Gesetzliche Vorschriften sind dafür da, eingehalten zu werden. Das gilt auch für § 142 Absatz 1 Strafprozessordnung. Nach diesem Paragrafen ist der Beschuldigte in einem Strafverfahren vom Gericht anzuhören, bevor ihm ein Pflichtverteidiger bestellt wird. Dadurch erhält der Beschuldigte die Möglichkeit, einen Verteidiger seines Vertrauens zu benennen. Dieser Verteidiger muss ihm zur Seite gestellt werden – auch wenn er nicht zu den Lieblingen des Gerichts zählt.
Die Wahlmöglichkeit hat einen guten Grund, nämlich den Anspruch auf ein faires Verfahren. Der Beschuldigte, der einen Pflichtverteidiger braucht, soll nicht schlechter da stehen als jener, der seinen Anwalt selbst aussuchen ( = bezahlen) kann. Der Pflichtverteidiger ist also kein Anwalt zweiter Klasse, den dann praktischerweise gleich auch der Richter auswählt.
In der Praxis sieht das mitunter anders aus. Viele Richter haben einen kleinen Hofstaat an Anwälten, denen sie Pflichtverteidigungen übertragen. Dazu besteht auch oft genug Gelegenheit, denn viele Angeklagte kümmern sich halt nicht so um ihre eigenen Sachen und benennen keinen Anwalt. Das wird mitunter gerichtlich auch durch sehr knappe Fristen gefördert. Eine Woche ist als Frist keine Seltenheit.
Noch praktischer ist es allerdings, wenn dem Angeklagten halt gar keine Frist gesetzt wird. Das ist mir jetzt mal wieder passiert.
Ein langjähriger Mandant hatte eine nicht ganz unbedeutende Menge krümelartiger Substanzen über die Grenze gebracht. Dabei hatte ihn die Bundespolizei erwischt. Mein Mandant dachte, er kriegt später noch Post. Vielleicht eine Vorladung zur Vernehmung. Aber das ersparte man sich lieber.
Das erste Schreiben war gleich die Anklageschrift. Die kam vom Amtsgericht. Einen Tag später erhielt mein Mandant auch Post von einer ihm unbekannten Anwältin, die ihm freudig mitteilte, sie stehe ihm nun als Pflichtverterteidigerin zur Seite.
Wie sich herausstellte, hatte der Richter sofort mit Eingang der Anklage die Anwältin bestellt. Ohne Anhörung meines Mandanten.
Ich habe mittlerweile die Akte angesehen und den Eindruck, die vergessene Anhörung war ganz und gar kein Versehen. Was auch ein Anruf bei einem Anwalt vor Ort bestätigte. Den Kollegen kenne ich ganz gut. Er bestätigte mir, dass der betreffende Richter gerne so vorgeht. Komischerweise wusste der Anwalt auch, welche Anwältin der Richter auserwählt hatte…
Immerhin, so erfuhr ich, korrigiert der Richter seinen „Fehler“ meistens selbst, wenn es Protest gibt. Was allerdings nicht verhindert, dass doppelte Kosten entstehen. Die Entbindung der bisherigen Pflichtverteidigerin ändert nichts daran, dass ihr die bislang entstandene Vergütung zusteht. Das können ein paar hundert Euro sein. Der neue Pflichtverteidiger kriegt den gleichen Betrag dann noch mal.
Diese Mehrkosten tragen am Ende wir alle.