NRW: Eigenbedarf auch bei harten Drogen

NRW setzt im Kampf gegen illegale Drogen künftig verstärkt auf Prävention und erlaubt künftig in höheren Mengen den straffreien Besitz von Haschisch oder Marihuana.

Noch in diesem Jahr will die neue Landesregierung nach Informationen der WAZ-Mediengruppe (Mittwochausgabe) die sogenannte Eigenbedarfsgrenze für „weiche“ Drogen von sechs auf zehn Gramm erhöhen. Bei Heroin, Kokain und Amphetaminen sollen wieder 0,5 Gramm zum Eigenverbrauch erlaubt sein. Derzeit gilt bei „hartem“ Stoff noch die Null-Grenze.

Mit den Korrekturen lockert der neue Landesjustizminister Thomas Kutschaty (SPD) die unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung verschärfte Gangart. „Das war ein Fehler“, sagte er der WAZ. In der Praxis hätte die 2007 herabgesetzten Eigenverbrauchs-Grenzen bewirkt, „dass auch Gelegenheitskonsumenten völlig unnötigerweise kriminalisiert werden – also Menschen, die weder drogenabhängig noch in kriminelle Strukturen verstrickt sind“.

Besonders bei jungen Leuten, die aus Neugier eine Droge ausprobieren, sei Strafverfolgung nicht das richtige Mittel. Schwerabhängige ließen sich durch Eigenbedarfsgrenzen nicht von ihrer Sucht abhalten, sagte Kutschaty. Sie brauchten „in erster Linie wirksame Hilfe und Therapie“. Die Staatsanwaltschaften würden durch die geplante Neuregelung entlastet.

Von unserer Seite nicht

Aus einem Anwaltsschriftsatz ans Gericht:

… bitten wir höflichst, den Verhandlungstermin vom 24. September 2010 zu verschieben.

An diesem Tag findet der jährliche Betriebsausflug unserer Kanzlei statt, so dass der Termin von unserer Seite aus nicht wahrgenommen werden kann.

Die freundliche Richterin hat dem Antrag entsprochen. Damit wären wir wohl um einen „erheblichen Grund“ im Sinne der Zivilprozessordnung reicher. Betriebsausflug ist jedenfalls noch in keinem der juristischen Kommentare erwähnt, in denen ich gerade nachgeschlagen habe.

Alles im Blick

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir freuen uns, Sie mit Ihrem Unternehmen als Nachbarn begrüßen zu können.

Leider müssen wir uns direkt mit einem Anliegen an Sie wenden.

Es geht um die Kameraüberwachung, die Sie an Ihrem Gebäude installiert haben. Eine der an der Hausfront angebrachten Kameras überwacht den öffentlichen Raum. Sie ist direkt auf den Fußweg und die dahinter liegende Kreuzung Kennedydamm gerichtet. Im direkten Bereich der Kamera verlaufen sämtliche Fußwege (Fußgängerampeln), die von der U-Bahn-Haltestelle Kennedydamm zu unserem Büro führen. Dies gilt für beide Fahrtrichtungen.

Jeder unserer Mandanten, der mit der U-Bahn oder aus Richtung Rheinufer zu uns kommt, muss sich von Ihrer Kamera aufnehmen lassen. Das ist für uns als Anwälte, die wir in besonderem Maße zu Vertraulichkeit, Verschwiegenheit und Fürsorge verpflichtet sind, so nicht akzeptabel. Aber auch für uns persönlich und auch unsere Mitarbeiter ist es nicht angenehm, bei jedem Weg zur U-Bahn von Ihrer Kamera erfasst zu werden.

Wieso Sie die gesamten Fußwege, möglicherweise sogar die ganze Kreuzung überwachen müssen, ist auch sachlich nicht nachvollziehbar.

Im übrigen fehlt jeder Hinweis auf die Videoüberwachung.

Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen ist eindeutig. Private Überwachung öffentlicher Räume setzt ein außergewöhnlich dringliches Interess voraus, welches in Ihrem Fall nicht gegeben ist. Es würde, wenn Sie es denn für erforderlich halten, genügen, Ihren Eingang unter Aussschluss des Fußweges mit einer Kamera zu erfassen.

Die rechtliche Situation hat die Landesdatenschutzbeauftragte übrigens hier umfassend dargestellt:

Wir bitten Sie, Ihre Videoüberwachung bis spätestens 23. August 2010 rechtmäßig auszugestalten. Sofern sie im zulässigen Rahmen fortgesetzt wird, gehört hierzu auch ein deutlich erkennbarer Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen

Udo Vetter, RA und Fachanwalt für Strafrecht

Nachtrag: Die Firma sagt mir, es würde Techniker kommen, welche die Anlage so einstellen, dass die Kreuzung und der Fußweg nicht (mehr) erfasst werden.

Allparteilich

Wenn man vom Oberlandesgericht Düsseldorf Nachricht über eine vom Gegner eingelegte Berufung erhält, ist jetzt immer ein Prospekt beigelegt. Da er nicht aus justiztypischem Umweltpapier ist, dachte ich zuerst an einen Gutschein für Kontaktlinsenreiniger oder ein 10-tägiges Abo bei Lovefilm. Aber es wird quasi Werbung in eigener Sache gemacht – für die Richterliche Mediaton („Ein Angebot zur alternativen Streitschlichtung“).

Das ist bestimmt gut und wichtig, und ich habe sogar was gelernt. Laut Flyer – man beachte die schwebende Typographie und fluffige Wortwahl, die mir ein wenig bei Scientology oder einer Eltern-Kind-Gruppe vom Prenzlauer Berg abgeguckt zu sein scheinen – haben wir es mit folgendem zu tun:

Nachdem dieser eine Satz auf mich gewirkt hatte, musste ich mir eine Träne aus jedem Augenwinkel wischen. Wobei natürlich auch Zukunftsangst eine Rolle spielte. Macht so was uns Anwälte nicht, nun ja, noch überflüssiger als wir ohnehin schon sind?

Ich erkannte außerdem sogleich, dass ein gewisser Teil der Senatsvorsitzenden – nur die hört man in Verhandlungen ja normalerweise reden – für den Job als Mediator eher ungeeignet erschienen sein dürften. Diese haben zwar eine besondere Gesprächsführung, aber die passt doch eher ins Asylum (Minderheit) oder auf den Kasernenhof (Mehrheit).

So steht zu vermuten, dass sich die laut Flyer „erfahrenen Richterinnen und Richter, die speziell in Konfliktbearbeitung und Vermittlungstechniken geschult sind“, eher aus der zweiten Reihe rekrutieren. Dort sind Sanftmut und Einfühlungsvermögen, auf die es bei der Mediation ja sicher maßgeblich ankommt, wohl auch eher (noch) zu finden.

Andererseits stellt der Job schon mächtige Anforderungen. Immerhin ist der Mediator laut Eigenwerbung nicht nur neutral, sondern sogar allparteilich. Was für ein Wort, wo doch selbst dem Bundespräsidenten nur schnöde Überparteilichkeit gelingt. Aber es lohnt sich halt nachzuschlagen. Um festzustellen, dass der eigene Horizont doch sehr beschränkt ist, wie ein Blick in die Wikipedia zeigt:

Der Mediator leitet die Mediation allparteilich bzw. allparteiisch, das heißt, er steht auf der Seite jedes Beteiligten. Diese Haltung geht deutlich über eine einfache Neutralität hinaus; die inhaltliche Neutralität des Mediators erstreckt sich nicht auf seine Stellung gegenüber den Konfliktparteien. So gleicht er beispielsweise ein Machtgefälle zwischen den Parteien aus, indem er vorübergehend als Sprachrohr der kommunikationsschwächeren Partei agiert.

Wie gesagt, wieder was gelernt.

Streitwert

Gerichtsbeschluss von heute:

Der Streitwert wird auf 15,00 EUR festgesetzt.

Das war damit der kleinste Rechtsstreit, den ich jemals geführt habe. Aber immerhin hält sich das Risiko bei einem Anwaltsfehler in Grenzen.

Flattr – das Ergebnis für Juli

Ich mache es kurz: Im Juli hat diese Seite via Flattr 265,78 Euro generiert. Im Vormonat Juni, dem ersten kompletten, waren es 247,68 Euro. Danke an alle, die law blog geflattrt haben.

Für alle, die sich für die Detailstatistik interessieren, habe ich die Abrechnung für Mai – Juli kopiert. Nach dem Klick: Weiterlesen

Keine Menschen zweiter Klasse

Menschen zweiter Klasse gibt es nicht. Darf es nicht geben. Auch wenn manche es gerne anders hätten – vor allem, wenn es um verurteilte Straftäter geht. Solche Leute sitzen auch in verantwortlicher Stelle. In Strafvollstreckungskammern an den Landgerichten. Aber auch weiter oben, in den Senaten der Oberlandesgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hatte, wie so oft in der Vergangenheit, mal wieder Gelegenheit, diesen Juristen die Bedeutung der Menschenwürde im Rechtsstaat vor Augen zu führen. Die Ansage lautet so:

Die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt, verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen.

Die Richter mussten sich mit der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen beschäftigen, der mehrmals längere Zeit in Transporträumen untergebracht war, die voll mit menschenverachtenden, teilweise sogar strafbaren Schmierereien waren; die Wände waren kotverschmiert und mit Urin vollgesogen.

Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich klar, Häftlinge müssten sich, so wörtlich, weder „physischem noch verbalem Kot“ aussetzen lassen. Ob die Situation, was naheliegt, von anderen Häftlingen verursacht sein, spiele keine Rolle. Natürlich sei im Strafvollzug kein perfekter Schutz vor Widerwärtigkeiten zu erreichen. Die Justiz müsse jedoch alle ihr zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um solche Zustände zu verhindern.

Im vorliegenden Fall hatte das Verfassungsgericht offenbar wenig Zweifel, dass sich der desaströse Zustand der Transporträume aus einer langjährigen Untätigkeit der Behörden ergab.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Juli 2010, 2 BvR 1023/08

Kachelmanns Richter und sein Interview

Dem Vorsitzenden Richter im Fall Kachelmann sind Fragen gestellt worden. Zu Recht. Er soll den Vater des mutmaßlichen Opfers kennen. Fest steht wohl, dass beide Personen Funktionen in Sportvereinen der Region haben, zwischen denen es dokumentierte Berührungspunkte gab. Es soll der Vater des mutmaßlichen Opfers gewesen sein, der seiner Tochter riet, zur Polizei zu gehen.

Gegenüber der Basler Zeitung wollte sich der Vater übrigens nicht äußern. Als er am Telefon gefragt wurde, ob er den Richter kennt, legte er auf.

Nicht so der Vorsitzende Richter Michael Seidling, der über Kachelmann urteilen soll. Ihm sind ebenfalls Fragen gestellt worden. Hierauf antwortete er. Wenn man der Basler Zeitung glauben darf, sagte Michael Seidling auf Nachfrage:

Ich kenne weder den Vater noch das Opfer. Es gibt keine Nähe zwischen uns.

Lassen wir mal die Frage nach der Bekanntschaft offen. Ob und was da gelaufen ist, wird sicher noch geklärt. Schauen wir uns nur die Äußerung des Richters als solche an. Zunächst ist zu fragen, wieso sich ein Vorsitzender Richter gegenüber der Presse für etwas rechtfertigt, was offenbar noch gar nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Kachelmann hat (noch) keinen Befangenheitsantrag gestellt.

Vorauseilende Rechtfertigung gegenüber der Presse ist einem Richter nicht verboten. Ein gutes Bild liefert der Vorsitzende damit aber nicht. Denn er zeigt Dünnhäutigkeit und tut das, woran gerade einem Gericht nicht gelegen sein kann und was zum Beispiel Verteidigern gern, gerade von Richtern, vorgeworfen wird – die Presse zu instrumentalisieren.

Etwas anderes ist aber noch viel mehr zu beanstanden als die Äußerung selbst. Michael Seidling spricht vom „Opfer“. Ob und inwieweit diese Formulierung zutrifft, ist jedoch erst im Verfahren zu klären, das der Jurist leiten soll. Die auch in Mannheim geltende Unschuldsvermutung für den Angeklagten gebietet nicht nur Zurückhaltung gegenüber der Presse, sondern auch Fairness bei eventuellen Äußerungen.

So heißt es in Ziffer 23 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren:

Diese Unterrichtung (der Presse) darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden.

Diese Richtlinien gelten direkt nur für Staatsanwälte. Richter sind, da unabhängig, hieran zwar nicht unmittelbar gebunden. Trotzdem sind die Richtlinien ein Maßstab, an dem auch Richter ihr Verhalten messen lassen müssen.

Das bedeutet also auch für Herrn Seidling: Es steht ihm nicht zu, die Rollen vorher fest zu verteilen. Und Wertungen hat er zu unterlassen, zumal vor Beginn der Hauptverhandlung. Von einem Opfer zu sprechen, setzt aber einen Täter voraus. Natürlich kann man sagen, dass der ständige Präfix „mutmaßlich“ umständlich und ermüdend ist. Das Weglassen kann aber verräterisch sein, wenn hier der zuständige Richter spricht. Zumindest kann es einen verhängnisvollen Eindruck erwecken.

Von einem „Opfer“ zu sprechen, obwohl die mutmaßliche Tat erst aufgeklärt werden muss, ist demnach ein starkes Stück. Vor allem wenn so eine Formulierung aus dem Mund desjenigen kommt, von dem am allerersten verlangt werden muss, sich der Sache unbefangen und vor allem ergebnisoffen anzunehmen. Der Umstand, dass die Äußerung im Rahmen einer momentan unnötigen Selbstrechtfertigung erfolgt, macht alles nicht besser.

Könnte Richter Michael Seidling sich schon durch diese Äußerung als für das Verfahren nicht mehr tragbar erwiesen haben? Es ist hierfür nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Vielmehr genügt die „Besorgnis“ der Befangenheit, damit ein Richter auf Antrag des Angeklagten abgelöst werden muss. Diese Besorgnis ist gegeben, wenn das Verhalten des Richters einem verständigen Angeklagten den Eindruck vermitteln kann, dass sich der Richter von sachfremden Interessen leiten lässt oder voreingenommen ist.

Wenn man das abwägt, könnte es für Michael Seidling eng werden. Sehr eng.

Soforthilfe für Loveparade-Opfer

Die Stadt Duisburg hüllt sich seit Tagen in Schweigen, was die Verantwortlichkeit für das Loveparade-Desaster angeht. Der amtierende Oberbürgermeister Sauerland klebt an seinem Sessel und windet sich auf unsäglich Weise (Interview von heute). Lediglich zur geplanten Trauerfeier ist etwas von zu hören. Aber kein Wort dazu, ob und wie man den Opfern zu helfen gedenkt – und wann damit zu rechnen ist.

Positiver in dieser Hinsicht verhält sich Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller. Er hat eine Soforthilfe von einer Million Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld stammt aus seinem Privatvermögen und von der Axa, bei der die Loveparade versichert war.

Die Gelder sollen unbürokratisch ausgezahlt werden.

Pressemitteilung der Axa mit Hinweisen, wie die Soforthilfe angefordert werden kann: Weiterlesen

Rechtsberatung on air

Vorhin habe ich einer Sendergruppe aus den neuen Bundesländern eine Einschätzung zum Fall Kachelmann gegeben. In letzter Zeit ruft die Redaktion öfters an. Was mich freut. Vor dem Interview, beim Einpegeln der Stimme, sagte der Redakteur:

Nicht dass Sie uns bald mal eine saftige Sammelrechnung schicken.

Ein Scherz? Na ja, ein halber. Der Journalist erzählte, dass er vor längerer Zeit mal einen Anwalt in München um ein Interview gebeten hat. Der Jurist gab sein Statement bereitwillig ab. Es wurde auch gesendet.

Vier Wochen später flatterte die Rechnung auf den Tisch. Ein paar hundert Euro wollte der Anwalt – für „juristische Beratung“. Vielleicht war es ihm egal, aber auf der Liste potenzieller Gesprächspartner und „Experten“, die jede Redaktion führt, hat er sich wohl nicht gehalten.

Kachelmann ist ein freier Mann

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Das Gericht sieht bereits keinen dringenden Tatverdacht. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass der Angeklagte die Tat bestreitet und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin zur Verfügung stehe. Damit liege die Fallkonstellation „Aussage gegen Aussage“ vor. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht.

Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.

Kachelmann war am 20. März verhaftet worden. Er saß somit über vier Monate in Untersuchungshaft.

(Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010, 3 Ws 225/10)

Nachtrag: Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim

Krieg den Topfdeckeln

Das Verwaltungsgericht Berlin hat der dortigen Polizei gerade erst den Spaß verdorben. Friedliche Demonstrationen, so das Urteil, dürfen nicht per Video überwacht werden. Jetzt stellt sich die Frage, wie man die ganzen Filmtrupps künftig sinnvoll beschäftigt. Macht ein Gericht sich hierüber eigentlich keine Gedanken?

Demnach überrascht es nicht, dass der Berliner Innensenator angesäuert reagiert. Er teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht, lässt er verbreiten. Man kann die hängenden Mundwinkel förmlich vor sich sehen. Wenn das Urteil Bestand hat und sich seine Rechtsauffassung somit als falsch erweist, will der Senator das – natürlich – auch nicht akzeptieren. Er wird dann nicht seine Rechtsauffassung ändern, sondern das Gesetz. So lässt sich weiter „Gefahrenabwehr“ gegenüber friedlichen Demonstranten betreiben, die nichts weiter machen als ihr Grundrecht auszuüben. Und zwar mindestens so lange, bis ihn ein Verfassungsgericht bremst. Also noch Jahre.

In diesem Kontext flashte dann heute nachmittag eine Meldung durch meinen Reader. Ich habe nicht auf die Quelle geschaut, dachte aber, die Titanic oder ein Satireblog bastelt sich ein schales Follow up aus der Berliner Geschichte. Die Hannoveraner Polizei, so war zu lesen, möchte Demonstranten Trillerpfeifen, Trommeln und Megafone verbieten. Weil die Polizisten auf Demos den Lärm nicht vertragen. Das Wort Arbeitsschutz wurde im Text hervorgehoben. Ich habe achtlos weiter geklickt.

Kleines Problem, insbesondere für Menschen, die von Satire leben und deren Geschichten vom wahren Leben qualitativ immer wieder überholt werden – die Meldung stimmt. Jedenfalls steht sie in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung und wird überdies von ddp verbreitet. Die Polizei in Hannover möchte demnach für eine Demo am 7. August tatsächlich Auflagen erlassen, weil sie „ohrenbetäubenden Lärm“ erwartet.

Bei einem ähnlichen Protestzug, so lautet die Klage, hätten Teilnehmer „mit Trommeln, Trillerpfeifen und Topfdeckeln“ Krach gemacht. Man stelle sich das mal vor! Anlass dieses bösen Tuns war auch noch ein umstrittenes Adventskonzert, bei dem eine Kapelle der Bundeswehr vermutlich ebenfalls Geräusche emittierte. Ein Verbot von Bundeswehrkapellen wird aber wohl aktuell dennoch nicht diskutiert.

Dieser Schritt war natürlich längst überfällig. Immerhin ist seit Jahren bekannt, dass immer wieder Polizeibeamte dienstunfähig werden, weil sie bei Demonstrationen Lärm ertragen müssen. Laut Studien, von denen dummerweise noch keine einzige online Erwähnung gefunden hat, ist Demonstrationslärm viiiiiiiiiiiel gefährlicher als der Krach an belebten Kreuzungen, auf Großbaustellen und am Flughafen, bei Einsätzen in Fußballstadien und wenn Marius Müller Westernhagen die AWD-Arena rockt.

Praktischerweise schließt sich hier auch der Kreis. Die künftig unbeschäftigten Videotrupps werden umgeschult und ins SEK Phono überführt. Der Aufwand dürfte sich in Grenzen halten. Ein paar Säckchen zum hygienischen Konfiszieren der Lärmwaffen sind überdies schnell angeschafft.

Man wundert sich angesichts dessen geradezu, dass bislang noch nicht einmal die Polizeigewerkschaften dieses brandheiße Thema aufgegriffen haben. Diese Organisationen sind doch normalerweise an vorderster Front, wenn es darum geht, alle jene ihrer Schäflein nachträglich zu schützen, welche als junge Menschen die Stellenausschreibung nicht richtig lasen und dachten, die Entscheidung für den Polizeiberuf ist eine Garantie auf lebenslanges Sesselpupsen hinter dem Schreibtisch in einem überdimensionierten Verkehrskommissariat.

Insgesamt also ein wichtiger, richtiger und vor allem überfälliger Schritt. Immerhin steht ja nirgends geschrieben, dass Demonstrationsfreiheit auch das Recht beinhaltet, laut und unbequem zu sein, damit die Öffentlichkeit auch auf das Anliegen der Demonstranten aufmerksam wird. Oder will ernsthaft jemand ernsthaft behaupten, Krach könne ein legitimes Mittel des demokratischen Diskurses sein?

Na ja, eigentlich steht das schon geschrieben. In Gerichtsurteilen und juristischen Kommentaren zum Thema. Vielleicht sollte man es den Verantwortlichen mit dem Megafon vorlesen. Aber dann bitte schnell, so lange es noch geht. Draußen darf es dabei aber auch nicht zu heiß oder zu kalt sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Feinstaubbelastung nicht über dem langjährigen Durchschnitt des Ostallgäus liegt. In solchen Fällen, so ist zu hören, sollten Demonstrationen nämlich aus Gründen des Schutzes vor Arbeit ebenfalls komplett verboten werden.

Ein zu diesen Fragen bereits in Auftrag gegebenes Gutachten soll sogar früher vorliegen als geplant. Der Autor, ein gewisser Prof. Schreckenberger, hat kurzfristig Kapazitäten frei.