Der Anwalt des wegen des Doppelmordes von Bodenfelde verhafteten 26-Jährigen hat der Nachrichtenagentur dpa gesagt, der Verdächtige werde die Tat wohl am Freitag gestehen – um sein Gewissen zu erleichtern. Das ist natürlich ein sehr menschliches und damit verständliches Motiv. Ich hoffe allerdings, der Verteidiger hat dem Beschuldigten trotzdem von einem schnellen Geständnis abgeraten und richtet sich jetzt nur nach dem unabänderlichen Willen seines Mandanten. Denn aus Sicht eines Beschuldigten ist ein sofortiges Geständnis nur selten sinnvoll. Dieser Fall gehört mit Sicherheit nicht dazu.
Was bringt es meinem Mandanten? Diese Frage stelle ich, wenn Polizeibeamte auf ein schnelles Geständnis drängen. Meist sorgt das für verblüffte Gesichter. „Auch noch Ansprüche stellen?“ erwiderte mal ein Kommissar. Ich sagte ihm, dass wir keine Ansprüche stellen, sondern Rechte wahrnehmen. Ein Recht ist dazu da, Vorteile zu wahren oder zu verschaffen. Die Frage nach dem Nutzen des schnellen Geständnisses ist sicher unbequem und wird mitunter sogar als anmaßend empfunden, aber sie ist aus Sicht des Beschuldigten legitim. Ein Verhör, womöglich noch verbunden mit einer Festnahme und der Aussicht auf Untersuchungshaft, ist nämlich nun wirklich eine der letzten Situationen, in denen man übertrieben selbstlos sein sollte.
Leider hält sich die Zahl der reizvollen Antworten auf die Frage sehr in Grenzen. „Arbeitsersparnis für die Polizei“, wurde mir mal gesagt. Hat mich nicht überzeugt. „Das Gericht wird das später positiv würdigen.“ Klingt schon besser, hat aber einen Haken. Die Strafmilderung, weil ein Angeklagter die Karten sofort auf den Tisch gelegt hat, fällt meist karg aus. Manchmal findet sie auch nur in Form eines Lippenbekenntnisses statt. Denn bei der Gerichtsverhandlung liegt das Geständnis meist schon lange zurück. Seine Wirkung ist verpufft, es ist nicht mehr als ein vielleicht schon angegilbtes Protokoll. Eine Verfahrenstatsache, neben so vielen anderen.
Richtig wirksam ist ein Geständnis in der Regel nur dann, wenn es auch jemand anderem nützt. Nämlich dem Gericht. Hier und nirgends anders zieht das Argument der Arbeitsersparnis. Durch ein Geständnis des Angeklagten kann das Gericht schneller urteilen, denn die Beweisaufnahme entfällt ganz oder zumindest teilweise. So eine Beweisaufnahme kann lang sein. Und quälend. Zermürbende Verfahren zu verhindern, ist ja auch der Hintergedanke des Deals, der nun sogar ins Gesetz geschrieben wurde. Die „Verständigung“ erlaubt Strafrabatte aus dem schnöden Gesichtspunkt der Prozessökonomie. Sie ist aus den Gerichtssälen nicht mehr wegzudenken und wahrscheinlich eine der Gründe, warum die Strafjustiz noch nicht vollends kollabiert ist.
Den vom Beschuldigten erstrebten Rabatt können weder die Polizei noch ein Staatsanwalt gewähren. Dazu fehlt ihnen schlicht die Kompetenz. Wenn sie in einer Vernehmung dem Beschuldigten etwas anderes erzählen und konkrete Rechtsfolgen, etwa Bewährung, verbindlich zusagen, dann sagen sie nicht die Wahrheit. Um so böser dann das Erwachen des Betroffenen, wenn das Gericht später von einem zugesagten Bonus nichts weiß, nichts wissen will und sich auch niemand daran erinnern kann, dass so was überhaupt Thema war. „Wenn es nicht im Protokoll steht, haben wir das auch nicht gesagt…“
Es gibt eigentlich nur eine Situation, die für ein schnelles Geständnis sprechen kann. Das ist drohende Untersuchungshaft. Hier reden wir dann aber schon über schwerere Delikte. Die Aussicht, erst mal in den Knast zu gehen, ist für viele Beschuldigte so erschreckend, dass sie lieber dem Haftrichter, dem sie spätestens am Tag nach ihrer Festnahme vorgeführt werden müssen, den Tatvorwurf beichten. Im Gegenzug ergeht halt kein Haftbefehl. Oder er wird zumindest außer Vollzug gesetzt, so dass der Beschuldigte wieder nach Hause kann.
Das Ganze ist also eine Art zeitlich vorgezogener Deal. Auf dem Geständnis vor dem Haftrichter hängt man später fest, deshalb muss man sich auch das gut überlegen. Vielleicht wäre die Tat ohne das Geständnis später doch nicht oder nur in milderer Gestalt zu beweisen. Das hätte vielleicht Bewährung ermöglicht – wenn da nicht die eigene Aussage wäre. So wie sie damals die schnelle Freiheit brachte, bringt sie später den knallharten Vollzug. Nicht umsonst heißt es „Untersuchungshaft schafft Rechtskraft“.
Bei der Polizei lohnt sich ein Geständnis also praktisch nie. Zumal zu diesem frühen Zeitpunkt meist keine Akteneinsicht gewährt worden ist. Weder der Beschuldigte noch der (hoffentlich vorhandene) Verteidiger wissen also, welche Beweise die Ermittler tatsächlich haben. Ich habe schon genug Akten auf den Tisch bekommen, die außer dem sofortigen Geständnis kein anderes brauchbares Beweismittel enthielten. Dem damals noch auf sich allein gestellten Mandanten wurde dagegen erzählt, die Sache sei doch klar, es gebe genug Zeugen und Spuren. Sätze wie „Leugnen ist zwecklos“, „Machen Sie es nicht schlimmer, als es ist“ und „Sie wollen uns wohl für dumm verkaufen?“ sind durchaus etwas mehr als Versatzstücke aus deutschen Fernsehkrimis.
Ist eine Einstellung des Verfahrens möglich oder möchte man vielleicht mit einem Strafbefehl die öffentliche Verhandlung vermeiden, kann später der Staatsanwalt die richtige Adresse für ein Geständnis sein. Da befindet man sich aber schon in ruhigerem Fahrwasser. Insbesondere hat der Verteidiger dann regelmäßig schon Akteneinsicht erhalten, so dass beide Seiten über die gleichen Informationen verfügen. Ab diesem Punkt kann der Beschuldigte, abgesehen vom Sonderfall der drohenden U-Haft, einen Nutzen für sich erwarten. Ebenso natürlich der Staatsanwalt. Der erspart sich durch den „kleinen Deal“ weitere Ermittlungen und das Brüten über einer Anklageschrift.
Betrachtet man das Geständnis also nicht als Bürgerpflicht gegenüber der Polizei, gibt es dafür gute und schlechte Zeitpunkte. Es ist ganz alleine Sache des Beschuldigten, für welchen Zeitpunkt er sich entscheidet.
Wenn man nun den eingangs erwähnten Doppelmord betrachtet, dürfte das publikumswirksam (wieso eigentlich?) angekündigte Geständnis dem Beschuldigten außer dem Gefühl, sich die Last von der Seele geredet zu haben, extrem wenig bringen. Dass er wegen rührender Ehrlichkeit von der Untersuchungshaft verschont wird, darf der Verdächtige angesichts des Mordvorwurfs und der ihm schon mal per polizeilicher Blitzdiagnose angedichteten Neigung zum Serienkiller ja wohl kaum erwarten.
Aber man kann aus seinem Verhalten lernen. Für den Fall, dass man selbst mal Beschuldigter ist und sich dennoch zu fragen traut: Was bringt es mir?