Ich mache den Job schon 15 Jahre. Eigentlich dachte ich, so ziemlich jede merkwürdige Situation in einem Strafverfahren erlebt zu haben. Der Prozess gegen Jörg Kachelmann belehrt mich aber eines Besseren. Das Landgericht Mannheim hat es heute tatsächlich geschafft, einen Gutachter als befangen abzulehnen – weil ihm dessen Standpunkt und Ergebnisse nicht passen.
Die Verteidigung hatte den renommierten Rechtsmediziner Bernd Brinkmann als Gutachter engagiert. Dieser hatte die angeblichen Spuren einer Vergewaltigung als Selbstverletzungen bewertet. Wie Spiegel online berichtet, weiß es das Landgericht Mannheim offenbar besser als der Experte. Der Professor habe nicht berücksichtigt, dass die Spuren auch von Sado-Maso-Sex stammen könnten. Im übrigen überbetone er seinen eigenen Standpunkt.
Es ist schon ein höchst merkwürdiger Vorgang, wenn ein Gericht schlauer ist als ein ausgewiesener Experte – noch bevor dieser in der Hauptverhandlung sein Gutachten erstattet hat. Geradezu extraordinär ist aber ein Gericht, das dem Sachverständigen sogar so weit überlegen ist, dass es ihm Voreingenommenheit nachweisen kann und ihn über die Besorgnis der Befangenheit kurzerhand aus dem Verfahren kickt.
Es kommt gar nicht so selten vor, dass sich Sachverständige in Strafprozessen widersprechen. Das passiert meistens dann, wenn die Verteidigung eigene Sachverständige aufbietet. Das ist ein klarer Vorteil zahlungskräftiger Angeklagter. Das Gericht muss sich dann normalerweise für die eine oder andere Sicht der Dinge entscheiden. Es darf also die Ausführungen des einen Sachverständigen für wissenschaftlicher und zutreffender halten als die des anderen.
Wieso das Landgericht Mannheim aber meint, einen von der Verteidigung aufgebotenen Sachverständigen geradezu abkanzeln zu müssen, indem es ihn nicht mal anhört, sondern rausschmeißt wie einen renitenten Zuschauer, ist für mich nicht nachvollziehbar. Vor allem deshalb nicht, weil ich auch schon mal Gutachten von Bernd Brinkmann gehört habe. Der Mann beherrscht nicht nur sein Fach, er drückt sich auch klar aus.
Das Gericht bestätigt durch seine Entscheidung den Eindruck, dass es sich schon mal grob festgelegt hat und alles tut, um das anvisierte Ziel nicht zu verfehlen. Das ist umso bedrückender, als das Gericht ja auch bislang nicht nur keine gute Figur, sondern sogar schon handfeste Fehler gemacht hat. Vom Oberlandesgericht musste sich die Strafkammer am Landgericht Mannheim attestieren lassen, dass sie Jörg Kachelmann monatelang zu Unrecht eingesperrt und ihn damit wohl endgültig jeder beruflichen Perspektive als Fernsemoderator beraubt hat.
Man kann nur hoffen, dass es die Richter jetzt nicht einfach mal ein paar Leuten zeigen wollen. Ihre Haudrauf-Mentalität, man könnte auch von einer Überbetonung des eigenen Standpunktes sprechen, gegenüber dem Sachverständigen deutet leider genau in diese Richtung.