Gerichte fahren mitunter eine Arbeitsvermeidungsstrategie. Für diesen Erfolg wird auch gern mal das Prozessrecht entsprechend der eigenen Interessenlage strapaziert. Die Grenze des Erträglichen hat dabei das Oberlandesgericht Braunschweig überschritten. Dafür müssen sich die Richter vom Bundesgerichtshof mit deutlichen Worten rüffeln lassen.
Ein Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte das Rechtsmittel eines Anwalts für eine Firma als unzulässig verworfen, weil der Jurist in der Ich-Form geschrieben hatte. Anlass hierfür war der Umstand, dass der Anwalt selbst ebenfalls an dem Verfahren beteiligt war; er hatte aus formalen Gründen Kosten aufgebrummt erhalten. Aus der Formulierung „lege ich Einspruch ein“ lasen die Richter, der Anwalt wolle nur für sich das Rechtsmittel erheben, nicht aber für die von ihm vertretene Firma.
Dazu der Bundesgerichtshof:
Die Auslegung von Prozesshandlungen … orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht, wobei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn der Wortwahl einer Partei festzuhalten ist.
Dem trage das Gericht nicht nur keine Rechnung, sondern es unterstelle dem Anwalt sogar Fehler, die bei vernünftiger Betrachtung gar nicht vorlägen.
Die Braunschweiger Juristen hatten sich nämlich nicht nur an der Ich-Form hochgezogen, sondern mussten dem Anwalt auch noch unterstellen, er habe das Rechtsmittel, das er angeblich nur für sich einlegen wollte, sogar falsch bezeichnet. Der Einspruch passte nämlich nur für die Firma; der Anwalt selbst hätte Beschwerde einlegen müssen.
Dazu der Bundesgerichtshof:
Das in diesem Zusammenhang geäußerte Argument des Berufungsge-
richts, auch Rechtsanwälten könnten bei der Formulierung von Rechtsmit-
teln/Rechtsbehelfen Fehler unterlaufen, macht die Ausnahme zur Regel.
Da Anwälte (manchmal) auch was richtig machen, muss der Fall neu verhandelt werden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Oktober 2010 – VI ZR 257/08