Nichts sagen, gehen

Die Sendung „Tatort Internet“, von Bild inzwischen zur Doku des Jahres geadelt, hinterlässt auch im wirklichen Leben Spuren. Möglicherweise ist gestern der erste „Täter“, der vor laufender Kamera gestellt wurde, geoutet worden. Jedenfalls kursieren Name und Adresse einer realen Person nun im Internet.

Dazu netzpolitik.org:

Gestern, noch während, bzw. kurz nach der Ausstrahlung der zweiten Folge der 10-teiligen Reihe ist es dann passiert. Bei Twitter und in einschlägigen Foren wurden erste Hinweise auf die Identität eines der Beschuldigten gepostet. Bis zum Klarnamen inkl. Postanschrift waren es zu diesem Zeitpunkt nur noch zwei Mausklicks. Inzwischen liefert der passende Suchbegriff das entsprechende Topergebnis bei Google.

Ein kurzer Abgleich mit dem “Täterprofil” bei Bild-Online, wo sich die bereits die Sendungsbeschreibung liest, als sei die Phantasie mit dem Autor durchgegangen, macht das Bild für Hobbyermittler stimmig: Das muss das Schwein sein!

Es handelt sich bei den Betroffenen um Personen, denen keine Straftat nachzuweisen sein dürfte (auch wenn die Macher der Sendung das gern ändern würden). Wie letzte Woche zu lesen war, hat die Polizei bisher in keinem der Fälle einen Anfangsverdacht gesehen und Ermittlungen dementsprechend abgelehnt.

Selbst wenn das Verhalten der gezeigten Männer strafbar wäre, dürften sie nicht geoutet werden, auch nicht durch recht detaillierte Schilderungen ihrer Lebensumstände in den Begleitmaterialien und Pressemitteilungen. Auch für diese Betroffenen gilt die Unschuldsvermutung und sie haben einen Anspruch darauf, nicht öffentlich bloßgestellt zu werden. Nicht mal am Rande einer Gerichtsverhandlung wäre dies zulässig.

Nicht auszudenken, wenn sich die nach jeder Sendung offenbar emsigen Internetdetektive irren. Ein paar falsch zusammengesetzte Informationsbruchstücke, falsche Rückschlüsse – schon ist möglicherweise das Leben eines komplett Unbeteiligten zerstört. Die amerikanische Sendung, an die sich „Tatort Internet“ anlehnt, führte zu mindestens einem Selbstmord.

Bleibt fast nur die Hoffnung, dass die Sendung gescriptet ist, die Bösewichte in Wirklichkeit freiwillig mitspielen und sich ihre Auftritte (zumindest nachträglich) bezahlen lassen. Manche Szenen sprechen fast dafür. Denn es ist schon verwunderlich, mit welch gekünstelter Verblüffung manche Männer sich Männer von Kameras umringen lassen, sich Vorwürfe anhören und dann in den Rechtfertigungsmodus schalten.

Es ist damit zu rechnen, dass „Tatort Internet“ kein singuläres Format bleibt. Andere Sender werden auf dieser vermeintlich investigativen Schiene nachziehen und auch neue Themenbereiche ausmachen.

Da ist es vielleicht keine schlechte Idee, sich einige kurze Verhaltensregeln für den Umgang mit Kamerateams aufzuerlegen, die im Auftrag des Boulevards unterwegs sind. Dazu gehört in erster Linie, schlicht nichts zu sagen und einfach zu gehen. Und zwar in jedem Fall, in dem man Sinn und Zweck der Fernsehpräsenz nicht klar einordnen kann. Solche Fernsehteams haben keinerlei Rechte, das einfache Weggehen (oder das Zuknallen der Tür) zu verhindern. Auch nicht die von RTL 2 gern ins Bild gerückten Bodyguards.

Falls man aus welchen Gründen auch immer nicht wegkommt, sollte man der Aufnahme freundlich widersprechen und den Namen und die Adresse des redaktionell Verantwortlichen verlangen – gern auch in gleichförmiger Wiederholung. Wenn das nicht wirkt und man sich genötigt fühlt, hilft vielleicht noch ein Anruf bei der Polizei.

Letztlich bleibt dann die (vorbeugende) Unterlassungsklage. Sofern die Rechtsabteilung des Senders nicht ohnehin schon auf eine Abmahnung nachgibt. Womit eigentlich zu rechnen ist.