mit dem JMStV sicher nicht einfacher. Aber ich sehe auch keinen Grund für Panik. Selbst wenn die Regelung kommt, macht sie ein Blog nicht zum unbeherrschbaren Risiko. Wenn man denn im Netz verstummen will, gibt es dafür sicher bessere Gründe als den JMStV.

Nachtrag: Interview mit news.de

Karlsruhe sagt Ja zu staatlicher Datenhehlerei

Für einen Anfangsverdacht spielt es keine Rolle, ob sich Behörden bei der Informationsbeschaffung selbst rechtswidrig verhalten haben oder ob ihr Informant strafbar handelte. So sieht es das Bundesverfassungsgericht im Fall der vom Staat angekauften Steuer-CDs aus Liechtenstein. Die Richter wiesen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung dieser Informationen ab.

Gegen die Beschwerdeführer wird wegen Einkommensteuerhinterziehung ermittelt. Das Amtsgericht ließ ihre Wohnungen durchsuchen. Den Anfangsverdacht stützte das Amtsgericht darauf, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen einen Liechtensteiner Treuhänder bekannt geworden sei, dass die Beschwerdeführer Geld in Liechtenstein angelegt haben, dessen Erträge sie möglicherweise nicht versteuert haben.

Bei der Akteneinsicht stellten die Beschwerdeführer fest, dass Ausgangspunkt des Verfahrens Informationen des Bundesnachrichtendienstes waren. Um was es genau ging, wurde ihnen nicht mitgeteilt mit der Begründung, die Unterlagen lägen noch nicht einmal der Staatsanwaltschaft selbst vor.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Rechte auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und der Rechtsschutzgarantie sowie ihres verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nach seiner Auffassung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Dies gelte auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung.

Ein Beweisverwertungsverbot sei nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht bislang nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist.

Vor diesem Hintergrund seien die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Es bedürfe keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt oder gegen völkerrechtliche Übereinkommen verstoßen haben. Denn die Gerichte hätten für ihre Bewertung, ob die Daten einem für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht nicht zugrunde gelegt werden dürfen, solche Verstöße der Beamten unterstellt, welche die Steuer-CDs angekauft haben.

Soweit die angegriffenen Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Daten aus Liechtenstein verwendet werden dürfen, um den Anfangsverdacht für die Durchsuchung zu begründen, sei dies nachvollziehbar. Die Verwendung der Daten berühre nicht den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Diese betreffen lediglich geschäftliche Kontakte der Beschwerdeführer mit Kreditinstituten.

Außerdem seien Beweismittel, die von Privaten erlangt wurden, selbst wenn diese sich dabei strafbar gemacht hätten, grundsätzlich verwertbar, so dass allein von dem Informanten begangene Straftaten bei der Beurteilung eines möglichen Verwertungsverbotes von vornherein nicht berücksichtigt werden müssen.

Das Gefühl des Überwachtwerdens

Die Polizei darf die Teilnehmer einer kleineren Versammlung nicht dauerhaft mit Kameras ins Visier nehmen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden.

Die Polizei hatte 40 bis 70 Teilnehmer einer Demonstration während ihres gesamten Verlaufs mit einer aufnahmebereiten Kamera beobachtet. Die Kamera übertrug Bilder in Echtzeit auf einen Monitor in einem voranfahrenden Kamerawagen. Bei einem unfriedlichen Verlauf sollten jederzeit Aufnahmen gefertigt werden können.

Wenngleich keine Bilder gespeichert worden waren, hatte bereits das Verwaltungsgericht als 1. Instanz einen Eingriff in die Grundrechte eines Versammlungsteilnehmers auf Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung angenommen. Dieser Eingriff sei auch nicht durch entsprechende Regelungen des Versammlungsgesetzes gedeckt gewesen sei.

Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.

Nun ist auch das Oberverwaltungsgericht der Argumentation der Polizei nicht gefolgt, einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe eine Bildübertragung nur, wenn Aufnahmen gespeichert würden. Schon die konkrete Kameraübertragung sei geeignet gewesen, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen.

Aufgrund der Dauer des Einsatzes und der geringen Teilnehmerzahl sei auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf dem Monitor möglich gewesen. Der Kameraeinsatz habe sich damit deutlich von bloßen Übersichtsaufnahmen unterschieden, die bei Großdemonstrationen zur Lenkung eines Polizeieinsatzes unter Umständen erforderlich seien. Auch die reine Beobachtung durch begleitende Beamte erzeuge nicht denselben Effekt wie Kameras, die ständig auf einen gerichtet sind.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 23. November 2010, Aktenzeichen 5 A 2288/09

M+S, das Gütesiegel ohne Profil

Vielleicht noch heute, möglicherweise morgen oder übermorgen. Sie wird aber diese Woche noch kommen: die neu gefasste, ausdrückliche Winterreifenpflicht. Der Bundesrat hat einer Änderung der Straßenverkehrsordnung zugestimmt, die jetzt noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden muss. Damit ist, so der Verkehrsminister, schnell zu rechnen.

Die Neuregelung war nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg im Juli notwendig geworden. Das Gericht hatte Bußgelder bei falscher Bereifung für verfassungswidrig erklärt; es hielt die Regelungen für zu schwammig. Der neue Paragraf soll dagegen klarstellen, dass es mit Sommerreifen bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte nicht getan ist.

Ob der neue Paragraf den Anforderungen der Gerichte genügt, wird sich zeigen.

Ein Angriffspunkt ist bei der neuen Regelung schon offensichtlich. Aus irgendeinem Grund versteift sich der Gesetzgeber darauf, M+S-Reifen zu verlangen. Zu den M+S-Reifen sollen laut der begleitenden Stellungnahme des Bundesrates aber auch Ganzjahresreifen zählen. Seltsam, denn so weit ich weiß tragen längst nicht alle Ganzjahresreifen auch tatsächlich das M+S-Symbol.

Überhaupt: M+S soll für „Matsch und Schnee“ stehen. Was das aber von einem Reifen abverlangt, ist nirgends verbindlich geregelt. Die Stiftung Warentest hat auf dem deutschen Markt reine Sommerreifen gefunden, die aber trotzdem ein M+S-Symbol haben. Die Pneus stammen von Billigherstellern. An den Karren fahren kann diesen Produzenten niemand, eben weil es keine technischen Mindeststandards für das Symbol gibt. Es kontrolliert auch niemand, ob ein Reifen zu recht als „M+S“ gelabelt ist. Wie auch, ohne Norm.

Es wird also interessant sein zu sehen, ob man wegen eines fehlenden M+S-Symbols tatsächlich ein Bußgeld zahlen muss. Immerhin ist es bei Sommerreifen in gutem Zustand sicher möglich zu argumentieren, dass der aufgezogene Reifen auch ohne M+S-Symbol bessere Fahreigenschaften hat als einer der erwähnten M+S-Reifen, die gar keine sind. Ob man es juristisch an einem Symbol festmachen kann, das letztlich nichts aussagt, bezweifle ich.

Hinzu kommt: Die Mindestprofiltiefe soll auch bei M+S-Reifen im Winter 1,6 Millimeter betragen. Der ADAC hat schon erklärt, dass Winterreifen mindestens 4 Milllimeter Profil haben müssen, um bei Winterwetter Fahrvorteile zu bieten. Wer also mit neuen Sommerreifen erwischt wird, kann auch auf deren hervorragenden Zustand hinweisen. Ob neue Sommerreifen gegenüber einem M+S-Reifen mit dem Mindestprofil dann wirklich so viel schlechter sind, ist eine berechtigte Frage. Je nach Einstellung wird ein Richter auch die passende Antwort darauf finden.

Die Probleme sind den Verantwortlichen sogar bewusst. Der Bundesverkehrsminister hat sich deshalb auch mit dem Hinweis beeilt, jetzt werde auf europäischer Ebene schnellstmöglich an einem Qualitätsstandard für das M+S-Symbol gearbeitet. Damit wird es aber vor 2012 nichts werden.

Was nichts anderes heißt, als dass erst mal munter weiter vor Gerichten über die Winterreifenpflicht gestritten wird. Ein erneutes Fiasko für den Gesetzgeber möchte ich dabei nicht ausschließen.

Städte dürfen keine „Sozialdetektive“ einsetzen

Kommunen dürfen keine „Sozialdetektive“ einsetzen, die bei Verdacht auf Leistungsmissbrauch verdeckt ermitteln. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht sieht in der geheimen Überwachung einen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen.

Die Stadt Eisenach zahlte für ein Kind den Kindergartenbeitrag. Das Eisenacher Sozialamt hatte den Verdacht, die Mutter des Kindes lebe mit einem Mann in einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft. Das Einkommen des Mannes wäre dann zu berücksichtigen gewesen. Um den möglichen Leistungsbetrug nachweisen zu können, beauftragte die Stadt einen Außendienstler mit verdeckten Ermittlungen.

Der Sozialdetektiv kontrollierte sechs Monate lang in bestimmten Abständen die Betroffenen. Er observierte die Mutter und ihren vermeintlichen Freund, um dessen Aufenthalte in der Wohnung belegen zu können. Außerdem befragte der Ermittler Nachbarn.

In erster Instanz hielt das Verwaltungsgericht Meiningen die Ermittlungen für rechtmäßig. Dem folgte das Oberverwaltungsgericht Thüringen nicht. Die Maßnahmen verletzen laut der mündlichen Urteilsbegründung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es gebe nämlich keine gesetzliche Grundlage, die derartige Methoden erlaubt. Sozialdaten dürften nur unter sehr engen Voraussetzungen ohne Mitwirkung des Betroffenen erhoben werden. Keine dieser Voraussetzungen sei erfüllt.

Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 25.11.2010, 3 KO 527/08

Ich nehme mir ein Recht

Als Googles Street View freigeschaltet wurde, habe ich mich spontan geärgert. Die Straße, in der ich wohne, sieht auf Street View so aus:


Größere Kartenansicht

Nur ein Haus ist vermummt. Die Golzheimer Straße 128 in Düsseldorf.

Da wohne ich.

Eine oder mehrere Parteien aus dem Haus haben also bei Street View widersprochen. Das war ihr Recht, welches ihnen Google unter erheblichem Druck zugestanden hat, obwohl es juristisch nicht notwendig war.

Ich will jetzt nicht das Pro und Contra Street View auswalzen, sondern auf einen anderen Aspekt hinweisen: den Verlust des demokratischen Prinzips in der Hausgemeinschaft. Wer auch immer für das Haus widersprochen hat, hielt es nicht für erforderlich, seine Mitbewohner zu fragen, was diese denn davon halten. Kein Tagesordnungspunkt auf der Eigentümerversammlung, kein Aushang am Schwarzen Brett im Treppenhaus, kein persönliches Wort. Irgendjemand knipst die Golzheimer Straße 128 in Düsseldorf aus dem Internet – und seine Nachbarn, obwohl hiervon nun selbst betroffen, wissen noch nicht mal warum.

Vielleicht hätte ja ein Gespräch gereicht, um die Bedenken des Bedenkenträgers zu zerstreuen. Mutmaßte er vielleicht, Street View sei so eine Art Webcam und jeder kann nun in sein Zimmer gucken, wenn er die Vorhänge aufzieht? Oder verschreckten ihn die diffusen, teilweise grotesken Ängste vor dem Datenmonster Google, die Ilse Aigner, Thilo Weichert und viele andere mehr zur besten Sendezeit im Fernsehen artikulieren durften?

Man hätte das ja mal besprechen können. So wie die Eigentümer ja auch darüber sprechen, ob das Treppenhaus saniert oder das Dach erneuert wird. Alles Aktionen der letzten Jahre. Bei denen saßen wir auch mit der Verwaltung an einem Tisch. Es gab durchaus Meinungsverschiedenheiten (und Abstimmungen). Aber nichts hat dazu geführt, dass man sich bei einer Begegnung im Treppenhaus nicht mehr grüßt…

Wie das heute so ist, kenne ich meine Nachbarn nicht näher. Jedoch würde ich von keinem annehmen, dass er so bräsig ist, vor dem Absenden des Widerspruchs nicht mal einen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl seine Nachbarn von der Aktion halten. Statt aber kurz Bescheid zu sagen und sich vielleicht sogar einer Diskussion zu stellen, werden vollendete Tatsachen geschaffen. Aus dem Hinterhalt. Und anonym. Das ist zwar formal nicht zu beanstanden. Aber trotzdem feige.

Das verstimmt mich nicht nur diffus, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Mir gehört nicht nur eine Wohnung in dem Haus. Es ist jetzt schon absehbar, dass die Vermietungschancen durch die Verpixelung des Objekts sinken. Weil Mietinteressenten natürlich Street View nutzen, wenn sie nach Düsseldorf ziehen wollen. Aber auch weil die vermummte Fassade jedenfalls für mich als Wohnungssuchenden ein Warnsignal wäre: Vorsicht, da leben empfindliche Gestalten; Ärger programmiert?

Vor diesem Hintergrund nehme ich mir heute auch mal ein Recht. Das auf Panoramafreiheit. Ein Recht, für das in der deutschen Geschichte gekämpft wurde. Ich zeige nun also heute, einfach mal so, weil es mir Spaß macht, mein Wohnhaus in aller Öffentlichkeit:


(Golzheimer Straße 128, 40476 Düsseldorf. Foto für private und kommerzielle Nutzung frei)

Auf Panaramio habe ich das Bild auch mal hochgeladen. Falls Bedenkenträger aus dem Haus nun hierüber aus den Löchern kriechen und mit mir diskutieren möchten, sage ich schon jetzt ganz gepflegt: F… o.. .

Gericht will keinen fliegenden Gerichtsstand

Wenn es Streit um Onlineveröffentlichungen gibt, klagen Anwälte gern am Sitz ihrer Kanzlei. Noch lieber aber bei einem Gericht, das für genehme Urteile bekannt ist. Wo auch immer der Rechtsstreit landet – der Ort des Gerichts hat mit den Parteien des Rechtsstreits oft gar nichts zu tun. Insbesondere wohnen dort weder Kläger noch Beklagter. Aber da das Internet auch dort empfangbar ist, besteht halt eine Zuständigkeit.

Das ist der fliegende Gerichtsstand. Ein Segen für Medienanwälte auf der Klägerseite, ein Fluch für die restlichen Betroffenen. Die hätten es natürlich lieber, wenn das Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig wäre. Das ist an sich kein überzogener Wunsch. Auch für fast alle anderen Konstellationen gilt: Der Prozess findet am Wohnsitz des Beklagten statt.

Auch Richter fühlen sich mit dem Schindluder, welchen der fliegende Gerichtsstand bei Streitigkeiten mit Internetbezug ermöglicht, nicht wohl; manchmal wagen sie Protest. Wie jetzt das Amtsgericht Berlin Charlottenburg. Es wies die Klage eines in NRW wohnenden Künstlers gegen den Provider 1 & 1 (Sitz: Montabaur) ab, weil es nur einen Bezugspunkt zu Berlin erkennen konnte: Der Klägeranwalt hat dort seine Kanzlei.

Die interessant begründete Entscheidung ist hier als PDF abrufbar und wird im 1 & 1 – Blog näher vorgestellt.

Die weitaus meisten höheren Gerichte stehen allerdings nach wie vor zum fliegenden Gerichtsstand. Es wäre deshalb eine Überraschung, wenn die Entscheidung das Berufungsverfahren überlebt.

Warum man Koffer nicht „vergessen“ sollte

Vor einigen Tagen war der Düsseldorfer Hauptbahnhof über Stunden blockiert. Grund war ein herrenloser Koffer, in dem Sicherheitskräfte einen Sprengsatz befürchteten. Ein Fehlalarm, der für den Besitzer des Koffers aber dennoch gravierende Folgen haben soll, wie die Bundespolizei verkündet:

Nun drohen dem Mann auf Grund der Zugverspätungen und dem notwendigen Polizeieinsatz zivilrechtliche Folgen. Die Kosten werden sich nach jetziger Einschätzung im fünfstelligen Bereich bewegen.

Der Vorfall zeigt, wie riskant momentan bloße Schusseligkeit im öffentlichen Raum sein kann. Wer kann schon für sich ausschließen, dass er, gestresst und das Mobiltelefon am Ohr, viellleicht tatsächlich mal ein Gepäckstück am Bahnsteig, Gate, im Zug oder Flugzeug liegen lässt?

Überdies weiß ich, dass Leute über Flashmobs nachdenken, mit denen gegen die Terrorhysterie protestiert werden soll. Ein Szenario ist, dass etliche Personen gleichzeitig Taschen und Koffer im öffentlichen Raum hinterlassen. Ich persönlich teile die Auffassung nicht, dass man bei so offensichtlichen Protestformen damit rechnen kann, die Sicherheitskräfte würden das begreifen und entsprechend unhysterisch reagieren. Ich glaube eher, mit dem Gegenteil ist zu rechnen.

Sowohl der Schussel wie du und ich als auch die Flashmob-Verfechter sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass eine exorbitant hohe Rechnung für den Polizeieinsatz ins Haus flattern kann, die sie auch bezahlen müssen. Das ist simples Polizei- und Ordnungsrecht, wie es in jedem Bundelsand gilt. Wer als „Störer“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft, kann für die Kosten der Beseitigung zur Kasse gebeten werden. Das Vertrackte: Der „Störer“ ist nicht nur dran, wenn er vorsätzlich handelt. Es genügt auf jeden Fall auch Fahrlässigkeit.

Natürlich ist ein Gepäckstück ohne Bombe nicht gefährlich. Dem Juristen ist das aber egal, denn er kennt nicht nur die Gefahr, sondern auch die „Anscheinsgefahr“. Wenn es aussieht, als wäre die Situation gefährlich, darf die Polizei volles Programm fahren. Falls sich später rausstellt, in dem Koffer war nur Wäsche, macht das den Einsatz nicht rechtswidrig. Jedenfalls so lange nicht, wie die Lagebewertung und das Vorgehen nicht offensichtlich unvertretbar oder heillos überzogen waren. Ausgerechnet ein Verwaltungsgericht, das letztlich über die Rechnung der Polizei befinden muss, von der völligen Maßlosigkeit eines Einsatzes zu überzeugen, halte ich für ausgeschlossen.

Wer sich also nicht finanziell ruinieren will, hat derzeit guten Grund, auf sein Gepäck aufzupassen. Und, wie ich meine, auch ein bislang wenig beachtetes Argument mehr, die Finger von dieser im Netz kursierenden Flashmob-Idee zu lassen.

Erst das Pferd, dann der Mensch

Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern
(Sicherheits- und Ordnungsgesetz – SOG M-V) enthält eine interessante Formulierung:

Gegenüber einer Menschenmenge ist vor Anwendung unmittelbaren Zwangs möglichst so rechtzeitig zu warnen, dass sich Unbeteiligte noch entfernen können. Vor Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen in einer Menschenmenge ist stets zu warnen; die Warnung ist vor dem Gebrauch zu wiederholen. Bei Gebrauch von technischen Sperren und Einsatz von Dienstpferden kann von der Warnung abgesehen werden.

Nachtrag und Korrektur: Bei Schusswaffengebrauch muss immer mindestens zwei Mal gewarnt werden. Der letzte Satz hat mit dem Schusswaffengebrauch gar nichts zu tun. Er regelt nur, dass die Polizei nicht warnen muss, wenn sie Sperren errichtet oder Dienstpferde einsetzt.

Trotzdem eine reichlich missverständliche Formulierung. Hoffentlich sind Einsatzleiter nicht so dumm wie ich…

(Quelle)