Während sie Aufklärung predigte, hat die Stadt Duisburg die Veröffentlichung von Dokumenten zur Loveparade-Katastrophe gerichtlich verbieten lassen.
Es handelt sich nicht um irgendwelche Dokumente, welche das kleine, in Duisburg verankerte Nachrichtenportal xtranews ins Netz stellte. Sondern um die Anlagen zu einem Gutachten, mit dem sich die Stadt Duisburg und insbesondere ihr Oberbürgermeister Adolf Sauerland von der Verantwortung für 21 Tote und viele Verletzte reinwaschen möchte. Also genau jene Unterlagen, die man kennen müsste, um zu prüfen, ob die beauftragten Anwälte seriös arbeiten und die Dokumente neutral bewerten – oder ob sie ein Gefälligkeitsgutachten abliefern.
Ein Grund zur Skepsis ergibt sich schon daraus, dass die Stadt Duisburg nicht auf Juristen zurückgriff, mit denen sie bislang nicht im Geschäft war. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland keine qualifizierten Rechtsexperten gäbe, die bislang keine Gebührenrechnung ans Duisburger Rathaus gerichtet hätten.
Mit Heuking Kühn Lüer Wojtek beauftragte die Stadt ausgerechnet eine Anwaltskanzlei, die seit jeher gute Geschäfte mit Rechtsberatungsaufträgen aus Duisburg macht. Möglicherweise waren Heuking Kühn Lüer Wojtek sogar erst die Auserwählten, nachdem sich die Zusammenarbeit mit einer anderen Kanzlei nicht wie von Adolf Sauerland gewünscht entwickelte.
Überdies kam man noch nicht mal auf den Gedanken, wenigstens Juristen aus der Kanzlei Heuking heranzuziehen, die vielleicht an einem außerhalb NRWs gelegenen Standort des Anwaltsbüros arbeiten und wenigstens selbst keine großartigen Berührungspunkte mit der Stadt Duisburg hatten.
Nein, die Gutachterin sollte nach dem Willen der Stadt Duisburg auch noch eine Anwältin sein, die im Ruhrgebiet eine bekannte Größe für die Beratung von Firmen und Kommunen ist und deren Name durchaus schon im Zusammenhang mit handfesten Skandalen zu lesen war. Auch Projekte mit Bezug zum Duisburger Rathaus hat die Juristin bereits betreut.
Ich hatte hier schon meine Meinung zu diesem Verhalten gesagt. Mittlerweile hat das Thema auch in der bundesweiten Presse große Resonanz gefunden. Die von der Stadt Duisburg angeheuerten PR-Berater haben wohl schon wieder das Handtuch geworfen. Vom zuletzt groß herausgestellten PR-Berater, dem Ex-Focus-Mann Franz-Josef Steinkühler, wird berichtet, er habe gegen ein juristisches Vorgehen gegen xtranews votiert. Leider hat er wohl weder hier noch bei anderen wichtigen Punkten das nötige Gehör gefunden.
Angesichts dieser Umstände halte ich es für begrüßenswert, dass sich die Redaktion von xtranews entschieden hat, gegen den Maulkorb aus dem Duisburger Rathaus vorzugehen. Überdies ist nun auch die Entscheidung gefallen, dass ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dominik Boecker aus Köln den Prozess gegen die Stadt Duisburg führen werde.
Wir haben Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Das Landgericht Köln wird nun einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen. Dann wird sich zeigen, ob die von der Stadt Duisburg genannten Rechtsgründe tragfähig sind. Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht seine Entscheidung, die ja nur auf den Angaben der Stadt Duisburg beruht und die, wie in Eilverfahren üblich, schnell fallen musste, nach weiterer Prüfung revidiert.
Nach den uns vorliegenden Informationen ist es keineswegs so, dass das Landgericht Köln die einstweilige Verfügung sofort erlassen hat. Die Anwälte der Stadt Duisburg mussten mehrere Anläufe unternehmen, um Bedenken des Landgerichts Köln zu entkräften.
Ausschlaggebend für den Erlass der einstweiligen Verfügung war nach vorläufiger Wertung wohl die nachgeschobene Behauptung, bei dem von xtranews veröffentlichten PDF mit den Anlagen handele es sich um eine urheberrechtlich geschützte Datenbank (!).
Interessant in diesem Zusammenhang dürfte sein, dass für diese „Datenbank“ nicht die Stadt Duisburg Urheberrechte geltend macht. Sondern die bereits erwähnte Rechtsanwältin und einer ihrer Kollegen, mit dem sie das Gutachten ausgearbeitet hat. Zur Begründung wird angeführt, die Juristen hätten Stunden damit verbracht, die relevanten Dokumente herauszusuchen und diese zusammenzustellen. Das sei nicht nur anstrengend gewesen, sondern habe auch zu einer „Datenbank“ im Sinne des Urheberrechts geführt.
Wer sich jetzt fragt, warum dann nicht die Anwälte selbst geklagt haben, kann eine Antwort erhalten. Die Juristin und ihr Kollege haben der Stadt Duisburg ihre sämtlichen und vermeintlichen Rechte an dem PDF mit den gesammelten Anlagen abgetreten.
Aufgrund dieser Abtretung übernimmt die Stadt Duisburg nun eine Rolle, wie man sie sonst von Filmstudios und Plattenfirmen kennt. Die Kommune macht Urheberrechte Dritter geltend, ebenso wie Sony Music und Universal Film. In unserem Fall sind die Künstler aber nicht Lena oder Bushido, sondern die eigenen Rechtsanwälte. Damit alles schön beisammen bleibt, lässt sich die Stadt Duisburg auch im Verfahren gegen xtranews von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek vertreten.
Ich will nicht verhehlen, dass mich die Lektüre der Antragsschrift ein wenig fassungslos zurückgelassen hat. Das Datenbank-Argument ist aus unserer vorläufigen Bewertung problemlos zu pulverisieren. Zusammen mit der Abtretung der angeblichen Rechte der arbeitsamen Anwälte an die Stadt Duisburg sehe ich ein Verhalten, das gute Chancen hat, in der Bundesliga juristischer Winkel- und Klimmzüge einen Spitzenplatz zu belegen.
Nachtrag: Die Dokumente haben mittlerweile auch ihren Weg auf WikiLeaks gefunden.